Behinderungsbedingte Mehrkosten einer Urlaubsreise – als soziale Teilhabeleistung

Behinderungsbedingte Mehrkosten einer Urlaubsreise sind als soziale Teilhabeleistung vom Sozialhilfeträger zu erstatten. Behinderte Menschen können daher Eingliederungshilfeleistungen für solche Kosten erhalten, die entstehen, weil sie bei einer Urlaubsreise auf eine Begleitperson angewiesen sind.

In dem hier vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall beschäftigt der auf einen Rollstuhl angewiesene, in einer eigenen Wohnung lebende, behinderte Kläger zu seiner Pflege rund um die Uhr drei Assistenten im Arbeitgebermodell, deren Kosten der Sozialhilfeträger als Leistung der Eingliederungshilfe trägt. Er unternahm im Juli 2016 eine 7-tägige Schiffsreise auf der Nordsee mit zwei Landausflügen. Einen seiner Assistenten nahm er zur Sicherstellung seiner Pflege auf die Reise mit. Seine eigenen Reisekosten trug der Kläger selbst. Er machte gegenüber dem beklagten Sozialhilfeträger die Übernahme der Reisekosten für den Assistenten in Höhe von 2.015,50 € geltend, was dieser wie in der Folge auch das Sozialgericht Leipzig1 und das Sächsische Landessozialgericht2 ablehnten. Auf die Revision des Schwerbehinderten hat das Bundessozialgericht nun das Berufungsurteil des Landessozialgerichts aufgehoben und die Sache an das Landessozialgericht zurückverwiesen, weil Feststellungen zur abschließenden Entscheidung fehlten.

Der Senat wies jedoch darauf hin, dass Urlaubsreisen als Form der Freizeitgestaltung ein legitimes soziales Teilhabebedürfnis darstellen:

Als Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft kommen entgegen der Auffassung des LSG auch Kosten in Betracht, die aus einem legitimen Teilhabebedürfnis des behinderten Menschen nach Freizeit und Freizeitgestaltung und damit auch nach einem Erholungsurlaub folgen. Allerdings ist das allgemeine Urlaubsbedürfnis nicht behinderungsbedingt, sondern besteht bei behinderten wie nicht behinderten Menschen in gleicher Weise. Kosten hierfür werden grundsätzlich nicht als Leistung der Eingliederungshilfe übernommen. Dagegen sind behinderungsbedingte Mehrkosten wie die Reisekosten einer notwendigen Begleitperson, mit denen der behinderte Mensch allein aufgrund seiner Behinderung konfrontiert ist, zu übernehmen, wenn sie vor dem Hintergrund seiner angemessenen individuellen Wünsche notwendig zum Erreichen der Leistungsziele sind und das Teilhabebedürfnis – hier nach Erholung – nicht bereits erfüllt ist. Der Wunsch, sich jährlich einmal auf eine einwöchige Urlaubsreise zu begeben und dafür die hier in Rede stehenden Kosten aufzuwenden, ist ein angemessenes soziales Teilhabebedürfnis und geht nicht über die Bedürfnisse eines nicht behinderten, nicht sozialhilfeberechtigten Erwachsenen hinaus. Es fehlen aber abschließende Feststellungen dazu, ob etwa weitere Reisen das entsprechende Teilhabebedürfnis bereits erfüllt haben, und ob die Buchung einer im Wesentlichen gleichartigen Reise möglich gewesen ist, die bei einem anderen Anbieter geringere (oder keine) behinderungsbedingten Mehrkosten ausgelöst hätte.

Bundessozialgericht, Urteil vom 19. Mai 2022 – B 8 SO 13/20 R

  1. SG Leipzig, Urteilvom 05.12.2017 – S 10 SO 115/16[]
  2. Sächs. LSG, Urteil vom 29.08.2019 – L 8 SO 6/18[]