Beratungshilfe bei Kontopfändungen

Beratungshilfe darf nicht mit der Begründung versagt werden, dass sich der Antragsteller mit seinen Fragen zu der gegen ihn betriebenen Kontopfändung auch direkt an das Vollstreckungsgericht hätte wenden können, entschied jetzt das Bundesverfassungsgericht.

Die Auffassung, auch ein verständiger Bemittelter hätte in einer einer solchen Situation – die Bank verweigerte die Auszahlung der auf das gepfändete Konto überwiesenen Grundsicherung und kündigte die Weiterleitungen an den pfändenden Gläubiger an – auf die Inanspruchnahme anwaltlichen Rats und Beistands verzichtet, ist, so die Karlsruher Verfassungsrichter, nicht nachvollziehbar und mithin nicht mehr vertretbar; das Amtsgericht verlangt von dem Beschwerdeführer ein Vorgehen, das ein Bemittelter auch unter Berücksichtigung des Kostenrisikos vernünftigerweise nicht gewählt hätte.

Das Amtsgericht geht bereits unzutreffend davon aus, dass dem Beschwerdeführer damit gedient gewesen wäre, sich „hinsichtlich seiner Fragen zur Zwangsvollstreckung“ an das Gericht zu wenden. Es verkennt damit schon grundlegend das Rechtsschutzanliegen des Beschwerdeführers, das erkennbar nicht auf die Beantwortung von Fragen zur Zwangsvollstreckung gerichtet war, sondern auf das Erwirken einer zügigen Auszahlung der auf seinem Konto eingegangenen Sozialleistungen durch die kontoführende Bank. Das Amtsgericht übersieht, dass die dem Beschwerdeführer angeratene Einholung von Rechtsrat die Inanspruchnahme anwaltlicher Unterstützung nicht verzichtbar gemacht hätte, weil die bloße Beratung durch ein Amtsgericht bei lebensnaher Betrachtung nicht dazu geführt hätte, dass die kontoführende Bank ihre bisherige Weigerungshaltung aufgibt und innerhalb der Frist des § 55 Abs. 1 Satz 1 SGB I a.F. eine Auszahlung des Kontoguthabens an den Beschwerdeführer erfolgt. Ebenso verkennt das Amtsgericht, dass der Beschwerdeführer sein Rechtsschutzziel der Auszahlung der auf seinem Konto eingegangenen Sozialleistungen auch mit einem Antrag auf einstweiligen Pfändungsschutz nicht hätte erreichen können.

In der nachfolgenden Entscheidung über die Erinnerung verweist das Amtsgericht den Beschwerdeführer zwar nicht mehr rechtsirrig auf Rechtsrat oder gerichtlichen Pfändungsschutz, es meint aber unter Verkennung der tatsächlichen Umstände und der rechtlichen Rahmenbedingungen, dass es dem Beschwerdeführer zuzumuten gewesen sei, sich nochmals – nunmehr schriftlich – mit seinem Anliegen an die kontoführende Bank zu wenden, und dass auch ein verständiger bemittelter Rechtsuchender in einer vergleichbaren Situation auf anwaltliche Unterstützung verzichtet hätte. Diese Auffassung des Amtsgerichts ist angesichts der besonderen Umstände des Falles nicht nachvollziehbar. Zu berücksichtigen ist insoweit nicht nur, dass der Beschwerdeführer bereits im Rahmen einer persönlichen Vorsprache bei der an seinem Wohnort befindlichen Filiale der kontoführenden Bank mit unhaltbarer Begründung abgewiesen worden war, und dass offenbar auch die Rechtsabteilung der Zentrale der kontoführenden Bank eine Freigabe des Kontos und eine Auszahlung des streitigen Betrags an den Beschwerdeführer verweigert hatte, weshalb keine Gründe für die Annahme bestehen, der Beschwerdeführer hätte mit dem vom Amtsgericht geforderten Schreiben eine Auszahlung des streitigen Betrags erreichen können. Ausschlaggebend ist zudem insbesondere, dass der Beschwerdeführer auf die streitigen Beträge existenziell angewiesen war und wegen des in Kürze drohenden Zugriffs des Gläubigers auf die sein Existenzminimum absichernden Sozialleistungen ein erheblicher Zeitdruck bestand. Die Annahme, dass in einer solchen Situation ein bemittelter Rechtsuchender auf die sofortige Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe verzichtet und trotz der bisherigen abschlägigen Reaktion der kontoführenden Bank nochmals selbst ein Schreiben an diese verfasst hätte, entbehrt jeden sachlichen Grundes, zumal selbst die rechtzeitige Kenntnisnahme und Bearbeitung eines solchen Schreibens keineswegs sicher gewesen wäre.

Nach alledem wird dem Beschwerdeführer durch die angegriffenen Entscheidungen mit nicht mehr nachvollziehbarer Begründung die außergerichtliche Wahrnehmung seiner Rechte im Vergleich zu den Rechtsschutzmöglichkeiten eines Bemittelten unverhältnismäßig erschwert und die verfassungsrechtlich gewährleistete Rechtswahrnehmungsgleichheit versagt.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 9.November 2010 – 1 BvR 787/10