Legt ein Empfänger von Arbeitslosengeld II nicht offen, welche Einnahmen ihm in der Vergangenheit zur Verfügung gestanden haben, die nach seinen Angaben nun weggefallen sein sollen, bestehen begründete Zweifel an der Hilfebedürftigkeit. Bei unwahren Angaben in der Vergangenheit löst allein eine wiederholte Behauptung des Hilfebedarfs die Bewilligung von Leistungen nicht aus. Vielmehr ist der Hilfebedarf auch für den neuen Zeitraum glaubhaft zu machen, wobei die Glaubhaftmachung dann verschärften Anforderungen unterliegt, wenn offensichtlich unwahre Angaben in der Vergangenheit nicht ausgeräumt werden.
So hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in dem hier vorliegenden Fall einer Beschwerde gegen die Entscheidung des Sozialgerichts Detmold1 entschieden, mit der sich der Antragsteller gegen die Ablehnung seines Eilantrages auf vorläufige Bewilligung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II gewehrt hat.Der 1979 geborene Antragsteller stand bei der Antragsgegnerin bis zum 31.01.2013 im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Zuletzt wurden ihm mit bis zum 31.01.2013 monatliche Leistungen in Höhe von 919,95 Euro gewährt. Am 13.01.2013 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin die Fortzahlung von Leistungen ab dem 01.02.2013. Im Folgenden legte er verschiedene von der Antragsgegnerin angeforderte Unterlagen vor und gab insbesondere an, dass er den Lebensunterhalt durch sein soziales Umfeld sichergestellt habe, dies insbesondere durch Lebensmittelspenden und gemeinsame Mahlzeiten mit Freunden und der Familie. Auch habe er gelegentlich die Tafel besucht und Pfandflaschen gesammelt. Es sei ihm nicht fremd, den einen oder anderen Tag ohne Nahrungsaufnahme zu überbrücken. Zudem hätten verschiedene Krankenhausaufenthalte die Ernährung sicherstellen können. Am 26.02.2013 hat der Antragsteller einen Eilantrag bei dem Sozialgericht Detmold auf vorläufige Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II gestellt und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren begehrt. Die Antragsgegnerin habe noch nicht über seinen Folgeantrag entschieden und auch auf einen von ihm gestellten Antrag auf Vorschuss nicht reagiert. Er sei mittellos, arbeitsunfähig und vom Verlust seines Krankenversicherungsschutzes sowie einer Stromsperre zum 11.03.2013 bedroht. Sein Überleben sei nur über Unterstützung durch Familie und Freunde gesichert. Er befinde sich mit der Mietzahlung, dem Abschlag für Strom und Heizung, der Prämie für seine Unfallversicherung sowie der Gebühr für den Bezahlfernsehsender „Sky“ für den Monat Februar im Rückstand. Insbesondere die Stromsperre habe für ihn gravierende Folgen, da er als insulinpflichtiger Diabetiker auf eine konstante Kühlung des Insulins angewiesen sei.
Das Sozialgericht hat die Anträge mit Beschluss vom 12.03.2013 abgelehnt. Es fehle an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs, d.h. des Bestehens von Bedürftigkeit des Antragstellers im Sinne von § 9 Abs. 1 SGB II. Die bereits in einem früheren Klageverfahren durch das Landessozialgericht dargelegten Zweifel an der Hilfebedürftigkeit des Antragstellers bestünden fort. Es sei nicht nachvollziehbar, dass die von diesem vorgelegten Konten keinerlei Überweisungen zugunsten von Anbietern von Lebensmitteln, Kleidung und Gegenständen des täglichen Bedarfs enthielten und bis auf die einmalige Abhebung eines Betrags in Höhe von 90 Euro auch keine Barabhebungen getätigt worden seien. Die Erklärungen des Antragstellers, er habe mit Hilfe von Naturalspenden seiner Familie, der Hilfe sozialer Einrichtungen, Inanspruchnahme von Krankenhauskost und des gelegentlichen Sammelns von Pfandflaschen überlebt, überzeuge nicht. Dagegen hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt.
Nach Auffassung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen kann das Gericht der Hauptsache nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt somit voraus, dass ein materieller Anspruch besteht, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird (Anordnungsanspruch), und dass der Erlass einer gerichtlichen Entscheidung besonders eilbedürftig ist (Anordnungsgrund). Eilbedürftigkeit besteht, wenn dem Betroffenen ohne die Eilentscheidung eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann2. Der gemäß Art. 19 Abs. 4 GG von den Gerichten zu gewährende effektive Rechtsschutz bedeutet auch Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit. Daraus folgt, dass gerichtlicher Rechtsschutz namentlich in Eilverfahren so weit wie möglich der Schaffung solcher vollendeter Tatsachen zuvorzukommen hat, die dann, wenn sich eine Maßnahme bei (endgültiger) richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist, nicht mehr rückgängig gemacht werden können3.
Der geltend gemachte (Anordnungs-)Anspruch und die Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO). Für die Glaubhaftmachung genügt es, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund überwiegend wahrscheinlich sind4.
Hiervon ausgehend sind vorliegend die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nicht erfüllt, da der Antragsteller einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht hat. Zutreffend hat das Sozialgericht in dem angefochtenen Beschluss ausgeführt, dass in erheblichem Maße begründete Zweifel an der Hilfebedürftigkeit des Antragstellers (fort-)bestehen.
Ein Anordnungsanspruch ist bereits deshalb zweifelhaft, weil der Antragsteller (weiterhin) nicht offenlegt, welche Einnahmen ihm in der Vergangenheit zur Verfügung gestanden haben, die nach seinen Angaben seit Beginn des Jahres 2013 nunmehr versiegt sein sollen. Ganz offenkundig hat er im Jahr 2012 über Einkommen verfügt, das er sowohl gegenüber dem Antragsgegner als auch gegenüber dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht in den dort von ihm geführten Verfahren verschwiegen hat. Zwar weist der Antragsteller zu Recht darauf hin, dass sich grundsätzlich niemand selbst belasten müsse und die Aufklärung zurückliegender Sachverhalte nicht zur Bedingung für eine auf die Zukunft gerichtete Leistung gemacht werden könne. Dies führt jedoch andererseits nicht im Gegenzug zugunsten des Antragstellers dazu, dass bei unwahren Angaben in der Vergangenheit allein eine wiederholte Behauptung des Hilfebedarfs die Bewilligung von Leistungen auslösen müsste. Vielmehr ist der Hilfebedarf auch für den neuen Zeitraum glaubhaft zu machen, wobei die Glaubhaftmachung dann verschärften Anforderungen unterliegt, wenn offensichtlich unwahre Angaben in der Vergangenheit nicht ausgeräumt werden.
Auch im hier streitigen Zeitraum ab Februar 2013 bestehen erheblichste Zweifel an dem vom Antragsteller angegebenen umfassenden Hilfebedarf nach dem SGB II. Das Landessozialgericht ist der vollen Überzeugung, dass der Antragsteller auch im Jahr 2013 über Mittel verfügt hat, die er (weiterhin) verschweigt. Zwar lässt der Antragsteller seine – nach außen dargestellte – finanzielle Situation zunehmend eskalieren, indem er – womöglich ausgerichtet an den oben genannten Beschlüssen des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen – Forderungen betreffend Miete, Strom, Versicherung und Bezahlfernsehen zwischenzeitlich nicht mehr erfüllt hat. Jedoch lässt diese Verhaltensweise aufgrund einer Vielzahl von Einzelumständen dennoch nicht den Schluss zu, der Antragsteller verfüge nicht mehr über nicht mitgeteiltes Einkommen.
Hätte der Antragsteller seit Januar 2013, wie von ihm behauptet, tatsächlich kein weiteres Einkommen gehabt, wäre beispielsweise zu erwarten gewesen, dass er sich sehr zeitnah und unmittelbar bemüht, alle Lebenshaltungskosten auf ein Maß zu reduzieren, das aus Mitteln des SGB II zu finanzieren ist. Vom Antragsteller ist jedoch in keiner Weise dargetan worden, dass er sich anstelle der von ihm allein bewohnten deutlich zu großen 80 qm Dreizimmerwohnung um eine günstigere Wohnung bemüht hätte, um dadurch die Kosten jedenfalls für die Zukunft zu senken. Dies gilt um so mehr, als die Antragsgegnerin die bewilligten Kosten für diese Wohnung bereits vor Jahren auf ein ihrer Auffassung nach angemessenes Maß beschränkt hat und auch der Antragsteller und sein Bevollmächtigter im Erörterungstermin vor dem Senat keineswegs der Auffassung waren, im anhängigen Rechtsstreit die Übernahme sämtlicher tatsächlicher Kosten erzielen zu können.
Nicht nachzuvollziehen ist im Hinblick auf eine – angesichts der Notlage – zu erwartende Kostenreduktion auch, dass der Antragsteller noch im März 2013 einen Betrag von 61,11 Euro für den Bezahlfernsehsender „Sky“ entrichtet hat, „um die Kündigung zu verhindern“. Ebenso hat er nach eigenen Angaben laufend seinen Mobiltelefon- und DSL-/Festnetzanschluss mit 72,66 Euro im Februar 2013, 52,25 Euro im März 2013, 57,73 Euro im April 2013 und 72,38 Euro im Mai 2013 bedient und auch die Raten für sein I Mobiltelefon vom Konto der Fa. G überwiesen. Dieses Verhalten führt insbesondere vor dem Hintergrund zu erheblichen Bedenken, dass die Notlage des Antragstellers nach Ablauf des vorangegangenen Bewilligungsabschnitts (letzte Zahlung der Antragsgegnerin Anfang Januar 2013) – sofern man seinen Behauptungen Glauben schenkt – derart akut war, dass er trotz Hilfe von Familie und Freunden nicht einmal seinen täglichen Nahrungsmittelbedarf decken konnte. Das Einsparen von Mahlzeiten zugunsten von Bezahlfernsehen und Telekommunikation bzw. Internet ist zur Überzeugung des Landessozialgerichts insbesondere unter Berücksichtigung der Diabetes-Erkrankung und des erheblichen Übergewichts des Klägers unglaubhaft. Dass der Antragsteller tatsächlich Mahlzeiten hat auslassen müssen, hält das Landessozialgericht auch aufgrund anderer ergänzender Umstände für zweifelhaft. Nach den eidesstattlichen Versicherungen der Zeugen und deren Aussagen im Erörterungstermin sowie seinen eigenen Angaben hat der Antragsteller ab Februar 2013 im Durchschnitt (nur) etwa einmal pro Tag eine Mahlzeit bei den Zeugen eingenommen. Darüber hinaus sind ihm zweimal Nahrungsmittel für jeweils eine Woche und gelegentlich kleinere Mengen Nahrungsmittel (z.B. ein Wurstpaket) zur Verfügung gestellt worden. Dies bedeutet, dass dem Antragsteller im Durchschnitt eine bis zwei Mahlzeiten pro Tag fehlten, die entweder ausfallen oder aus anderen Mitteln bestritten werden mussten. Der Antragsteller selbst hat hierzu angegeben, es sei ihm „nicht fremd, den einen oder anderen Tag ohne Nahrungsaufnahme zu überbrücken“. Nichtsdestotrotz ist weder von ihm selbst oder von den Zeugen angegeben worden, dass er bei den dort eingenommenen Mahlzeiten quasi zur Kompensation „mehr“ gegessen habe als sonst üblich, noch ist – trotz der in einem Zeitraum von immerhin etwa einem halben Jahr behaupteten geringeren Energiezufuhr – eine Gewichtsreduktion eingetreten. Das behauptete Auslassen von Mahlzeiten hält das Landessozialgericht auch im Hinblick auf das Verhalten und die Aussagen der Zeugen für unglaubwürdig. Trotz des hohen Maßes an freundschaftlicher bzw. familiärer Verbundenheit, das die Zeugen in ihrem Verhältnis zum Antragsteller benannt haben, ist keinem von ihnen in den Sinn gekommen, gemeinschaftlich abzusprechen, wie – nach vollständiger Zahlungseinstellung durch die Antragsgegnerin – mindestens eine lückenlose Nahrungsaufnahme für den Antragsteller hätte gesichert werden können. Trotz engen Kontakts ist den Zeugen eine erhebliche Notlage des Antragstellers offenkundig nicht einmal bewusst gewesen. Weder die Zeugen noch der Antragsteller selbst haben den Eindruck erweckt, dass diese – sicherlich in besonderem Maß existentielle – Frage allein schon der ausreichenden Nahrungsaufnahme bei den Verabredungen eine wesentliche bzw. überhaupt eine relevante Rolle gespielt habe oder auch überhaupt nur diskutiert worden sei. Gerade bei dem beschriebenen engen Zusammenhalt wäre bei einer tatsächlich bestehenden besonders prekären Notlage des Antragstellers eine deutlich andere Haltung und auch tatsächliche Ausgestaltung im Umgang zu erwarten gewesen.
In besonders hohem Maß unglaubhaft ist, dass ein Antragsteller, der nach eigenen Angaben ein knappes halbes Jahr keinerlei Einkommen erzielt und der seinen Lebensunterhalt vollständig von wenigen geliehen Geldbeträgen sowie Mahlzeiteneinnahmen bei Familie und Freunden bestreiten muss, die nicht einmal für eine vollständige Nahrungsaufnahme ausreichen, nach diesem Zeitraum erheblichster Einschränkungen noch über einen Betrag von 75 Euro im Portemonnaie verfügt, wie sich im Verlauf des Erörterungstermins gezeigt hat. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass dem Kläger nach seiner eigenen Berechnung – aus den geliehenen Geldbeträgen – in diesem halben Jahr an Barmitteln nur ein durchschnittlicher Betrag von ca. 2,35 Euro am Tag zur Verfügung gestanden hat und dies nicht allein für die Anschaffung von Nahrungsmitteln, sondern auch für alle übrigen Gegenstände des täglichen Lebens wie z.B. zur Körperpflege, Haushaltsführung oder auch für Kleidung. Erst recht aber erklärt sich der im Juli verfügbare hohe Betrag dann nicht, wenn man berücksichtigt, dass dem Antragsteller das letzte Darlehen über 200 Euro (schon) im Mai ausgezahlt worden ist und danach keine Barmittel mehr an den Antragsteller geflossen sein sollen.
Die Beschwerde gegen die Ablehnung der Bewilligung von PKH hat keinen Erfolg. Zutreffend hat das Sozialgericht in dem angefochtenen Beschluss ausgeführt, dass der Eilantrag mangels Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs keine Aussicht auf Erfolg hat.
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 5. August 2013 – L 2 AS 546/13 B ER u. L 2 AS 547/13 B