Die Auswahl der Optionskommunen

Der Bund konnte selbst entscheiden, welche Städte und Landkreise das Jobcenter in eigener Regie – unabhängig von der Bundesagentur für Arbeit – betreiben können. Das Bundesverfassungsgericht beurteilte zwar § 6a Absatz 2 Satz 3 SGB II1 als mit Artikel 28 Absatz 2 GG in Verbindung mit Artikel 70 Absatz 1 GG unvereinbar, soweit er anordnet, dass der Antrag in den dafür zuständigen Vertretungskörperschaften der kommunalen Träger einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder bedarf. Die Vorschrift allerdings gilt für bestehende Zulassungen fort.

Mit Art. 91e GG hat der verfassungsändernde Gesetzgeber eine umfassende Sonderregelung für den Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende geschaffen. Er hat unmittelbare Finanzbeziehungen zwischen dem Bund und den Optionskommunen begründet und in diesem Rahmen auch eine Finanzkontrolle ermöglicht. Darüber hinaus enthält Art. 91e GG einen umfassenden Gesetzgebungsauftrag zugunsten des Bundes. Er kann das Zulassungsverfahren weitgehend frei ausgestalten. Jedoch fehlt dem Bund die Gesetzgebungskompetenz für eine Regelung, die die interne Willensbildung der Kommunen für einen Zulassungsantrag an eine Zwei-Drittel-Mehrheit bindet. Die entsprechende Vorschrift darf ab sofort nicht mehr angewendet werden; bestehende Zulassungen bleiben jedoch in Kraft.

Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat mit Art. 91e GG für das Gebiet der Grundsicherung für Arbeitsuchende eine umfassende Sonderregelung geschaffen. In seinem Anwendungsbereich verdrängt Art. 91e GG sowohl die Art. 83 ff. GG als auch Art. 104a GG.

Art. 91e GG begründet eine unmittelbare Finanzbeziehung zwischen dem Bund und den Optionskommunen und ermöglicht eine Finanzkontrolle, die sich von der staatlichen Aufsicht wie auch von der Finanzkontrolle durch den Bundesrechnungshof unterscheidet. Art. 91e Abs. 2 GG räumt den Gemeinden und Gemeindeverbänden eine Chance ein, die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende als kommunale Träger alleinverantwortlich wahrzunehmen. Die gesetzliche Ausgestaltung dieser Chance muss willkürfrei erfolgen. Ihre Wahrnehmung fällt in den Schutzbereich der Garantie kommunaler Selbstverwaltung. Art. 91e Abs. 3 GG enthält einen umfassenden und weit zu verstehenden Gesetzgebungsauftrag zugunsten des Bundes. Der Bund verfügt insoweit über die Gesetzgebungskompetenz, die mit der Zulassung als kommunaler Träger zusammenhängenden Rechtsverhältnisse zu regeln. Auf die Art und Weise der internen Willensbildung der Kommunen erstreckt sich seine Regelungskompetenz jedoch nicht.

Die gesetzliche Regelung der Optionskommunen[↑]

Im Rahmen ihres „Zukunftsprogramms Agenda 2010“ legten die Bundesregierung und die sie tragenden Bundestagsfraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Herbst 2003 mehrere Gesetzentwürfe für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vor, darunter den Entwurf eines Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 05.09.20032. Wesentliches Anliegen dieses Entwurfs war es, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe für erwerbsfähige Arbeitslose zur Grundsicherung für Arbeitsuchende zusammenzuführen, um sie als einheitliche Leistung „aus einer Hand“ anbieten zu können. Damit sollten Doppelstrukturen in der Sozialhilfe- und Arbeitslosenhilfeverwaltung, die als ineffizient empfunden wurden, beseitigt und der angespannten Finanzlage der Kommunen Rechnung getragen werden3.

Diese Zielsetzung bedingte grundlegende Änderungen in der Organisation der Leistungsverwaltung. Im Gesetzgebungsverfahren waren deshalb neben der materiellrechtlichen Ausgestaltung der Grundsicherung für Arbeitsuchende insbesondere die Fragen der Leistungsträgerschaft und der Finanzierungsverantwortung umstritten. Ein Teil der Länder und der Deutsche Landkreistag strebten eine kommunale Trägerschaft an, während andere Länder, der Bund, der Deutsche Städte- und Gemeindebund sowie der Deutsche Städtetag die Bundesagentur für Arbeit als alleinige Trägerin der Leistungen durchsetzen wollten.

Nach einem langwierigen Gesetzgebungsverfahren4 wurde das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt am 24.12 2003 beschlossen und am 29.12 2003 verkündet5.

Eine Vorschrift über die Option für eine kommunale Trägerschaft (§ 6a SGB II a.F.) war kurzfristig in das Gesetz aufgenommen, die Ausgestaltung im Einzelnen einem weiteren Gesetzgebungsverfahren vorbehalten worden. Dessen Eckpunkte wurden in gleichlautenden Entschließungsanträgen des Deutschen Bundestages und des Bundesrates festgelegt6 und führten unter anderem zu einer Änderung der §§ 6 ff. und § 44b SGB II a.F. durch das Gesetz zur optionalen Trägerschaft von Kommunen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Kommunales Optionsgesetz)7.

Um verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Finanzierung der mit der Trägerschaft verbundenen Ausgaben aus Bundesmitteln auszuräumen, hatte der Gesetzentwurf ursprünglich vorgesehen, dass die kommunalen Träger als Organe der Bundesagentur tätig werden sollten8, wovon im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens jedoch Abstand genommen wurde. Der im Vermittlungsverfahren neu gefasste § 6b SGB II a.F. sprach in der Überschrift stattdessen von der „Rechtsstellung der zugelassenen kommunalen Träger”, ohne diese Rechtsstellung weiter zu thematisieren. Hinsichtlich der Finanzierung wurde – gestützt auf Art. 106 Abs. 8 GG – bestimmt, dass der Bund die Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende einschließlich der Verwaltungskosten trägt, mit Ausnahme der Aufwendungen für die Aufgaben, die auch die nicht optierenden Kommunen selbst zu tragen haben. Darüber hinaus wurden unter anderem eine Experimentierklausel (§ 6a SGB II a.F.), ein Anspruch der kommunalen Träger auf Aufwendungs- und Verwaltungskostenerstattung durch den Bund (§ 6b Abs. 2 SGB II a.F.) und Prüfbefugnisse des Bundesrechnungshofes (§ 6b Abs. 3 SGB II) vorgesehen.

Um die Zulassung als kommunale Träger bewarben sich 67 Gemeindeverbände und sechs kreisfreie Städte. Mit der Verordnung zur Zulassung von kommunalen Trägern als Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Kommunalträger-Zulassungsverordnung – KomtrZV)9 ließ das damals zuständige Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit 69 Antragsteller als Optionskommunen für die Zeit vom 01.01.2005 bis 31.12 2010 zu.

Mit Urteil vom 20.12 200710 entschied der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts, dass die in § 44b SGB II a.F. geregelte Pflicht der Kreise zur Aufgabenübertragung auf die Arbeitsgemeinschaften und die gemeinsame Aufgabenwahrnehmung derselben mit Art. 28 Abs. 2 Sätze 1 und 2 in Verbindung mit Art. 83 GG unvereinbar war. Die Vorschrift bleibe jedoch bis zum 31.12 2010 anwendbar, wenn der Gesetzgeber nicht zuvor eine andere Regelung treffe. Ordne der Gesetzgeber an, dass Aufgaben gemeinsam von Bund und Gemeinden oder Gemeindeverbänden wahrgenommen werden, sei für die verfassungsrechtliche Prüfung auch entscheidend, ob die Verwaltungszuständigkeiten von Bund und Ländern gemäß Art. 83 ff. GG eingehalten würden. Überschreite der Gesetzgeber die ihm dort gesetzten Grenzen eines zulässigen Zusammenwirkens von Bundes- und Landesbehörden, führe dies zugleich zu einer Verletzung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie. Die Kompetenzaufteilung nach Art. 83 ff. GG sei eine wichtige Ausformung des bundesstaatlichen Prinzips. Die Verwaltungszuständigkeiten von Bund und Ländern seien grundsätzlich getrennt und könnten auch mit Zustimmung der Beteiligten nur in den vom Grundgesetz vorgesehenen Fällen zusammengeführt werden. Das Grundgesetz schließe, von begrenzten Ausnahmen abgesehen, eine sogenannte Mischverwaltung aus. Dies gelte auch für das Verhältnis von Bund und Kommunen. Gemeinden und Gemeindeverbände seien staatsorganisationsrechtlich wie finanzverfassungsrechtlich den Ländern zugeordnet und blieben hinsichtlich der grundgesetzlichen Verteilung der Verwaltungskompetenzen Teil der Länder.

Die Arbeitsgemeinschaften seien als Gemeinschaftseinrichtung von Bundesagentur und kommunalen Trägern nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes nicht vorgesehen. Nach der Systematik des Grundgesetzes werde der Vollzug von Bundesgesetzen entweder von den Ländern oder vom Bund, nicht hingegen zugleich von Bund und Land oder einer von beiden geschaffenen dritten Institution wahrgenommen. Zwar bedürfe das Zusammenwirken von Bund und Ländern im Bereich der Verwaltung nicht in jedem Fall einer besonderen verfassungsrechtlichen Ermächtigung. Es widerspreche allerdings der Kompetenzordnung des Grundgesetzes, wenn in weitem Umfang Mitverwaltungs- und Mitentscheidungsbefugnisse des Bundes im Aufgabenbereich der Länder ohne entsprechende verfassungsrechtliche Ermächtigung vorgesehen würden. Eine Ausnahme von den Art. 83 ff. GG bedürfe daher eines besonderen sachlichen Grundes und könne nur hinsichtlich einer eng umgrenzten Verwaltungsmaterie in Betracht kommen. Unabhängig davon, dass ein Abweichen von der Kompetenzordnung des Grundgesetzes schon wegen Bedeutung und Umfang der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausscheide, fehle es auch an einem hinreichenden sachlichen Grund, der eine gemeinschaftliche Aufgabenwahrnehmung in den Arbeitsgemeinschaften rechtfertigen könnte. Das Anliegen, die Grundsicherung für Arbeitsuchende „aus einer Hand“ zu gewähren, sei zwar ein sinnvolles Regelungsziel; dieses könne aber sowohl dadurch erreicht werden, dass der Bund für die Ausführung den Weg des Art. 87 GG wähle, als auch dadurch, dass der Gesamtvollzug nach der Grundregel des Art. 83 GG insgesamt den Ländern als eigene Angelegenheit überlassen werde. Ein sachlicher Grund zur Vermischung beider Varianten bestehe nicht.

Nach Verkündung des Urteils wurde von den politisch Verantwortlichen eine Neuregelung der für verfassungswidrig erklärten Verwaltungsstruktur in Angriff genommen. Nach längerer Debatte wurde mit dem Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91e) vom 21.07.201011 in den Abschnitt VIIIa „Gemeinschaftsaufgaben, Verwaltungszusammenarbeit“ ein neuer Art. 91e eingefügt. Dieser ist am 26.07.2010 im Bundesgesetzblatt verkündet worden und am 27.07.2010 in Kraft getreten. Er lautet:

Artikel 91e GG

Bei der Ausführung von Bundesgesetzen auf dem Gebiet der Grundsicherung für Arbeitsuchende wirken Bund und Länder oder die nach Landesrecht zuständigen Gemeinden und Gemeindeverbände in der Regel in gemeinsamen Einrichtungen zusammen.

Der Bund kann zulassen, dass eine begrenzte Anzahl von Gemeinden und Gemeindeverbänden auf ihren Antrag und mit Zustimmung der obersten Landesbehörde die Aufgaben nach Absatz 1 allein wahrnimmt. Die notwendigen Ausgaben einschließlich der Verwaltungsausgaben trägt der Bund, soweit die Aufgaben bei einer Ausführung von Gesetzen nach Absatz 1 vom Bund wahrzunehmen sind.

Das Nähere regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

Parallel zur Änderung des Grundgesetzes beschloss der Bundestag das Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 03.08.201012, das am 10.08.2010 im Bundesgesetzblatt verkündet wurde und – soweit entscheidungserheblich – zum 11.08.2010 (§ 6a SGB II) beziehungsweise 1.01.2011 (§ 6b SGB II) in Kraft getreten ist. Durch dieses Gesetz erhielten die für das vorliegende Verfahren maßgeblichen Vorschriften ihre derzeitige Fassung.

Aufgrund des § 6a Abs. 3 SGB II erließ das nunmehr zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales am 12.08.2010 die Verordnung über das Verfahren zur Feststellung der Eignung als zugelassener kommunaler Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende (KtEfV)13.

Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers14 sollten insgesamt 110 kommunale Träger für die Grundsicherung für Arbeitslose zugelassen werden, wobei die Betrauung der bereits unter der alten Rechtslage zugelassenen Träger nicht in Frage gestellt werden sollte (§ 6a Abs. 1 und Abs. 2 SGB II). Um die noch zur Verteilung anstehenden 41 Plätze bewarben sich bundesweit 77 Gemeinden und Gemeindeverbände. Mit Ausnahme des Beschwerdeführers zu 1. hatten alle Antragsteller das von § 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II geforderte Zwei-Drittel-Quorum in ihren zuständigen Vertretungskörperschaften erreicht. Im Kreistag des Beschwerdeführers zu 1. hatten in der Sitzung vom 25.10.2010 von den 60 Mitgliedern des Kreistages jedoch nur 36 mit „Ja“ gestimmt, 19 mit „Nein“; fünf Mitglieder waren entschuldigt abwesend. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales erließ am 14.04.2011 sodann die Zweite Verordnung zur Änderung der Kommunalträger-Zulassungsverordnung15 und ließ 41 Gemeinden und Gemeindeverbände mit Wirkung zum 1.01.2012 als Optionskommunen neu zu. Die Beschwerdeführer zu 1. bis 15. wurden nicht zugelassen. Der Beschwerdeführer zu 16. ist hingegen bereits seit dem 1.01.2005 zugelassener kommunaler Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende.

Die Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts[↑]

Die Verfassungsbeschwerden sind im Wesentlichen zulässig. Jedoch ist die Jahresfrist nicht eingehalten, soweit sich eine der Verfassungsbeschwerden gegen die Prüfungsbefugnisse des Bundesrechnungshofs richtet. Die maßgebliche Vorschrift (§ 6b Abs. 3 Sozialgesetzbuch – II – SGB II) ist bereits seit 2004 unverändert in Kraft.

Die Verfassungsbeschwerde gegen § 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II, der den Antrag auf Zulassung als Optionskommune an eine Zwei-Drittel-Mehrheit im zuständigen kommunalen Gremium bindet, ist begründet. Im Übrigen sind die Verfassungsbeschwerden unbegründet.

Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat mit Art. 91e GG für das Gebiet der Grundsicherung für Arbeitsuchende eine umfassende Sonderregelung geschaffen. Er hat auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20.12 2007 reagiert, das die Zusammenarbeit von Arbeitsagenturen und Kommunen in gemeinsamen Einrichtungen für verfassungswidrig erklärt hatte. Mit der Neuregelung sollte der im politischen Raum für praktikabel befundene Zustand aufrechterhalten und verfassungsrechtlich abgesichert werden.

Zwar durchbricht Art. 91e Abs. 1 GG das grundsätzliche Verbot der Mischverwaltung, das vom Bundesverfassungsgericht auch mit dem Argument des Demokratieprinzips untermauert worden ist. Denn eine Verflechtung von Verwaltungszuständigkeiten kann dazu führen, dass der Auftrag des Wählers auf Bundes- oder Landesebene durch die Mitwirkung anderer Ebenen relativiert und konterkariert wird. Auch das Rechtsstaatsprinzip verlangt im Interesse des effektiven Rechtsschutzes eine klare Zuordnung von Kompetenzen. Ein absolutes Verbot der Mischverwaltung lässt sich jedoch weder aus dem Demokratie- noch aus dem Rechtsstaatsprinzip ableiten; daher verstößt Art. 91e GG nicht gegen die „Ewigkeitsgarantie“ des Art. 79 Abs. 3 GG.

In seinem Anwendungsbereich verdrängt Art. 91e GG die allgemeinen Regelungen über den Vollzug von Bundesgesetzen (Art. 83 ff. GG) und über die Finanzierung von Verwaltungsaufgaben (Art. 104a GG). Der verfassungsändernde Gesetzgeber wollte offenkundig keine Regelung schaffen, die sich möglichst schonend in die allgemeinen Strukturen einfügt, sondern eine umfassende Absicherung der Verwaltungspraxis ermöglichen. Das zeigt auch die Regelung zur Kostentragung (Art. 91e Abs. 2 Satz 2 GG), die zu einer direkten Finanzierung kommunalen Verwaltungshandelns durch den Bund führt.

Art. 91e Abs. 2 GG begründet unmittelbare Verwaltungs- und Finanzbeziehungen zwischen dem Bund und den Optionskommunen. Die Gemeinden sind jedoch grundsätzlich den Ländern zugeordnet. Daher durchbricht die Vorschrift, wenn auch nur punktuell, die Zweistufigkeit des Staatsaufbaus. Art. 91e Abs. 2 GG ermöglicht dem Bund eine effektive Finanzkontrolle, die sich von der staatlichen Aufsicht wie auch von den Befugnissen des Bundesrechnungshofs unterscheidet.

Art. 91e Abs. 2 GG räumt den Gemeinden und Gemeindeverbänden eine Chance ein, die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende als kommunale Träger alleinverantwortlich wahrzunehmen. Wie bereits aus der Formulierung deutlich wird, dass der Bund eine begrenzte Anzahl von Gemeinden und Gemeindeverbänden zulassen „kann“, wird damit kein Anspruch begründet. Eröffnet der Gesetzgeber den Gemeinden und Gemeindeverbänden diese Chance jedoch, so ist er bei deren Ausgestaltung grundsätzlich frei. Das interkommunale Gleichbehandlungsgebot verbietet es allerdings, einzelne Gemeinden oder Gemeindeverbände aufgrund sachlich nicht vertretbarer Differenzierungen zu benachteiligen oder zu bevorzugen.

Die Wahrnehmung der Chance auf Zulassung als Optionskommune fällt in den Schutzbereich der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 GG). Gemeinden und Gemeindeverbände können sich gegenüber dem Staat auf das interkommunale Gleichbehandlungsgebot berufen und seine Verletzung vor dem Bundesverfassungsgericht rügen.

Art. 91e Abs. 3 GG enthält einen umfassenden und weit zu verstehenden Gesetzgebungsauftrag zugunsten des Bundes für alle Rechtsverhältnisse, die mit der Zulassung von Optionskommunen verbunden sind.

Die Verfassungsbeschwerde gegen § 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II ist begründet.

Mit der Kommunalverfassungsbeschwerde kann gerügt werden, dass ein Bundesgesetz gegen die Gesetzgebungskompetenz der Länder (Art. 70 GG) verstößt, denn die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen ist für das verfassungsrechtliche Bild der Selbstverwaltung mitbestimmend.

§ 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II bestimmt, dass der Antrag auf Zulassung als Optionskommune einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder in der zuständigen Vertretungskörperschaft bedarf. Die Vorschrift verkürzt damit die Organisationshoheit der Gemeinden und greift dadurch in die kommunale Selbstverwaltungsgarantie ein. Verglichen mit den allgemeinen Regelungen des Kommunalrechts erschwert sie die Willensbildung in den Stadträten und Kreistagen. Im Fall des beschwerdeführenden Landkreises Roth kam eine Realisierung der gesetzlich eröffneten Chance daher schon deshalb nicht in Betracht, weil sich nur 36 von 60 Mitgliedern für den Antrag ausgesprochen hatten.

§ 6a Abs. 2 Satz 3 SGB II verletzt die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder. Die interne Willensbildung in den Kommunen und das Zusammenwirken zwischen ihren Organen ist Teil des Kommunalrechts. Wäre dies anders, könnte der Bund in allen Bereichen, in denen er eine Gesetzgebungskompetenz besitzt, auch Vorgaben zur Willensbildung erlassen; die den Ländern zustehende Gesetzgebungskompetenz für das Kommunalrecht liefe insoweit leer.

Auch die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die öffentliche Fürsorge (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG) vermag die angegriffene Regelung nicht zu stützen. Zwar ist der Begriff „öffentliche Fürsorge“ nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weit auszulegen und erfasst auch organisatorische Vorschriften. Die hier angegriffene Vorschrift regelt jedoch keine organisatorische Frage bei der Erbringung sozialrechtlicher Leistungen, sondern die Art und Weise der Willensbildung in den Kommunen.

Eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes ergibt sich auch nicht aus Art. 91e Abs. 3 GG. Auf dieser Grundlage kann der Gesetzgeber zwar die Voraussetzungen für die Zulassung von Optionskommunen regeln, insbesondere deren Anzahl sowie die Zulassungskriterien. Die angegriffene Vorschrift betrifft jedoch nicht die Rechtsverhältnisse zwischen der antragstellenden Kommune und dem Bund oder dem Land, sondern die interne Organisation der Kommunen.

§ 6a Abs. 2 Satz 3 1. Halbsatz SGB II ist für unvereinbar mit dem Grundgesetz zu erklären. Die Vorschrift gilt für bestehende Zulassungen fort. Allerdings darf sie in neuen Zulassungsverfahren nicht mehr angewandt werden. Würde die Vorschrift für nichtig erklärt, könnten die zugelassenen Optionskommunen ihre Aufgaben ab sofort nicht mehr einheitlich wahrnehmen. Hiervon wären eine hohe Zahl von Leistungsempfängern und die Mitarbeiter der Kommunen betroffen. Ohne die Aufrechterhaltung der Regelung für die Vergangenheit wäre es daher nicht möglich, eine geordnete Sozialverwaltung sicherzustellen.

Gegen § 6a Abs. 2 Satz 4 SGB II, der die Anzahl der Optionskommunen auf höchstens 25 % der zum 31.12 2010 bestehenden Aufgabenträger festlegt, bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ergibt sich aus Art. 91e Abs. 3 GG. Inhaltlich geben Art. 91e Abs. 1 und Abs. 2 GG ein Regel-Ausnahme-Verhältnis vor: Die Aufgabenwahrnehmung in gemeinsamen Einrichtungen soll danach die Regel sein, die alleinige Aufgabenwahrnehmung durch Optionskommunen die Ausnahme. Dies belegen der Wortlaut des Art. 91e Abs. 2 GG, seine systematische Stellung und seine Entstehungsgeschichte. Im Übrigen verfügt der Gesetzgeber jedoch über einen weiten Gestaltungsspielraum.

Aus dem Wortlaut des Art. 91e Abs. 2 GG lässt sich namentlich keine konkrete Anzahl möglicher Optionskommunen ableiten. Mit der Festlegung auf 25 % hat der Gesetzgeber lediglich die im Rahmen der Verfassungsänderung avisierte Zielgröße übernommen und den politischen Erwartungen der Beteiligten Rechnung getragen. Verfassungsrechtlich verpflichtet war er dazu nicht.

§ 6a Abs. 2 Satz 4 SGB II bedarf auch keiner verfassungskonformen Auslegung im Lichte von Art. 28 Abs. 2 Sätze 1 und 2 GG. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende ist keine Aufgabe der örtlichen Gemeinschaft, die der Selbstverwaltungsgarantie der Gemeinden (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) unterfiele. Es handelt sich vielmehr um eine Aufgabe, die normalerweise bundeseinheitlich von der Bundesagentur für Arbeit wahrgenommen wird. Auch die Selbstverwaltungsgarantie der Gemeindeverbände (Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG), die von vornherein nur nach Maßgabe der Gesetze besteht, wird nicht verletzt. Die Zuweisung einer neuen Aufgabe könnte nur verlangt werden, wenn sonst die Selbstverwaltungsgarantie in ihrem Kern entwertet wäre, was offensichtlich nicht der Fall ist.

Eröffnet der Gesetzgeber den Kommunen die Chance auf eine bestimmte Aufgabenzuständigkeit, so muss er ein Verfahren vorsehen, das eine transparente und nachvollziehbare Verteilungs- und Zulassungsentscheidung sicherstellt. Der Gesetzgeber musste dieses Verfahren in seinen wesentlichen Grundzügen selbst ausgestalten (vgl. Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG); die Einzelheiten durfte er dem Verordnungsgeber überlassen. § 6a Abs. 3 SGB II ist insoweit eine hinreichende Rechtsgrundlage.

Ob das in der Kommunalträger-Eignungsfeststellungsverordnung (KtEfV) geregelte Verteilungsverfahren selbst den Anforderungen an ein willkürfreies, transparentes und nachvollziehbares Zulassungsverfahren genügt, ob es insbesondere nicht bundesrechtlicher Regelungen über die Verteilung der möglichen Optionskommunen auf die Länderkontingente bedarf, ist hier nicht zu entscheiden. Denn die insoweit möglicherweise unzureichende Verordnung ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

Schließlich begegnet § 6b Abs. 4 SGB II, der die Finanzkontrolle durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales regelt, keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Gesetzgebungskompetenz für diese Vorschrift folgt ebenfalls aus Art. 91e Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 2 GG. Die damit verbundenen Befugnisse des Bundes unterscheiden sich von denen des Bundesrechnungshofes und beschränken sich auf die fiskalischen Interessen des Bundes. Ihm ist insbesondere gestattet, öffentlichrechtliche Erstattungsansprüche geltend zu machen und im Wege der Verrechnung durchzusetzen. Eine Rechts- oder Fachaufsicht ist damit nicht verbunden; die dem Bund eröffnete Finanzkontrolle richtet sich nicht allgemein auf die Gewährleistung eines einheitlichen Gesetzesvollzugs und erlaubt es daher nicht, vertretbare Rechtsauffassungen des zugelassenen kommunalen Trägers zu beanstanden.

Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 7. Oktober 2014 – 2 BvR 164/11

  1. in der Fassung des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 03.08.2010[]
  2. BT-Drs. 15/1516[]
  3. vgl. BT-Drs. 15/1516, S. 41 f.[]
  4. zu den Einzelheiten vgl. BVerfGE 119, 331, 332 ff.[]
  5. BGBl – I S. 2954[]
  6. BT-Drs. 15/2264; BR-Drs. 943/03, Beschluss[]
  7. vom 30.07.2004, BGBl – I S.2014[]
  8. vgl. BT-Drs. 15/2816, S. 11 f.[]
  9. vom 24.09.2004, BGBl – I S. 2349[]
  10. BVerfGE 119, 331 ff.[]
  11. BGBl – I S. 944[]
  12. BGBl – I S. 1112[]
  13. BGBl – I S. 1155[]
  14. vgl. BT-Drs. 17/1554, S. 4[]
  15. BGBl – I S. 645[]