Der in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II enthaltene ausnahmslose Leistungsausschluss, nach dem EU-Bürger, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, keine Grundsicherungsleistungen erhalten, widerspricht dem zwischen den EU-Staaten vereinbarten gesetzlich wirksamen Gleichbehandlungsgebot (Art. 4 Verordnung EU 883/2004). Abhängig von den individuellen Umständen müssen Leistungen im Einzelfall jedenfalls ausnahmsweise möglich sein.
Mit dieser Begründung hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in dem hier vorliegenden Fall einer rumänischen Familie entschieden, die beantragten Leistungen zuerkannt und das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen aufgehoben. Die Kläger, eine rumänisches Familie mit einem Kind, wohnen seit 2009 in Gelsenkirchen und lebten zunächst von dem Erlös aus dem Verkauf von Obdachlosenzeitschriften und von Kindergeld. Das beklagte Jobcenter lehnte den im November 2010 gestellten Antrag mit der Begründung ab, Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe, könnten keine Grundsicherungsleistungen erhalten. Nachdem das Sozialgericht Gelsenkirchen die dagegen gerichtete Klage abgewiesen hat, verfolgt die Familie ihr Ziel im Berufungsverfahren weiter.
Nach Auffassung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen widerspreche der Leistungsausschluss in dieser ausnahmslosen Automatik dem zwischen den EU-Staaten vereinbarten gesetzlich wirksamen Gleichbehandlungsgebot (Art. 4 Verordnung EU 883/2004). Soweit die sogenannte Unionsbürgerrichtlinie (Richtlinie 2004/38) den Mitgliedstaaten erlaube, einschränkende Regelungen zur Vermeidung von sogenanntem Sozialtourismus vorzusehen, sei dies nicht in dieser im SGB II enthaltenen unbedingten und umfassenden Form möglich. Die Richtlinie verlange eine bestimmte Solidarität des aufnehmenden Staates Deutschland mit den anderen Mitgliedstaaten. Das erfordere unter dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit Regelungen, wonach abhängig von den individuellen Umständen Leistungen im Einzelfall jedenfalls ausnahmsweise möglich sein müssen. In dieser Auffassung sieht sich das Landessozialgericht durch die neueste Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bestätigt1.
Der im Gesetz enthaltene Leistungsausschluss (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II) sieht das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen als europarechtswidrig an. Das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen ist aufgehoben und die beantragten Leistungen zuerkannt worden.
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28. November 2013 – L 6 AS 130/13
- EuGH, Urteil vom 19.09.2013 – C-140/12[↩]