Wird eine Wohnung mit Strom beheizt, so bietet der Heizspiegel keinesfalls eine Grundlage für die Bemessung der Angemessenheit von Heizkosten in Form von Stromkosten, da entsprechende Daten in den Heizspiegel nicht eingeflossen sind.
Fehlt es an Datenmaterial für die Ermittlung einer Angemessenheitsgrenze für die Heizkosten, so sind im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die tatsächlichen Heizkosten bei unwirtschaftlichem Heizverhalten zu übernehmen.
So die Entscheidung des Sozialgerichts Stuttgart in dem hier vorliegenden Fall eines Empfängers von Leistungen nach dem SGB II, der im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II begehrt. Der am 15.05.1969 geborene Antragsteller bewohnt eine 69,75 m² große 3-Zimmer-Wohnung, für die er eine Kaltmiete von 385,78 EUR + 35,79 EUR Nebenkosten sowie 35,79 EUR Wasserkosten zu zahlen hat. Die Wohnung, die in einem als „Arbeitszimmer“ bezeichneten Raum und im Bad mit Gaseinzelöfen ausgestattet ist, wird im Übrigen durch elektrische Radiatoren beheizt.
Im März 2010 legte der Antragsteller die Jahresabrechnung des Energieversorgers über eine für die Zeit vom Januar 2009 bis Januar 2010 zu leistende Nachzahlung von 4448,97 EUR sowie ab März 2010 zu leistenden Abschlagszahlungen in Höhe von 583,00 EUR monatlich beim Antragsgegner vor. Das vom Antragsteller wegen der von der Antragsgegnerin abgelehnten Übernahme der Nachzahlung angerufene Sozialgericht Stuttgart verpflichtete die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zur Übernahme der im Juni 2010 5983,97 EUR betragenden Nachforderung, weil der Antragsteller nicht über seine Kostensenkungsobliegenheit bezüglich der Heizkosten informiert worden sei.
Mit Schreiben vom 19.08.2010 wies die Antragsgegnerin den Antragsteller darauf hin, dass seine Heizkosten unangemessen hoch seien, er sein Heizverhalten umgehend ändern müsse und eine weitere unangemessen hohe Zahlung nicht mehr übernommen werden könne. Mit Änderungsbescheid vom 28.09.2010 gewährte die Antragsgegnerin dem Antragsteller Leistungen unter Berücksichtigung von Heizkosten in Höhe von 583,00 EUR abzüglich einer Energiepauschale.
Unter dem 05.11.2010 erstellte das Energieberatungszentrum S. im Auftrag der Antragsgegnerin aufgrund einer Begehung der Wohnung des Antragstellers eine Beurteilung des Strom- und Gasverbrauchs, deren wesentliches Ergebnis darin bestand, dass der extrem hohe Energieverbrauch des Antragstellers im Wesentlichen durch sein falsches Heizungs- und Lüftungsverhalten verursacht sei.
Am 21.02.2012 legte der Antragsteller die Jahresabrechnung des Energieversorgers vom 13.02.2012 für die Zeit vom 16.01.2011 bis 15.01.2012 vor, wonach eine Nachzahlung von 1583,56 EUR sowie ab März 2012 Abschläge in Höhe von 312,00 EUR monatlich zu zahlen sind, und bat um Übernahme der geforderten Beträge. Die Übernahme der Nachzahlung lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 21.02.2012 ab, weil die angemessenen Heizkosten nach dem Heizspiegel der Stadt S. bei jährlich 1164,83 EUR lägen, was durch die geleisteten Vorauszahlungen abgedeckt sei. Mit Änderungsbescheid vom 21.02.2012 setzte die Antragsgegnerin die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 01.03.2012 bis 31.05.2012 auf 879,88 EUR neu fest, wobei sie Heizkosten nur noch in Höhe von 97,06 EUR berücksichtigte und ein Energieeigenanteil von 29,06 EUR abgezogen wurde.
Auf den vom Antragsteller beim Sozialgericht Stuttgart gestellten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz1 ordnete das Gericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Änderungsbescheid vom 21.02.2012 an, weil die Voraussetzungen für die Rücknahme des Bewilligungsbescheides vom 21.10.2011 nach § 45 SGB X nicht vorlägen, und lehnte den Antrag im Übrigen hinsichtlich der Übernahme der von dem Energieversorger geforderten Energiekostennachzahlung ab. Die Antragsgegnerin hob daraufhin den Bescheid vom 21.02.2012 mit Bescheid vom 18.04.2012 auf und setzte Leistungen für die Zeit vom 01.03.2012 bis 31.05.2012 in Höhe von 1014,59 EUR (374,00 EUR Regelleistung, 640,59 EUR Kosten für Unterkunft und Heizung) fest.
Auf den Weiterbewilligungsantrag des Antragstellers vom 10.05.2012 bewilligte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 11.05.2012 Leistungen für die Zeit vom 01.06.2012 bis 30.11.2012 in Höhe von 879,88 EUR monatlich. Dabei erkannte sie eine Kaltmiete von 366,30 EUR, Nebenkosten in Höhe von 71,58 EUR sowie Heizkosten in Höhe von 97,06 EUR an, wovon sie einen Eigenanteil für Haushalts-/Kochenergie von 29,06 EUR in Abzug brachte. Als Zahlungsempfänger ist im Bescheid unter anderem der Energieversorger hinsichtlich eines Betrages von 312,00 EUR und der Antragsteller hinsichtlich eines Betrages von 73,12 EUR angegeben.
Am 23.05.2012 hat der Antragsteller einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Die Leistungen seien für die Zeit vom 01.06.2012 bis 30.11.2012 auf 879,88 EUR festgesetzt worden. Auf dem Berechnungsbogen sei erkennbar, dass der Antragsteller nach Abzügen noch 73,12 EUR zum Leben zur Verfügung habe. Er habe sich bereits für Mai Geld geliehen, da er bereits geringe Leistungen bekomme. Mit Änderungsbescheid vom 24.05.2012 bestätigte die Antragsgegnerin die Leistungsbewilligung in Höhe von 879,88 EUR, gab als Zahlungsempfänger nunmehr jedoch den Energieversorger hinsichtlich eines Betrages von 97,06 EUR und den Antragsteller hinsichtlich eines Betrages in Höhe von 288,06 EUR an.
Der Antragsteller beantragt, die Antragstellerin zu verpflichten, ihm höhere Leistungen zu gewähren.
Nach Auffassung des Sozialgerichts Stuttgart ist nach summarischer Prüfung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes von einem Anspruch des Antragstellers in Höhe von 1135,58 EUR auszugehen. Hierbei berücksichtigt das Sozialgericht einen Regelbedarf in Höhe von 374,00 EUR sowie einen Bedarf für Unterkunft und Heizung in Höhe von 761,58 EUR. Als Bedarf für Unterkunft und Heizung ist eine angemessene Kaltmiete in Höhe von 378,00 EUR, Nebenkosten in Höhe von 35,79 EUR, Wasserkosten in Höhe von 35,79 EUR sowie der Energiekostenabschlag in Höhe von 312,00 EUR zu berücksichtigen.
Den Regelbedarf hat die Antragsgegnerin in den Bescheiden vom 11.05.2012 und 24.05.2012 zutreffend in Höhe von 374,00 EUR berücksichtigt. Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.
Die Angemessenheit der Kaltmiete richtet sich nach Mietspiegel der Landeshauptstadt Stuttgart nach der ortsüblichen Vergleichsmiete für Wohnungen vor Baujahr 1975 mit einfacher Ausstattung in mittlere Lage. Dabei ist von dem für die angemessene Wohnfläche im Mietspiegel genannten Spannenoberwert als angemessenem Quadratmeterpreis auszugehen2. Dies wird von der Antragsgegnerin offenbar nicht in Zweifel gezogen. Danach ergibt sich für eine für einen Einpersonenhaushalt angemessene Wohnfläche von 45 m² ein angemessener Quadratmeterpreis von 8,40 EUR. Demnach beträgt die angemessene Kaltmiete 378,00 EUR (45 m² x 8,40 EUR).
Wasserkosten und Nebenkosten hat die Antragsgegnerin zutreffend in der tatsächlichen Höhe berücksichtigt. Die Energiekosten sind im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vollständig zu berücksichtigen. Der Bescheid vom 11.05.2012 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 24.05.2012 ist in jedem Fall schon insoweit rechtswidrig, als die Antragsgegnerin einen „Energieeigenanteil“ in Abzug gebracht hat. Nachdem die für angemessen erachteten Heizkosten unter Zugrundelegung des Heizspiegels ermittelt worden sind, können darin aus der Regelleistung zu finanzierende Haushaltsenergiekosten nicht enthalten sein, so dass sich der Abzug schon deshalb verbietet. Allerdings hat das Sozialgericht auch erhebliche Zweifel, dass der von der Antragsgegnerin als Heizkosten berücksichtigte Betrag in Höhe von 97,06 EUR die Angemessenheitsgrenze der Heizkosten des Antragstellers darstellt. Die Antragsgegnerin hat diesen Wert ausschließlich anhand der Daten aus dem Heizspiegel für mit Erdgas beheizte Gebäude ermittelt. Fraglich ist bereits, ob der angewandte Heizspiegel 2009, welcher sich auf das Abrechnungsjahr 2008 bezieht, für das hier fragliche Abrechnungsjahr 2011 überhaupt eine repräsentative Datengrundlage bilden kann. Keinesfalls bietet der Heizspiegel eine Grundlage für die Bemessung der Angemessenheit von Heizkosten in Form von Stromkosten. Entsprechende Daten sind in den Heizspiegel nicht eingeflossen. Auch ist zweifelhaft, ob die Daten des Heizspiegels für Erdgas, welche anhand Daten zentral beheizter Wohnungen ermittelt worden sind, eine Grundlage für die Festlegung einer Angemessenheitsgrenze der Heizkosten bei der Nutzung von Gaseinzelöfen bieten kann, zumal sich schon in der von der Antragsgegnerin veranlassten Energieverbrauchsanalyse bestätigt findet, dass die Wärmeerzeugung durch Gaseinzelöfen sehr verlustbehaftet ist. Bei Anwendung des bundesweiten Heizspiegels 2012, dem zwar Daten für das Abrechnungsjahr 2011 zugrundegelegt sind, stellen sich im Übrigen dieselben Probleme. Für die Ermittlung der Angemessenheit der Kosten für die Beheizung einer Wohnung mit Gaseinzelöfen und Stromradiatoren erweist sich sowohl der Heizspiegel 2009 der Stadt S. als auch der bundesweite Heizspiegel 2012 hiernach für ungeeignet. Da dem Sozialgericht keinerlei valides Datenmaterial für die Ermittlung der konkreten Angemessenheit der Heizkosten des Antragstellers ersichtlich ist, hält es das Sozialgericht, trotz eines offenkundig unwirtschaftlichen Heizverhaltens des Antragstellers, im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes für geboten, die tatsächlichen Heizkosten des Antragstellers zu berücksichtigen. Die Festlegung einer quasi „in der Luft hängenden“ Angemessenheitsgrenze ohne valide Datengrundlage wäre willkürlich.
Ein Pauschalbetrag für Haushalts- und Kochenergie kann aufgrund der völligen Ungewissheit der entsprechenden Kosten nicht abgesetzt werden3. Eine Schätzung kann nach Auffassung des Sozialgerichts Stuttgart insbesondere nicht auf die Energieverbrauchsanalyse vom 05.11.2010 gestützt werden, da das Sozialgericht die konkreten Grundlagen für die für einzelne Verbrauchsgruppen angegebenen Kosten nicht erkennen kann.
Die Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes ergibt sich bereits aus der existenzsichernden Funktion der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Zudem droht das Auflaufen erheblicher Energiekostenrückstände, wodurch eine – wegen des Ausstehens der Nachforderung aus der Jahresabrechnung ohnehin schon drohende – Einstellung der Energielieferung durch den Energieversorger zu befürchten ist.
Sozialgericht Stuttgart, Beschluss vom 22. Juni 2012 – S 18 AS 2968/12 ER