Kindesunterhalt – Grundsicherung und Leistungsfähigkeit

Durch die sozialrechtliche Berücksichtigung titulierter Unterhaltspflichten bei einem Antrag des Unterhaltspflichtigen auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende erhöht sich dessen unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit nicht1.

Nach § 1603 Abs. 1 BGB ist nicht unterhaltspflichtig, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Eltern, die sich in dieser Lage befinden, sind gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB ihren minderjährigen unverheirateten Kindern gegenüber verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden (sog. gesteigerte Unterhaltspflicht). Darin liegt eine Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Unterhaltsrecht. Aus diesen Vorschriften und aus Art. 6 Abs. 2 GG folgt auch die Verpflichtung der Eltern zum Einsatz der eigenen Arbeitskraft. Wenn der Unterhaltsverpflichtete eine ihm mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit unterlässt, obwohl er diese bei gutem Willen ausüben könnte, können deswegen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht nur die tatsächlichen, sondern auch fiktiv erzielbare Einkünfte berücksichtigt werden. Die Zurechnung fiktiver Einkünfte, in die auch mögliche Nebenverdienste einzubeziehen sind, setzt neben den nicht ausreichenden Erwerbsbemühungen eine reale Beschäftigungschance des Unterhaltspflichtigen voraus2. Schließlich darf dem Unterhaltspflichtigen auch bei einem Verstoß gegen seine Erwerbsobliegenheit nur ein Einkommen zugerechnet werden, welches von ihm realistischerweise zu erzielen ist3.

Sollte dem Unterhaltspflichtigen im Hinblick auf das für ihn erzielbare Erwerbseinkommen der Nachweis unzureichender Leistungsfähigkeit gelingen, so kann die Zurechnung eines (fiktiven) Einkommens, das ihm neben dem unterstellten Leistungsbezug gemäß dem Sozialgesetzbuch II anrechnungsfrei zu belassen wäre, seine unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit nicht erhöhen.

Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass der Bezug eines (Erwerbs)Einkommens neben einer bedürftigkeitsabhängigen Sozialleistung für sich genommen zwar noch nicht ausschließt, dass das (Erwerbs)Einkommen für den Unterhalt zur Verfügung stehen kann. Vielmehr kann der Unterhaltspflichtige unter Umständen auch dann unterhaltsrechtlich leistungsfähig sein, wenn er seinen unterhaltsrechtlichen Selbstbehalt aus Sozialleistungen bestreiten und ein den Selbstbehalt übersteigendes Nebeneinkommen für den Unterhalt einsetzen kann4.

Davon kann im vorliegenden Fall aber nicht ausgegangen werden. Die Rechtsbeschwerde hat insoweit nicht aufgezeigt, dass dem Antragsgegner bei Zurechnung eines (fiktiven) Einkommens mehr als der notwendige Selbstbehalt nach der Düsseldorfer Tabelle und den Leitlinien der Oberlandesgerichte (in diesem Fall Zwischenbetrag zwischen Erwerbstätigen- und Nichterwerbstätigenselbstbehalt) zur Verfügung stünde, so dass er für den Unterhalt teilweise leistungsfähig sein könnte5.

Die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen kann auch nicht aus einer möglichen Titulierung des Kindesunterhalts hergeleitet werden. Nach der Bundesgerichtshofsrechtsprechung erhöht sich durch die sozialrechtliche Berücksichtigung titulierter Unterhaltspflichten bei einem Antrag des Unterhaltspflichtigen auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende dessen unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit nicht6. Dies gilt nicht nur für erstmalig zu titulierende Unterhaltsansprüche, sondern auch für bereits bestehende Unterhaltstitel, die im Abänderungsverfahren an veränderte Verhältnisse anzupassen sind7.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22. Januar 2014 – XII ZB 185/12

  1. im Anschluss an BGH, Beschluss vom 19.06.2013 – XII ZB 39/11 FamRZ 2013, 1378[]
  2. BGH, Urteile BGHZ 189, 284 = FamRZ 2011, 1041 Rn. 29 ff.; und vom 03.12 2008 – XII ZR 182/06 FamRZ 2009, 314 Rn.20, 28; BGH, Beschluss vom 19.06.2013 – XII ZB 39/11 FamRZ 2013, 1378 Rn. 17 f. mwN[]
  3. BVerfG FamRZ 2010, 793, 794[]
  4. BGH, Beschluss vom 19.06.2013 – XII ZB 39/11 FamRZ 2013, 1378 Rn. 22; vgl. Wendl/Dose Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 8. Aufl. § 1 Rn. 111 ff. mwN[]
  5. vgl. BGH, Beschluss vom 19.06.2013 – XII ZB 39/11 FamRZ 2013, 1378 Rn. 23[]
  6. BGH, Beschluss vom 19.06.2013 – XII ZB 39/11 FamRZ 2013, 1378 Rn. 27[]
  7. BGH, Beschluss vom 19.06.2013 – XII ZB 39/11 FamRZ 2013, 1378 Rn. 31[]