Die Mietkosten sind vom Jobcenter auch dann in voller Höhe zu übernehmen, wenn es gegen ein einzelnes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft Sanktionen verhängt, sofern bedarfsbezogene Gründe eine Abweichung vom Kopfteilprinzip erforderlich machen.
Dies entschied jetzt das Bundessozialgericht in einem Fall aus Düsseldorf: Die Klägerin lebte mit ihrem minderjährigen Sohn und ‑ zumindest zeitweise ‑ dem 22‑jährigen Sohn D zusammen. Sie bezogen SGB II-Leistungen für Unterkunfts- und Heizaufwendungen (KdU) in Höhe der tatsächlichen Miet- und Nebenkosten von 526,50 €.
Nach mehreren Sanktionen wurden D diese Leistungen in der Zeit vom 1. Februar bis 30. April 2009 vollständig entzogen. Hintergrund ist die Regelung des § 31 Abs 5 Satz 2 SGB II aF, nach der das Arbeitslosengeld II für unter 25‑Jährige bei wiederholten Pflichtverletzungen (zB Weigerung der Aufnahme oder Fortführung einer zumutbaren Arbeit, Ausbildung oder Maßnahme) um 100 % gemindert wird.
Für den Zeitraum vom 1. Februar bis 30. April 2009 bewilligte der SGB II-Träger die Leistungen für die gesamte Bedarfsgemeinschaft neu, berücksichtigte bei der Klägerin und dem minderjährigen Sohn wie bisher einen KdU-Anspruch nach dem sog „Kopfteilprinzip“ in Höhe von jeweils 175,50 € (1/3 von 526,50 €) und setzte den Anteil von D mit „0 Euro“ fest. D ging nicht gegen die Leistungskürzung vor. Die Klägerin und ihr minderjähriger Sohn wandten im Sozialgerichtsverfahren ein, dass die tatsächlichen Mietkosten nur noch zu zwei Dritteln übernommen würden.
Wie zuvor bereits das Sozialgericht Düsseldorf1 und das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen2 entschied nun auch das Bundessozialgericht, dass die Klägerin und ihr minderjähriger Sohn jeweils weitere Leistungen für die Kosten der Unterkunft in Höhe von 87,75 € beanspruchen können:
Infolge des sanktionsbedingten Wegfalls des Anteils für D haben sich die von ihnen tatsächlich zu tragenden Wohnungsaufwendungen erhöht. Dieser Bedarf ist nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II zu übernehmen. Die Vorschrift sieht keine nur anteilige Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung bei der Nutzung einer Wohnung durch mehrere Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft vor.
Zwar ist für den Regelfall davon auszugehen, dass die Kosten der Unterkunft unabhängig von Alter und Nutzungsintensität anteilig pro Kopf aufzuteilen sind. Dies gilt jedoch ‑ trotz gemeinsamer Nutzung einer Wohnung ‑ ausnahmsweise nicht, wenn bedarfsbezogene Gründe eine Abweichung vom Kopfteilprinzip erforderlich machen. Dies ist hier der Fall. Fraglich ist zwar, ob das Jobcenter Düsseldorf berechtigt war, die Leistungen für D vollständig zu kürzen. Einen möglichen Anspruch des D konnten die Klägerin und ihr minderjähriger Sohn jedoch nicht als „bereite Mittel“ realisieren. Für den hier streitigen Zeitraum von drei Monaten muss ihr erhöhter Bedarf daher durch weitere Leistungen für Unterkunft und Heizung ausgeglichen werden.
Soweit das Jobcenter als SGB II-Träger vorträgt, dass die Sanktion damit teilweise ins Leere laufe, hat dies keine Bedeutung für die Individualansprüche der beiden Kläger. Die Klägerin ist aufgrund der im SGB II vorgesehenen Bedarfsgemeinschaft mit ihrem volljährigen Sohn bereits zum Einsatz ihres Einkommens auch für ihn verpflichtet. Eine faktische „Mithaftung“ für ein nach dem SGB II sanktioniertes Fehlverhalten des volljährigen Sohnes sieht das SGB II jedoch nicht vor.
Bundessozialgericht, Urteil vom 23. Mai 2013 – B 4 AS 67/12 R