Unabweisbarer laufender besonderer Bedarf

Ein laufender Bedarf im Sinne von § 21 Abs. 6 SGB II besteht allenfalls dann, wenn er sich innerhalb des gleichen sechsmonatigen Bewilligungszeitraums mindestens einmal wiederholt. Das erneute Entstehen eines Bedarfs außerhalb des laufenden Bewilligungszeitraums führt nicht zu einem laufenden Bedarf.

Nach § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Hilfebedürftigen gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht (§ 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II). Es handelt sich bei § 21 Abs. 6 SGB II um eine Ausnahmevorschrift für atypische Bedarfslagen, dessen Tatbestandsvoraussetzungen nach der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses des Bundestages eng und strikt sind1. Der Gesetzgeber hat damit ein Element aus dem sog. Hartz IV-Urteils des Bundesverfassungsgerichts2 umgesetzt. Das Bundesverfassungsgericht hatte die Auffassung vertreten, dass es mit Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art.20 Abs. 3 GG unvereinbar sei, dass im SGB II eine Regelung fehle, die einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherstellung eines zur Deckung des menschenwürdigen Existenzminimums unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarfs vorsehe3. Auch das Bundesverfassungsgericht ging von engen und strikten Tatbestandsvoraussetzungen aus, so dass ein derartiger zusätzlicher Anspruch nur in seltenen Fällen entstehen dürfte4.

Das Sozialgericht Karlsruhe lässt dahinstehen, ob angesichts dieser strengen Maßstäbe5, die vom Grundsicherungsempfänger geltend gemachten Kosten überhaupt geeignet sind, einen Mehrbedarf im Sinne von § 21 Abs. 6 SGB II zu begründen. Zwar wird in der Literatur angenommen, dass auch gesundheitsspezifische Bedarfe einen solchen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II auslösen können6. Jedoch gilt primär, dass die Absicherung gegen die Risiken der Krankheit und Pflegebedürftigkeit durch die Einbeziehung von Arbeitslosengeld II-Empfängern in die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung gewährleistet wird7. Erst, wenn Versicherte krankheitsbedingt Mittel benötigen, die verfassungskonform nicht dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung unterfallen, sichern die bei Hilfebedürftigkeit eingreifenden Teile des Sozialsystems – hier in Form von Leistungen nach dem SGB II – das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum8. Es erscheint durchaus zweifelhaft, ob diese Voraussetzungen hier zu Gunsten des Grundsicherungsempfängers vorliegen9.

Aber jedenfalls ist das Tatbestandsmerkmal „laufender“ Bedarf nicht erfüllt. Diese Voraussetzung ist nur erfüllt, wenn sich der Bedarf innerhalb eines Bewilligungszeitraumes wiederholt10, der nach § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB regelmäßig sechs Monate umfasst. Ein laufender Bedarf besteht hingegen nicht, wenn er lediglich prognostisch zumindest im nächsten Bewilligungszeitraum wieder entsteht11.

Dies ergibt sich aus dem Wortlaut, der Systematik und der Entstehungsgeschichte. Bereits nach dem allgemeinen Begriffsverständnis spricht die Verwendung des Wortes „laufender“ für einen wiederholten, nahezu ständig, jedenfalls nicht in allzu großen Abständen auftretenden Bedarf als Anspruchsvoraussetzung. Dass es nicht ausreicht, wenn der Bedarf nur einmal in einem Bewilligungszeitraum auftritt und sich frühestens im nächsten Bewilligungszeitraum wiederholt, ergibt sich auch aus der Gesamtkonzeption des SGB II. Die Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende sollen keine Dauerleistungen sein, sondern nur vorübergehend erbracht werden. Diese Zielsetzung spiegelt sich etwa in § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB II, wonach die Grundsicherung für Arbeitsuchende die Eigenverantwortung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten und Personen, die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, stärken und dazu beitragen soll, dass sie ihren Lebensunterhalt unabhängig von der Grundsicherung aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten können. Konkretisiert wird der vorübergehende Charakter der Leistungen nach dem SGB II durch § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II, wonach die Leistungen jeweils für sechs Monate bewilligt werden. Es würde auch dem Zweck begrenzter Bewilligungszeiträume, eine regelmäßige Überprüfung der Hilfebedürftigkeit in überschaubaren zeitlichen Abständen zu gewährleisten12, widersprechen, wenn die Gewährung eines Mehrbedarfs von dessen potentiellen bzw. prognostischen Entstehen zu einem späteren Zeitraum abhängig gemacht würde, ohne dass bereits – im Zuge der Bewilligungsentscheidung über die Regelbedarfe – feststünde oder auch nur geprüft werden könnte, ob zum späteren Zeitpunkt die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen überhaupt vorliegen.

Diese angesichts von Wortlaut und Systematik naheliegende Auslegung ist im Hinblick auf den Willen des Gesetzgebers schließlich zwingend. Der Gesetzgeber ging davon, dass ein Anspruch nach § 21 Abs. 6 SGB II nur bestehe, wenn es sich unter anderem um einen „regelmäßig wiederkehrenden“ Bedarf handele, wobei für die Beurteilung der Regelmäßigkeit auf den Bewilligungszeitraum abzustellen sei13. Der – insofern dokumentierte – eindeutige Wille des Gesetzgebers bildet eine der Grenzen der Auslegung14. Da der eindeutige Wille des Gesetzgebers auch die Grenze für eine (vermeintlich) verfassungskonforme Auslegung markiert, da eine verfassungskonforme Auslegung den für die Gesetzesauslegung geltenden methodischen Grenzen unterliegt15, kann einer entstehungsgeschichtlich orientierten Auslegung auch nicht der verfassungsrechtliche Hintergrund der Neuregelung entgegengehalten werden16. Im Übrigen hat das Sozialgericht aber jedenfalls für die vorliegende Konstellation auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken, da die Ermöglichung der Teilnahme an einer Kurmaßnahme nicht zum menschenwürdigen Existenzminimum gehört und sich ein Anspruch auf Übernahme der hierdurch entstehenden Kosten nicht verfassungsrechtlich begründen lässt, wenn man den Gehalt von Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art.20 Abs. 3 GG nicht banalisieren will17.

Angesichts dessen kann im Fall des Grundsicherungsempfängers ein laufender Bedarf nicht festgestellt werden. Vielmehr entstehen die Kosten für den Kuraufenthalt in H. allenfalls einmal jährlich, jedenfalls nicht mehrmals pro Bewilligungszeitraum.

Daher kann dahinstehen, ob die anderen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, insbesondere, ob der Kuraufenthalt gerade in H. und die vom Grundsicherungsempfänger geltend gemachten Kosten unabweisbar waren.

Der vom Grundsicherungsempfänger geltend gemachte Anspruch folgt auch nicht aus § 24 Abs. 1 SGB II. Danach erbringt, wenn im Einzelfall ein vom Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf nicht gedeckt werden kann, die Agentur für Arbeit bei entsprechendem Nachweis den Bedarf als Sachleistung oder als Geldleistung und gewährt dem Leistungsberechtigten ein entsprechendes Darlehen. Die Klage ist nicht auf ein solches Darlehen gerichtet, sondern auf die Kostenübernahme als Zuschuss. Ein privates Darlehen – so die Darstellung des Grundsicherungsempfängers – hat ihm die Finanzierung der Reise- und Unterkunftskosten bereits möglich gemacht. Hierdurch wird deutlich, dass ihm an einem Darlehen – als Minus gegenüber einem Zuschuss – nicht gelegen ist.

Sozialgericht Karlsruhe, Urteil vom 8. Juli 2014 – S 15 AS 2552/13

  1. BT-Drs. 17/1465, S. 8[]
  2. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u. a., BVerfGE 125, 175 ff.; dazu etwa Aubel, in: Emmenegger/Wiedmann [Hrsg.], Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Band 2, 2011, S. 273 ff.[]
  3. BVerfGE 125, 175 [252][]
  4. BVerfGE 125, 175 [255][]
  5. für enge Auslegung etwa auch Tattermusch, in: Estelmann [Hrsg.], SGB II, § 21 Rn. 109 [Mai 2012][]
  6. Knickrehm/Hahn, in: Eicher [Hrsg.], SGB II, 3. Aufl.2013, § 21 Rn. 74[]
  7. BVerfGE 125, 175 [228]; BSG, Urteil vom 26.05.2011 – B 14 AS 146/10 R 23 f.[]
  8. so 3. Leitsatz bei BSG, Urteil vom 06.03.2012 – B 1 KR 24/10 R, juris; LSG Sachsen, Beschluss vom 25.09.2013 – L 7 AS 83/12 NZB 29[]
  9. vgl. auch Urteil der erkennenden Sozialgericht vom 11.06.2014 – S 15 AS 2553/13 22[]
  10. so auch Tattermusch, in: Estelmann [Hrsg.], SGB II, § 21 Rn. 106 [Mai 2012]; mindestens drei Mal pro Bewilligungszeitraum: Herold-Tews, in: Löns/Herold-Tews [Hrsg.], SGB II, 3. Aufl.2011, § 21 Rn. 39[]
  11. so aber etwa LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.04.2014 – L 13 AS 5379/13 B, n. v.; Behrend, in: jurisPK-SGB II, 3. Aufl.2012, § 21 Rn. 81; Knickrehm/Hahn, in: Eicher [Hrsg.], SGB II, 3. Aufl.2013, § 21 Rn. 68 m.w.N.[]
  12. Begründung des Gesetzesentwurfes auf BT-Drs. 15/1516, S. 63[]
  13. so Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses des Bundestages, BT-Drs. 17/1465, S. 8 f.[]
  14. BVerfGE 71, 81 [105]; 93, 37 [81]; 98, 17 [45]; 101, 312 [329]; 119, 247 [274, 279]; 121, 30 [68]; 122, 39 [61]; 128, 157 [179][]
  15. BVerfGE 71, 81 [105]; 119, 247 [273 f.]; 122, 39 [60 f.][]
  16. so aber Behrend, in: jurisPK-SGB II, 3. Aufl.2012, § 21 Rn. 80[]
  17. vgl. zur Gefahr, dass Art. 1 Abs. 1 als „kleine Münze abgenutzt wird“, bereits Dürig, in: Maunz/Dürig [Begr.], GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 43 [Erstbearbeitung][]