Ein Bezieher von Grundsicherungsleistungen hat einen Anspruch auf Übernahme der Betriebskostennachzahlung, und dass ohne dass es eines gesonderten Antrags bedarf. Durch die Nachforderung der Betriebs- und Heizkosten ist eine wesentliche Änderung der Verhältnisse i.S. des § 48 SGB X eingetreten, so dass der Leistungsträger nach einer aktuellen Entscheidung des Bundessozialgerichts die Kosten zu übernehmen hat.
Die Nachforderung ist als tatsächlicher, aktueller Bedarf im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu berücksichtigen. Dies bedeutet jedoch nicht, diesen Bedarf auch hinsichtlich der Angemessenheit nach den Verhältnissen im Fälligkeitsmonat zu beurteilen. Vielmehr richtet sich die Beurteilung der Angemessenheit nach den tatsächlichen und rechtlichen Bedingungen im Zeitraum der Entstehung der Kosten im tatsächlichen Sinn. Nur eine derartige Auslegung der § § 22 Abs 1 Satz 1 und 3 SGB II wird der den Vorschriften innewohnende Schutzfunktion gerecht. Unerheblich ist mangels konkreter Umsetzung, dass der Beklagte bereits für das Jahr 2007 mit Kostensenkungsaufforderungen deutlich gemacht hatte, dass er die Unterkunftskosten für unangemessen hoch hielt.
Ob der Hilfeempfängerin die Betriebskostennachforderung zusteht, richtet sich nach § 48 Abs 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt, hier der Bewilligungsbescheid betreffend den Zeitraum 1.11.2008 bis 30.4.2009 vom 31.10.2008, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll nach § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt. Hierzu ist der Anspruch auf Kosten der Unterkunft und Heizung dem Grunde und der Höhe nach zu prüfen 1. Es ergeben sich jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass die „gedeckelten” Unterkunftskosten der Klägerin, die die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 i.V.m. § 19 Satz 1, § 22 SGB II erfüllt, zu hoch festgesetzt worden sein könnten.
Mit der Geltendmachung der Betriebskostennachforderung durch den Vermieter ist eine rechtserhebliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse eingetreten. § 22 Abs 1 SGB II erfasst nicht nur laufende, sondern auch einmalige Kosten für Unterkunft und Heizung 2. Soweit eine Nachforderung in einer Summe fällig wird, ist sie als tatsächlicher, aktueller Bedarf im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu berücksichtigen, nicht aber auf längere Zeiträume zu verteilen 3. Nachzahlungen gehören demzufolge zum aktuellen Bedarf im Fälligkeitsmonat 4.
Eine wesentliche Änderung i.S. von § 48 Abs 1 SGB X kann nicht mit der Argumentation verneint werden, die Klägerin habe im Januar 2009 keine höheren Leistungen für Unterkunft und Heizung beanspruchen können, weil ihr seit Mai 2008 lediglich noch Leistungen in abgesenkter Höhe gewährt worden seien. Hierbei kann der Senat dahinstehen lassen, ob die Annahme des Beklagten zutrifft, die Unterkunftskosten seien (von vornherein) unangemessen gewesen. Denn aus der Zuordnung des Bedarfs zum Bewilligungszeitraum der Fälligkeit der Nachforderung folgt nicht, dass auch die Angemessenheit der Unterkunfts- und Heizkosten nach den Verhältnissen im Fälligkeitsmonat zu beurteilen ist.
Klarzustellen ist vielmehr, dass die Fälligkeit der Betriebskostennachforderung im Januar 2009 nicht dazu führt, diesen Bedarf auch materiell diesem Monat zuzuordnen. Vielmehr beurteilt sich die Rechtslage nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen des Zeitraums, dem die fragliche Forderung nach ihrer Entstehung im tatsächlichen Sinne zuzuordnen ist. Für eine derartige Auslegung spricht schon die Überlegung, dass der Leistungsberechtigte allein in diesem Zeitraum die Unterkunfts- und Heizungskosten im Sinne seiner Obliegenheit zur Kostensenkung beeinflussen konnte. Nur eine derartige Auslegung des § 22 Abs 1 Satz 1 und 3 SGB II wird ferner der den Vorschriften innewohnenden Schutzfunktion gerecht, so das Bundessozialgericht. Der Anspruch beurteilt sich deshalb dem Grunde und der Höhe nach ausschließlich nach den Verhältnissen des Jahres 2007.
Unerheblich ist demgegenüber, dass der Beklagte bereits für den fraglichen Zeitraum durch mehrere Kostensenkungsaufforderungen deutlich gemacht hatte, dass er die Unterkunftskosten für unangemessen hoch hielt. Bis zur Umsetzung der Kostensenkung ab Mai 2008 stand der Klägerin zumindest ein Anspruch nach § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II zu. Dieser umfasste auch die fragliche Betriebskostennachzahlung. Insoweit hat das Bundessozialgericht bereits ausdrücklich entschieden, dass der Anwendungsbereich des § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II sich auch auf die tatsächlichen Heizkosten erstreckt 5. Dies ist zwischenzeitlich auch vom Gesetzgeber klargestellt worden.
Bundessozialgericht, Urteil vom 6. April 2011 – B 4 AS 12/10 R
- vgl. nur BSG, Urteil vom 22.03.2010 – B 4 AS 62/09 R – SozR 4–4200 § 22 Nr 38[↩]
- BSG, Urteil vom 16.12.2008 – B 14/7b AS 58/06 R – BSGE 102, 194 ff = SozR 4–4200 § 22 Nr 16, jeweils RdNr 26[↩]
- BSG, Urteil vom 15.04.2008 – B 14/7b AS 58/06 R – SozR 4–4200 § 9 Nr 5 RdNr 36[↩]
- vgl. nur BSG, Urteil vom 22.03.2010 – B 4 AS 62/09 R – SozR 4–4200 § 22 Nr 38 RdNr 13[↩]
- BSG, Urteil vom 19.09.2008 – B 14 AS 54/07 R – RdNr 21 f[↩]