Die geltend gemachte unterschiedliche Präferenz der nächtlichen Temperatur in einem Schlafzimmer begründet keinen über den für zwei Personen anzusetzenden angemessenen Wert von 60 m² hinausgehenden Raumbedarf.
Die Gefahr, vorhandenes Mobiliar könne nach einem Umzug nicht wieder aufgebaut und weiterhin genutzt werden, begründet nicht die Unzumutbarkeit einer Senkung der Kosten der Unterkunft.
Dies entschied jetzt das Landessozialgericht Baden-Württemberg und nutzte dieses Urteil gleichzeitig zu einer Rundumschau zu den Problemen unangemessener Kosten der Unterkunft:
Grundsätzliche Angemessenheit der Wohnung
Welche Kosten für Unterkunft und Heizung angemessen sind, ist nach der sog. „Produkttheorie“ zu bestimmen1. Hierbei sind die Wohnungsgröße und der Wohnungsstandard, wie er regelmäßig im m²- Preis zum Ausdruck kommt, zu berücksichtigen, wobei nicht beide Faktoren (Wohnungsgröße und Wohnungsstandard) isoliert betrachtet „angemessen“ sein müssen. Angemessen sind die Kosten, wenn und solange das Produkt aus Wohnfläche (Quadratmeterzahl) und Standard (Mietpreis je m²) eine insg. angemessene Wohnungsmiete (Referenzmiete) nicht überschreitet2.
Angemessenheit der Wohnungsgröße
Zur Bestimmung der Angemessenheit der Wohnungsgröße ist nach der Rspr. des Bundessozialgerichts auf die Werte zurückzugreifen, die die Bundesländer auf Grund des § 10WoFG festgesetzt haben3. Nach § 10 WoFG können die Länder im geförderten Wohnungsbau Grenzen für Wohnungsgrößen festlegen, bis zu denen eine Förderung in Betracht kommt. Dabei muss die Größe der zu fördernden Wohnung entsprechend ihrer Zweckbestimmung „angemessen“ sein (so § 10 Abs. 1 Nr. 1 WoFG).
Für Baden-Württemberg gilt dabei nach einer aktuellen Entscheidung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg Folgendes: Nach der zum Vollzug des Wohnraumförderungsgesetzes und des Wohnungsbindungsgesetzes erlassenen Verwaltungsvorschrift des Wirtschaftsministeriums Baden-Württemberg zur Sicherung von Bindung in der sozialen Wohnraumförderung vom 12. Februar 20024 in der Fassung vom 22. Januar 20045 ist für einen Alleinstehenden eine Gesamtwohnfläche von bis zu 45 m², für einen Haushalt mit zwei Haushaltsangehörigen eine Wohnfläche von bis zu 60 m² bzw. zwei Wohnräumen, für einen Haushalt mit drei Haushaltsangehörigen eine Wohnfläche von bis 75 m² oder drei Wohnräumen und bei einen Haushalt mit vier Haushaltsangehörigen eine Wohnfläche von bis 90 m² oder vier Wohnräume angemessen. Für jede weitere zum Haushalt rechnende Person erhöht sich die Wohnfläche um 15 m² oder einen weiteren Raum (Nr. 5.7.1. der Verwaltungsvorschrift). Für die aus zwei Personen bestehende Bedarfsgemeinschaft ist hiernach eine Größe von 60 m² zu Grunde zu legen. Ein höherer räumlicher Bedarf ist insb. nicht durch das Erfordernis zweier Schlafräume bedingt. Dies wird klägerseits damit begründet, infolge unterschiedlicher Anforderungen an die Raumtemperatur, die Klägerin zu 2 bedürfe krankheitsbedingt tiefere Temperaturen als der Kläger zu 1, bedürfe es getrennter Schlafzimmer. Es ist dem Kläger zu 1 jedoch ohne weiteres möglich und zumutbar, seinem Bedürfnis nach Nachtruhe in einer wärmeren Umgebung bei, den Bedürfnissen seiner Ehegattin angepassten Raumtemperaturen, dadurch Genüge zu tun, warme Nachtwäsche zu tragen. Auch durch die Nutzung zusätzlicher Decken ist es dem Kläger problemlos möglich, die subjektiv bevorzugte Temperatur zu erreichen. Ein über 60 m² hinausgehender Raumbedarf besteht indes nicht.
Wohnungsstandard
Der Wohnungsstandard, als zweiter Faktor der Produkttheorie, ist angemessen, wenn die Wohnung nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügt und keinen gehobenen Standard aufweist, es sich um eine „Wohnung mit bescheidenem Zuschnitt“ handelt6. Hierbei ist im Grundsatz vom Wohnort des Hilfebedürftigen als dem maßgeblichen räumlichen Vergleichsraum auszugehen7. Da es bei der Festlegung des Vergleichsraumes um die Ermittlung einer (angemessenen) Referenzmiete am Wohnort oder im weiteren Wohnumfeld des Hilfebedürftigen geht, sind die Grenzen des Vergleichsraumes insb. danach zu beschreiben, welche ausreichend großen Räume (nicht bloße Orts- oder Stadtteile) der Wohnbebauung auf Grund ihrer räumlichen Nähe zueinander, ihrer Infrastruktur und insbesondere ihrer verkehrstechnischen Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bilden.
Die Höhe der Aufwendungen, die für eine abstrakt als angemessen eingestufte Wohnung auf dem Wohnungsmarkt im Vergleichsraum aufzuwenden ist, ist anhand der tatsächlich am Markt angebotenen Wohnungen und der vermieteten Wohnungen im örtlichen Vergleichsraum zu bestimmen. Diese spiegeln sich regelmäßig in einem Mietspiegel wieder. Hierbei ist auf die Quadratmeterpreise für Wohnungen im „unteren Mietsegment“ abzustellen8.
Sind die Kosten für die bewohnte Unterkunft unangemessen i.S.d. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II, besteht grundsätzlich nur ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe der Referenzmiete9.
Keine angemessene Wohnung anmietbar
Eine darüber hinaus gehende Übernahme der tatsächlichen – unangemessenen – Kosten für Unterkunft und Heizung kommt nur dann in Betracht, wenn die Leistungsempfänger auf dem für sie maßgeblichen Wohnungsmarkt tatsächlich eine abstrakt als angemessen eingestufte Wohnung konkret nicht anmieten können10. Dies ergibt sich aus § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II, der bestimmt, dass soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sie als Bedarf des allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft so lange zu berücksichtigen sind, wie es dem allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Die Vorschrift begründet nach der Rechtsprechung des BSG eine Obliegenheit zur Kostensenkung11; der erwerbsfähige Hilfeempfänger ist gehalten, Maßnahmen zur Kostensenkung einzuleiten. Als Kostensenkungsmaßnahmen kommen z.B. ein Wohnungswechsel, (Unter-)Vermietung, Neuverhandlungen mit dem Vermieter usw. in Betracht.
Folgen der Unangemessenheit der Wohnung
Kennt der Hilfebedürftige seine Obliegenheit zur Senkung der Kosten seiner Unterkunft und sind Kostensenkungsmaßnahmen sowohl subjektiv zumutbar als auch möglich, kann er die Erstattung seiner Aufwendungen ab dem Zeitpunkt, zu dem diese Maßnahmen z.B. bei Einhaltung von Kündigungsfristen etc. wirksam werden könnten, nur noch in Höhe der Referenzmiete, also der Aufwendungen für eine angemessene Wohnung verlangen12. Eine sechsmonatige „Schonfrist“, vor Beginn der Kostensenkungsmaßnahmen und Weiterzahlung der unangemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung „im Regelfall“ für einen Sechsmonatszeitraum ohne weitere Begründung, ist weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck des § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II zu entnehmen13. Überdies wäre eine solche vorliegend in zeitlicher Hinsicht weit überschritten, da der Beklagte für zwei Jahre die unangemessenen Mietzinsen übernommen hat. Das den Klägern die Kündigung der bewohnten Wohnung nicht binnen dieses Zeitrahmens möglich gewesen ist, ist nicht ersichtlich.
Sind Kostensenkungsmaßnahmen nicht möglich oder subjektiv nicht zumutbar, werden die tatsächlichen – unangemessenen – Aufwendungen zwar zunächst übernommen, nach dem Gesetzeswortlaut des § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II „in der Regel jedoch längstens für sechs Monate“. Die Norm sieht damit selbst bei Vorliegen von „Unzumutbarkeit oder Unmöglichkeit“ vor, dass „in der Regel“ spätestens nach sechs Monaten nur noch die Aufwendungen in Höhe der Referenzmiete erstattet werden sollen (Regelfall). Da einerseits das Recht jedoch auch von Hilfebedürftigen bei der Suche von Alternativwohnungen „nichts Unmögliches oder Unzumutbares“ verlangen kann, andererseits aber die Übernahme überhöhter Kosten für Unterkunft und Heizung angesichts der genannten Rechtsfolgenanordnung exzeptionellen Charakter haben soll, sind im Rahmen der Bestimmung der Ausnahmen vom Regelfall strenge Anforderungen an die Auslegung der Tatbestandsmerkmale der Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit zu stellen. Die Erstattung nicht angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung bleibt der durch sachliche Gründe begründungspflichtige Ausnahmefall und die Obliegenheit zur Kostensenkung bleibt auch bei Unmöglichkeit oder subjektiver Unzumutbarkeit bestehen; unangemessen hohe Kosten für Unterkunft und Heizung werden auch bei Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit von Kostensenkungsmaßnahmen nicht zu angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung.
Anzuerkennende (soziale) Gründe
Besondere Gründe, die einen Ausnahmefall begründen können sind insb. grundrechtsrelevante Sachverhalte oder Härtefälle. Dazu gehört etwa die Rücksichtnahme auf das soziale und schulische Umfeld minderjähriger schulpflichtiger Kinder, die möglichst nicht durch einen Wohnungswechsel zu einem Schulwechsel gezwungen werden sollten; ebenso kann auf Alleinerziehende Rücksicht genommen werden, die zur Betreuung ihrer Kinder auf eine besondere Infrastruktur angewiesen sind, die bei einem Wohnungswechsel in entferntere Ortsteile möglicherweise verloren ginge und im neuen Wohnumfeld nicht ersetzt werden könnte. Ähnliches kann für behinderte oder pflegebedürftige Menschen bzw. für die sie betreuenden Familienangehörigen gelten, die zur Sicherstellung der Teilhabe behinderter Menschen ebenfalls auf eine besondere wohnungsnahe Infrastruktur angewiesen sind.
Weiterbenutzbarkeit des Mobiliars
Folgerichtig wird klägerseits zuvorderst darauf abgestellt, dass nach einem Umzug das bisher genutzte Mobiliar nicht mehr benutzt werden könne. Indes vermag die bloße Gefahr, vorhandene Möbel nach einem Umzug nicht wieder benutzen zu können, keine subjektive Unzumutbarkeit zu begründen. Dem Kläger obliegt es vielmehr selbst, durch sorgsames Abbauen der Einrichtung, deren Wiederaufbaumöglichkeit zu gewährleisten.
Langjährige Wohnung
Auch der Umstand, dass die Kläger langjährig in der bewohnten Wohnung leben, begründet keine subjektive Unzumutbarkeit. Vor dem Hintergrund des exzeptionellen Charakters der Übernahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft, liegt dieser Umstand bei vielen erwerbsfähigen Hilfebedürftigen vor und kann daher nicht maßgeblich berücksichtigt werden. Dies gilt insb. vor dem Hintergrund, dass auch die Einbindung der Kläger in ihr gewohntes Lebensumfeld keine Unzumutbarkeit begründet. Die Gemeinde L. befindet sich sowohl im Einzugsbereich der Stadt Geislingen an der Steige als auch im Einzugsbereich des regionalen Zentrums des Alb-Donau-Kreises, der Stadt Ulm. Sie ist an das Schienennetz der Deutschen Bahn AG angeschlossen, so dass es den Klägern auch im Falle eines Umzuges ohne weiteres möglich und zumutbar ist, die Gemeinde weiterhin zu erreichen. Auch liegt L. unmittelbar an der Bundesstraße B 10 und kann auch mit einem PKW bzw. einem Taxi erreicht werden. Mithin ist den Klägern eine Reduzierung der Aufwendungen für die bewohnte Wohnung durch einen Umzug subjektiv nicht unzumutbar.
Objektive Unmöglichkeit einer Unterkunftsalternative
Eine objektive Unmöglichkeit einer Unterkunftsalternative ist nur in seltenen Ausnahmefällen zu begründen, da es in Deutschland derzeit keine allgemeine Wohnungsnot gibt und allenfalls in einzelnen Regionen Mangel an ausreichendem Wohnraum herrscht2, zu denen die Gemeinde L. nicht gehört. Überdies ist bei der Suche nach Alternativwohnungen nicht lediglich auf die aktuelle Wohngemeinde des Hilfebedürftigen abzustellen. Zwar ist die Notwendigkeit, das bestehende soziale Umfeld aufrechtzuerhalten zu respektieren, dies bedeutet jedoch nicht, dass keinerlei Veränderungen der Wohnraumsituation stattfinden dürften. Vielmehr sind vom Hilfeempfänger auch Anfahrtswege mit öffentlichen Verkehrsmitteln hinzunehmen, wie sie etwa erwerbstätigen Pendlern als selbstverständlich zugemutet werden2. Da die vom Beklagten im Verwaltungsverfahren ermittelten Wohnungen (u.a. in Heidenheim an der Brenz und Amstetten) innerhalb des zumutbaren Pendelbereichs liegen14, ist es den Klägern objektiv nicht unmöglich, angemessenen Wohnraum anzumieten.
Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Januar 2010 – L 13 AS 3303/08
- st. Rspr. des BSG, u.a. Urteile vom 07.11.2006 – B 7 b AS 10/06 R und B 7 b AS 18/06 R; Urteil vom 27.02.2008 – B 14/7b AS 70/06 R; Urteil vom 18.06.2008 – B 14/7b AS 44/06 R[↩]
- vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 – B 4 AS 30/08 R[↩][↩][↩]
- vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 18/06 R; Urteil vom 18.06.2008 – B 14/7b AS 44/06 R; Urteil vom 19.02.2009 -B 4 AS 30/08 R[↩]
- GABl. 2002, 240[↩]
- GABl. 248[↩]
- „lediglich einfacher und im unteren Segment liegender Ausstattungsgrad der Wohnung“, vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 10/06 R[↩]
- BSG, Urteil vom 19.02.2009 – B 4 AS 30/08 R[↩]
- vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 19.02.2009 – B 4 AS 30/08 R[↩]
- vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 10/06 R; Urteil vom 18.06.2008 – B 14/7b AS 44/06 R[↩]
- BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 18/06 R[↩]
- BSG, Urteil vom 27.02.2008 – B 14/7b AS 70/06 R; Urteil vom 19.02.2009 – B 4 AS 30/08 R[↩]
- vgl. Lang/Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 22 RdNr 61[↩]
- BSG, Urteil vom 19.02.2009 – B 4 AS 30/08[↩]
- vgl. hierzu § 121 Abs. 4 Satz 2 SGB III, der Pendelzeiten erst ab einer Dauer von 2 ½ Stunden als unverhältnismäßig definiert[↩]