Aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) und dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) folgt das Gebot einer weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten im Bereich des Rechtsschutzes1. Aus diesem Grundsatz der Rechtsschutzgleichheit ergibt sich eine Pflicht zur Angleichung der Stellung Unbemittelter an die der Bemittelten auch für den außergerichtlichen Rechtsschutz2. Weder der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG noch das Sozialstaatsprinzip in Art. 20 Abs. 1 GG oder das Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG sind in ihrer Geltung auf gerichtliche Verfahren beschränkt. Die für das gerichtliche Verfahren grundlegende Rechtsschutzgleichheit ist im außergerichtlichen Bereich als Rechtswahrnehmungsgleichheit zu gewährleisten. Dem dient das Beratungshilferecht.
Die Auslegung und Anwendung des Beratungshilfegesetzes obliegt in erster Linie den zuständigen Fachgerichten. Der Entscheidungsspielraum, der ihnen bei der Auslegung der Bestimmungen des Beratungshilfegesetzes zukommt, ist nur dann in verfassungsrechtlich angreifbarer Weise überschritten, wenn ein Auslegungsmaßstab verwendet wird, der die Rechtswahrnehmung für unbemittelte Rechtsuchende im Vergleich zu bemittelten Rechtsuchenden unverhältnismäßig einschränkt3. Dabei sind Unbemittelte nur solchen Bemittelten gleichzustellen, die bei ihrer Entscheidung für die Inanspruchnahme von Rechtsrat auch die hierdurch entstehenden Kosten berücksichtigen und vernünftig abwägen4. Kostenbewusste Rechtsuchende werden dabei nicht nur prüfen, inwieweit sie fremde Hilfe zur effektiven Ausübung ihrer Rechte brauchen oder selbst dazu in der Lage sind5. Sie werden auch Überlegungen dazu anstellen, zu welchem Zeitpunkt Hilfe zur effektiven Ausübung ihrer Rechte erforderlich ist.
Vorliegend hat sich der Grundsicherungsträger, der von der Unangemessenheit der Kosten der Unterkunft des Beschwerdeführers ausging, mit dem sozialpsychiatrischen Dienst des Gesundheitsamtes in Verbindung gesetzt, um zu klären, ob dem Beschwerdeführer aus gesundheitlichen Gründen die Senkung der Unterkunftskosten mittels eines Umzuges subjektiv zumutbar ist (vgl. § 35 Abs. 2 Satz 2 SGB XII n.F.). Kostenbewusste Rechtsuchende hätten abgewartet, welche Erkenntnisse diese Ermittlungen erbracht hätten und ob und in welcher Form der Verwaltungsträger diese genutzt hätte. Sie hätten erst dann vernünftigerweise um anwaltliche Hilfe nachgesucht, wenn die Aufhebung eines Rechts oder die Feststellung, dass ein Recht nicht oder nicht in der begehrten Höhe besteht, tatsächlich greifbar bevorsteht. Erst dann droht eine rechtliche Betroffenheit, die hier noch völlig im Ungewissen lag. Daher war kein Grund gegeben, sich anwaltlicher Hilfe zu bedienen. Die Befürchtung, in ungewisser Zukunft einen Rechtsverlust zu erleiden, begründet regelmäßig keinen Anspruch auf Beratungshilfe.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 9. Januar 2012 – 1 BvR 2852/11
- vgl. BVerfGE 9, 124, 130 f.; 10, 264, 270 f.; 22, 83, 86; 51, 295, 302; 56, 139, 143; 63, 380, 394 f.; zu Art. 20 Abs. 3 GG: BVerfGE 81, 347, 356[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.10.2008 – 1 BvR 2310/06, NJW 2009, 209 ff.[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.05.2009 – 1 BvR 1517/08[↩]
- vgl. BVerfGE 122, 39, 49; BVerfG, Beschluss vom 11.05.2009 – 1 BvR 1517/08[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.09.2010 – 1 BvR 440/10[↩]