Erreichbarkeit in der Elternzeit

Nach § 7 Abs. 4a SGB II erhält keine Leistungen nach dem SGB II, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des in der Erreichbarkeitsanordnung definierten zeit- und ortsnahen Bereichs aufhält.

§ 7 Abs. 4a SGB II ist allerdings nicht anwendbar auf alleinerziehende Hilfebedürftige, die sich in Elternzeit befinden.

Die Vorgabe, den zeit- und ortsnahen Bereich im Sinne der EAO nicht ohne Zustimmung des Ansprechpartners zu verlassen, schränkt die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Handlungsfreiheit des Hilfebedürftigen ein. Angesichts dessen ist stets zu prüfen, ob hierfür unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls eine sachliche Rechtfertigung besteht1.

Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll § 7 Abs. 4a SGB II dazu beitragen, den Hilfebedürftigen zu einer aktiven Mitwirkung an seiner Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu bewegen2. Damit der Grundsicherungsträger eine effektive Vermittlungstätigkeit entfalten kann, soll der Hilfebedürftige für diesen erreichbar sein3.

Kommt indes im Einzelfall gar keine Eingliederung in den Arbeitsmarkt in Betracht, so besteht kein Grund, die Handlungsfreiheit des Hilfebedürftigen zu begrenzen; § 7 Abs. 4a SGB II findet in einer solchen Konstellation keine Anwendung. Dies gilt zum einen für erwerbsunfähige Bezieher von Sozialgeld nach § 28 SGB II4, zum anderen für Hilfebedürftige, denen nach § 10 Abs. 1 SGB II keine Erwerbstätigkeit zumutbar ist5.

Gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II ist einem Hilfebedürftigen die Ausübung einer Arbeit unzumutbar, wenn sie die Erziehung seines Kindes gefährden würde. Jedenfalls bei Betreuung eines Kindes unter drei Jahren durch einen Alleinerziehenden kann der Grundsicherungsträger die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht verlangen6. Dies gilt auch und erst recht, wenn sich der alleinerziehende Hilfebedürftige gemäß § 15 BEEG in Elternzeit befindet7: Nimmt ein Arbeitnehmer Elternzeit in Anspruch, bleibt sein Arbeitsverhältnis bestehen; allerdings ruhen die wechselseitigen Hauptpflichten wie die Vergütungspflicht und die Arbeitspflicht8. Es wäre widersprüchlich, den Hilfebedürftige einerseits von der Pflicht freizustellen, in seinem bisherigen und weiter bestehenden Beschäftigungsverhältnis zu arbeiten (um ihm die Betreuung seines Kindes zu ermöglichen), ihn andererseits aber zu verpflichten, eine andere Erwerbstätigkeit aufzunehmen.

Vor diesem Hintergrund findet § 7 Abs. 4a SGB II im vorliegend vom Sozialgericht Karlsruhe entschiedenen Fall keine Anwendung, obwohl sich die Klägerin während ihres laufenden ALG II-Bezugs in Tunesien aufhielt: Die Klägerin hatte bei Beginn des streitigen Zeitraums als Alleinerziehende für die Pflege und Erziehung ihrer (siebenjährigen) Tochter M. und ihres (einjährigen) Sohnes Y. gesorgt. Zudem befand sie sich seit der Geburt ihres Sohnes in Elternzeit. Angesichts dessen bestand im streitigen Zeitraum für sie keine Verpflichtung zur Aufnahme einer Arbeit und damit auch keine Verpflichtung, auf etwaige Vermittlungsvorschläge der Beklagten zu reagieren. Es fehlte also an einem rechtfertigenden Grund dafür, die Klägerin den Anforderungen der EAO an die Erreichbarkeit zu unterwerfen.

Sozialgericht Karlsruhe, Urteil vom 14. März 2011 – S 5 AS 4172/10

  1. Winkler , info also 2007, 3, 7[]
  2. BT-Drucks. 16/1696 Seite 26[]
  3. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 14.07.2010 – L 3 AS 3552/09; Brühl/Schoch in: Münder , SGB II, 3. Aufl., § 7 Rdnr. 109[]
  4. LSG Baden-Württemberg, a. a. O.[]
  5. Brühl/Schoch , a. a. O.; Winkler , a. a. O., Seite 9[]
  6. Brühl in: Münder , a. a. O., § 10 Rdnr. 17; Valgolio in: Hauck/Noftz , SGB II, § 10 Rdnr. 105; Hackethal in: jurisPK-SGB II, 2. Aufl., § 10 Rdnr. 19[]
  7. Brühl , a. a. O., Rdnr. 18[]
  8. Sievers in: Hambüchen , BEEG/EStG/BKGG, § 15 BEEG Rdnr. 45; Dörner/Gallner in: ErfK, 11. Aufl., § 15 BEEG Rdnr. 10 und 25[]