Die Kosten für empfängnisverhütende Mittel können bei einer über 20-Jährigen nicht im Rahmen der Sozialhilfe übernommen werden.
Ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für die ärztlich verordneten empfängnisverhütenden Mittel ergibt sich nicht aus § 49 Satz 2 SGB XII, wenn die Sozialhilfeempfängerin das 20. Lebensjahr bereits vollendet hat. Die entsprechende einschränkende Leistungsvoraussetzung folgt aus § 52 Abs 1 Satz 1 SGB XII1 iVm § 24a Abs 2 SGB V2. Ein Anspruch auf empfängnisverhütende Mittel, den Hilfebezieher nach dem BSHG auf den gegenüber § 24a Abs 2 SGB V weiter gehenden § 37b Satz 2 Nr 2 BSHG3 bzw4 auf § 36 BSHG5 stützen konnten, besteht seit dem 1.01.2004 nicht mehr. Dies ergibt sich aus der historischen Entwicklung der maßgeblichen Regelungen unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Ziels.
§ 49 Satz 2 SGB XII geht zurück auf § 37b Satz 2 Nr 2 BSHG, der Teilregelung des zum 1.12.1975 (im Zuge der damaligen Reform des § 218 StGB) in das BSHG unter Abschnitt 3 „Hilfe in besonderen Lebenslagen“ eingefügten Unterabschnitts 5a „Hilfe zur Familienplanung“ war (vgl § 5 Nr 5 des Gesetzes über ergänzende Maßnahmen zum Fünften Strafrechtsreformgesetz). Während in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) lediglich Ansprüche auf ärztliche Beratung über Fragen der Empfängnisregelung einschließlich der erforderlichen Untersuchung und Verordnung von empfängnisregelnden Mitteln eingeräumt worden waren (vgl § 200e RVO, eingefügt mit § 1 Nr 2 dieses Gesetzes), die Kosten für empfängnisverhütende Mittel als solche für gesetzlich Krankenversicherte aber ausdrücklich der Eigenvorsorge unterfallen sollten6, ist § 37b BSHG weiter gefasst worden: Neben den § 200e RVO entsprechenden Maßnahmen für nicht gesetzlich versicherte Sozialhilfebezieher (vgl § 37b Satz 2 Nr 1 BSHG) sollte als generelles, primäres Angebot eine Übernahme von Kosten für ärztlich verordnete empfängnisverhütende Mittel im Hinblick auf die finanzielle Lage sozialhilfebedürftiger Frauen geschaffen werden (vgl § 37b Satz 2 Nr 2 BSHG). Maßnahmen der Familienplanung sollten nicht daran scheitern, dass von den Hilfesuchenden die erforderlichen finanziellen Mittel nicht aufgebracht werden könnten7.
In der GKV besteht seit Inkrafttreten des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes vom 27.07.19928 zum 5.08.1992 für Versicherte ein Anspruch auf Versorgung mit empfängnisverhütenden Mitteln zur Familienplanung, soweit sie jünger als 20 Jahre sind und das Mittel ärztlich verordnet wird (vgl § 24a Abs 2 SGB V). Nach der Gesetzesbegründung ist von § 24a Abs 2 SGB V der Kreis der Frauen erfasst, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Lage, insbesondere weil sie sich noch in der Ausbildung befinden, am wenigsten in der Lage sind, die Kosten für empfängnisverhütende Mittel selbst aufzubringen. Eine Heraufsetzung dieser Altersgrenze sei wünschenswert; eine entsprechende Finanzierung müsse aber noch geklärt werden9. Danach sind keine Änderungen des § 24a SGB V in der Sache erfolgt. § 37b Satz 2 Nr 2 BSHG ist demgegenüber nach Einführung von § 24a SGB V inhaltlich unverändert geblieben, sodass sich für Hilfeempfänger nach dem BSHG10 ein gegenüber den Leistungen der GKV weitergehender Anspruch ergab.
Diese Begünstigung Hilfebedürftiger nach dem BSHG ist indes zum 1. Januar 2004 entfallen. Seither bestimmt § 38 Abs 1 Satz 1 BSHG11 und ihm folgend § 52 Abs 1 Satz 1 SGB XII (der entsprechend im Gesetzgebungsverfahren des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch angepasst worden ist), dass die Vorschriften des 4. Unterabschnitts der Hilfe in besonderen Lebenslagen nach dem BSHG bzw des Fünften Kapitels des SGB XII dem Leistungsberechtigten einen Anspruch auf Hilfe bei Krankheit nur entsprechend dem SGB V einräumen. Die zuvor enthaltene Erweiterung im 2. Halbsatz („soweit in diesem Gesetz keine andere Regelung getroffen ist“) ist zu diesem Zeitpunkt gestrichen worden. Der Senat hat bereits hinsichtlich der Zuzahlungsregelungen der §§ 61, 62 SGB V entschieden, diese Gesetzesentwicklung lasse nur den Schluss zu, dass die Übernahme finanzieller Eigenleistungen durch den Sozialhilfeträger auf Grundlage des § 37 BSHG (bis 31. Dezember 2004) bzw § 48 SGB XII (ab 1. Januar 2005) ausscheide12. Dies gilt auch hinsichtlich des Leistungsumfangs der übrigen in §§ 47 bis 51 SGB XII geregelten Hilfen zur Gesundheit. § 24a Abs 2 SGB V trifft mit dem Ausschluss für Versicherte nach Vollendung des 20. Lebensjahres und der Beschränkung auf verordnungsfähige und ärztlich verordnete Kontrazeptiva eine solche Regelung zum Leistungsumfang der GKV13. Damit scheidet eine Kostenerstattung von empfängnisverhütenden Mitteln nach Vollendung des 20. Lebensjahres auch auf Grundlage des § 49 SGB XII aus14.
Hiergegen lässt sich nicht einwenden, die Änderung des § 38 Abs 1 Satz 1 BSHG zum 1.01.2004 beziehe sich nur auf die Streichung der Zuzahlungsregelungen in § 38 Abs 2 BSHG, nicht aber auf die sonstigen Hilfen zur Gesundheit15. Aus der amtlichen Überschrift des § 38 BSHG nach seiner Änderung wie der des § 52 SGB XII („Leistungserbringung, Vergütung“) folgt nicht, dass hier ausschließlich die Leistungserbringung durch Bezugnahme auf das SGB V geregelt würde. Schon aus § 52 Abs 1 Satz 2 SGB XII zu sog Satzungsregelungen der Krankenkassen lässt sich erkennen, dass auch Umfang und Inhalt der Leistungen nach §§ 47 bis 51 SGB XII und damit ebenso § 49 SGB XII erfasst sind. Die eigentliche Normierung der Leistungserbringung findet sich in § 52 Abs 3 SGB XII.
Zwar ist die Änderung in § 38 Abs 1 Satz 1 BSHG mit dem GMG in den Gesetzesmaterialien lediglich als „Folgeänderung“ zur Streichung der Zuzahlungsregelungen in § 38 Abs 2 BSHG bezeichnet. Mit der Änderung des gesamten Unterabschnitts und insbesondere der Einführung des § 264 SGB V („Quasiversicherung“) war aber die Gleichstellung der Sozialhilfeempfänger, die nicht in der GKV versichert sind, mit GKV-Versicherten nicht nur hinsichtlich der Zuzahlungsregelungen, sondern umfassend beabsichtigt16. § 49 SGB XII hat damit allerdings – wie uU weitere Teile der §§ 47 bis 51 SGB XII – schon seit Inkrafttreten des SGB XII für die Versicherten und „Quasiversicherten“ keine praktische Bedeutung mehr. Dass dieser Aspekt in den Gesetzesmaterialien bei den Änderungen des BSHG keine Erwähnung findet und auch die Folgeregelungen im SGB XII nicht eingehend erläutert werden17, lässt nicht den Schluss zu, es solle mit § 49 SGB XII weiterhin eine gegenüber dem SGB V günstigere Regelung für sozialhilfebedürftige Frauen bestehen18.
Sinn und Zweck der Hilfen zur Gesundheit – und dabei auch der Hilfen zur Familienplanung – steht dieses Ergebnis nicht entgegen. Entsprach noch bei Einführung des § 24a Abs 2 SGB V eine weitergehende Kostenübernahme für Hilfebedürftige in § 37b BSHG dem gesetzgeberischen Willen, lässt sich dies im Ergebnis der folgenden Gesetzesänderungen nicht mehr ersehen. Mit der Streichung des § 38 Abs 2 BSHG aF hat der Gesetzgeber des GMG zugleich bestimmt, dass der in der Regelsatzverordnung näher umschriebene Regelsatz auch Leistungen für Kosten bei Krankheit, bei vorbeugender und bei sonstiger Hilfe umfasst, soweit sie nicht nach den §§ 36 bis 38 des Gesetzes übernommen werden (Art 29 GMG)19. Dementsprechend sind bei der Sonderauswertung der EVS 2003 die Positionen „Pharmazeutische Erzeugnisse“, zu denen verschreibungspflichtige Kontrazeptiva zählen, in vollem Umfang berücksichtigt20. Auch die Kosten, die nach Auswertung der EVS 2008 auf die Versorgung mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln entfallen, werden – zusätzlich zu den Kosten für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel (5,07 €) – in vollem Umfang, nämlich in Höhe von 3,57 €, als regelsatzrelevant eingestellt21. Insgesamt sind damit seit dem 1. Januar 2011 rund 15,55 € als Kosten für Gesundheit im Regelsatz enthalten. Neben der mit dem GMG zum Ausdruck gekommenen grundsätzlichen Angleichung des Leistungsumfangs hinsichtlich der Hilfen zur Gesundheit nach dem BSHG/SGB XII an den des SGB V zeigt damit auch die Neubemessung der Regelsätze zum 1.01.2005, dass die Beschaffung solcher verschreibungspflichtiger Medikamente, die nicht von der GKV übernommen werden, der Eigenverantwortung der Hilfebedürftigen unterfällt und deshalb die Regelsätze entsprechende Kosten umfassen. Aus den vom Senat dargestellten Gründen22 rechtfertigen solche Kosten, die – wie hier – die Kosten, die üblicherweise von Frauen für Empfängnisverhütung aufgebracht werden, nicht überschreiten, für sich genommen keine Erhöhung des Regelsatzes.
Mit dieser Auslegung ergibt sich keine gleichheitswidrige Schlechterstellung gegenüber Frauen, die nach dem AsylbLG leistungsberechtigt sind. Soweit sich der Leistungsumfang Leistungsberechtigter nach dem AsylbLG nicht ohnehin nach dem SGB XII richtet (vgl § 2 Abs 2 AsylbLG), ist das System des AsylbLG, das durch ein Sachleistungssystem gekennzeichnet ist (vgl § 3 Abs 1 Satz 1 AsylbLG), nicht mit dem des SGB XII vergleichbar. Das Leistungssystem beruht gerade nicht auf der Bemessung nach Regelsätzen, in die die Kosten für empfängnisverhütende Mittel eingeflossen sind.
Ein Anspruch nach § 73 SGB XII scheidet ebenfalls aus. Hiervon werden nur atypische („besondere“ bzw „sonstige“) Lebenslagen erfasst, für die nicht bereits andere Vorschriften des SGB XII einschlägig sind23. Da Sozialhilfeempfänger – wie dargelegt – ab 1.01.2004 Kosten für empfängnisverhütende Mittel aus den allgemeinen Regelsätzen zu bestreiten haben, sofern sie das 20. Lebensjahr vollendet haben, bleibt für eine Anwendung des § 73 SGB XII kein Raum.
Auch ein Leistungsanspruch aus §§ 53, 54 Abs 1 SGB XII24 iVm 55 Abs 1 und 2 SGB IX scheidet aus. Nach § 55 Abs 1 SGB IX, auf den § 54 Abs 1 SGB XII verweist, werden Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft erbracht, die dem behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen oder sichern oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege machen und nach den Kapiteln 4 bis 6 nicht erbracht werden. Als solche Leistungen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben (soziale Rehabilitation) kommt die Kostenübernahme nicht in Betracht; denn nach den Feststellungen des LSG ist bereits nicht erkennbar, dass über den allgemeinen Wunsch nach Empfängnisverhütung vor dem Hintergrund der klägerischen Lebensumstände hinaus durch eine Empfängnisverhütung spezifische behinderungsbedingte Nachteile auszugleichen wären, um der Klägerin eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.
Bundessozialgericht, Urteil vom 15. November 2012 – B 8 SO 6/11 R
- idF, die die Norm durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 – BGBl I 3022 – erhalten hat[↩]
- idF, die die Norm durch das Gesundheitsstrukturgesetz vom 21.12.1992 – BGBl I 2266 – erhalten hat[↩]
- eingeführt mit § 5 Nr 5 des Gesetzes über ergänzende Maßnahmen zum Fünften Strafrechtsreformgesetz vom 28.08.1975 – BGBl I 2289[↩]
- ab dem 1.01.2001[↩]
- idF, die die Norm durch Art 15 Nr 6 SGB IX vom 19.06.2001 – BGBl I 1046 – erhalten hat[↩]
- vgl BT-Drucks 7/376, S 5[↩]
- BT-Drucks 7/376, S 7; im Einzelnen zum gesetzgeberischen Anliegen BVerwGE 96, 65, 66[↩]
- BGBl I 1398[↩]
- vgl BT-Drucks 12/2605, S 20[↩]
- seit dem 1.01.2001 auf Grundlage der entsprechenden Regelung in § 36 Satz 2 BSHG[↩]
- idF, die die Norm durch Art 28 Nr 4 Buchst c GMG erhalten hat[↩]
- BSGE 107, 169 ff RdNr 12 = SozR 4-3500 § 28 Nr 6[↩]
- dazu im Einzelnen Schütze in jurisPK-SGB V, 2. Aufl 2012, § 24a RdNr 29[↩]
- vgl: Söhngen in jurisPK-SGB XII, § 49 SGB XII RdNr 6 und 12; Bieritz-Harder in Lehr- und Praxis Kommentar SGB XII, 9. Aufl 2012, § 49 SGB XII RdNr 1 und 3; Flint in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Aufl 2012, § 49 SGB XII RdNr 7; Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, K § 49 RdNr 1 und 9, Stand April 2010; Rücker in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, § 49 SGB XII RdNr 16, Stand Oktober 2010; U. Meyer in Oestreicher, SGB II/SGB XII, § 49 SGB XII RdNr 9 und 19, Stand Juni 2006[↩]
- so aber Böttiger, Sozialrecht aktuell 2008, 203 ff; ähnlich Lippert in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, § 49 SGB XII, RdNr 20, Stand Januar 2011[↩]
- BT-Drucks 15/1525, S 77, und insbesondere zu § 264 SGB V, aaO, S 140 ff[↩]
- zu § 44 des Entwurfs, der § 49 SGB XII entspricht, vgl BT-Drucks 15/1514, S 62[↩]
- H. Schellhorn in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Aufl 2010, § 49 SGB XII RdNr 8[↩]
- dazu bereits BSGE 107, 169 ff, RdNr 15 = SozR 4-3500 § 28 Nr 6[↩]
- BR-Drucks 206/04, S 8[↩]
- vgl BT-Drucks 17/3404 S 58 und S 140 Zeile 101 bis 105 Code 0611 bis 0612[↩]
- vgl BSGE 107, 169 ff RdNr 15 = SozR 4-3500 § 28 Nr 6[↩]
- BSGE 107, 169 ff RdNr 13 mwN = SozR 4-3500 § 28 Nr 6[↩]
- in den Normfassungen des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das SGB XII[↩]






