Sanktionsweise Absenkung des ALG II und das Existenzminimum

Die Absenkung um 30% gem. § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der bis zum 31.03.2011 geltenden Fassung ist nach Ansicht des Landessozialgerichts Baden-Württemberg verfassungsgemäß.

§ 31 Abs. 1 SGB II a.F. eröffnet keinen Raum für eine Ermessensentscheidung oder eine Reduzierung der Absenkung der ersten Stufe im Wege einer Härtefallregelung. Richtig ist zwar, dass die Verwaltung bereits von Verfassungs wegen bei ihrem Handeln stets an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden ist. Bei gebundenen Verwaltungsentscheidungen kann der Vorwurf unverhältnismäßigen Verwaltungshandelns jedoch immer nur darauf gestützt werden, dass die Ermächtigungsgrundlage ihrerseits unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig sei. Eine Verfassungswidrigkeit des § 31 Abs. 1 SGB II a.F. ist jedoch nicht zu erkennen. Auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu den Härteklauseln im Sperrzeitenrecht ist schon deshalb nicht abzustellen, weil die Härtefallregelungen im SGB III im Hinblick auf das eigentumsgeschützte Arbeitslosengeld (eine auf eigenen Beiträgen beruhende lohnbezogene Versicherungsleistung) eingeführt wurden1.

Die vorliegend als erste Stufe erfolgte Absenkung um 30% gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der bis 31.3.2011 gültigen Fassung ist nicht verfassungswidrig. Es ist Sache des parlamentarischen Gesetzgebers, den Leistungsanspruch auf Gewährleistung des Existenzminimums in Tatbestand und Rechtsfolge zu konkretisieren2, zu dieser Konkretisierung durch einfaches Recht gehörte auch § 31 SGB II a.F. bzw. gehören ab dem 1.4.2011 die §§ 31 ff. SGB II in der Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 20113.

Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum gewährleistet keinen von Eigenaktivität und Mitwirkungsobliegenheiten unabhängigen Anspruch eines bestimmten Leistungsniveaus. Das Grundgesetz gebietet nicht die Gewährung bedarfsunabhängiger, voraussetzungsloser Sozialleistungen4.

Der Gesetzgeber hat zudem einen Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums. Dieser ist enger, soweit der Gesetzgeber das zur Sicherung der physischen Existenz eines Menschen Notwendige konkretisiert, und weiter, wo es um Art und Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben geht2. Jedenfalls der bei Art und Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erweiterte Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers lässt Raum für abgesenkte Leistungen bei Pflichtverletzungen5.

Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluß vom 23. April 2012 – L 2 AS 5594/11 NZB

  1. vgl. zuletzt BSG vom 25.08.2011 – B 11 AL 30/10 R[]
  2. BVerfG vom 09.02.2010 – 1/BvL 1/09 u.a., BVerfGE 125, 175 RdNr. 138[][]
  3. BGBl. I, 453[]
  4. Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl 2011 § 31 RdNr. 13 unter Hinweis auf BVerfG v. 7.7.2010 – 1 BvR 2556/09 = NJW 2010, 2866; ebenso BT-Drucks 17/3404, 110; vgl. auch BSG v. 9.11.2010 – B 4 AS 27/10 R = SozR 4-4200 § 31 Nr 6 RdNr 34[]
  5. Berlit a.a.O. m.w.N.[]