Ausländische Arbeitssuchende

Ein Arbeitssuchender, der tatsächliche Verbindungen mit dem Arbeitsmarkt eines EU-Mitgliedsstaats hergestellt hat, kann nach einer heute verkündeten Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften eine finanzielle Leistung in Anspruch nehmen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern soll. Unabhängig von ihrer Einstufung nach nationalem Recht ist eine solche Leistung keine „Sozialhilfeleistung“, die die Mitgliedstaaten den Arbeitsuchenden versagen können.

Anlass dieser Entscheidung waren zwei Vorabentscheidungsersuchen des Sozialgerichts Nürnberg. Das Sozialgericht hat den EuGH nach der Möglichkeit befragt, Arbeitsuchende aus anderen Mitgliedstaaten von bestimmten finanziellen Leistungen auszuschließen. Diese Frage stellt sich im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen zwei griechischen Staatsangehörigen und der Arbeitsgemeinschaft Nürnberg 900 über den Entzug der ihnen zuvor gewährten Grundsicherung für Arbeitsuchende.

Das Sozialgericht war der Auffassung, dass die beiden Kläger im maßgebenden Zeitraum die speziellen Garantien für Arbeitnehmer nicht hätten in Anspruch nehmen können, da es sich im Fall von Herrn Vatsouras um eine „kurze und nicht existenzsichernde geringfügige“ Beschäftigung und in dem von Herrn Koupatantze um eine „wenig mehr als einen Monat dauernde“ Beschäftigung gehandelt habe. Nach der Gemeinschaftsrichtlinie über die Freizügigkeit der Unionsbürger1 sei ein Mitgliedstaat nicht verpflichtet, Bürgern, die nicht wirtschaftlich tätig seien, eine Sozialhilfeleistung zu gewähren. Das Sozialgericht fragt sich jedoch, ob diese Ausnahme mit dem gemeinschaftsrechtlich garantierten Grundsatz der Gleichbehandlung in Einklang steht.

In seinem heutigen Urteil fordert der Gerichtshof das Sozialgericht zunächst auf, die Situation der Kläger im Licht seiner Rechtsprechung zur Arbeitnehmereigenschaft zu prüfen. Unabhängig von der begrenzten Höhe der Vergütung und der kurzen Dauer der Berufstätigkeit lässt sich nämlich nicht ausschließen, dass diese aufgrund einer Gesamtbewertung des betreffenden Arbeitsverhältnisses von den nationalen Stellen als tatsächlich und echt angesehen werden kann und somit erlaubt, dem Beschäftigten die „Arbeitnehmereigenschaft“ zuzuerkennen.

Sollte das Sozialgericht bei Herrn Vatsouras und Herrn Koupatantze die Arbeitnehmereigenschaft als gegeben ansehen, hätten sie aufgrund der in Rede stehenden Richtlinie2 während mindestens sechs Monaten nach dem Verlust ihres Arbeitsplatzes Anspruch auf die beantragten Leistungen gehabt.

Anschließend prüft der EuGH die Möglichkeit, Arbeitsuchenden, die nicht die Arbeitnehmereigenschaft besitzen, eine Sozialhilfeleistung zu versagen. Er erinnert insoweit daran, dass Arbeitsuchende angesichts der Einführung der Unionsbürgerschaft für die Zwecke der Inanspruchnahme einer finanziellen Leistung, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern soll, Anspruch auf Gleichbehandlung haben.

Es ist jedoch legitim, dass ein Mitgliedstaat eine solche Beihilfe nur Arbeitsuchenden gewährt, die eine tatsächliche Verbindung mit dem Arbeitsmarkt dieses Staates hergestellt haben. Das Bestehen einer solchen Verbindung kann sich u. a. aus der Feststellung ergeben, dass der Betroffene während eines angemessenen Zeitraums tatsächlich eine Beschäftigung in dem betreffenden Mitgliedstaat gesucht hat.

Folglich können Unionsbürger, die tatsächliche Verbindungen mit dem Arbeitsmarkt eines anderen Mitgliedstaats hergestellt haben, eine finanzielle Leistung in Anspruch nehmen, die unabhängig von ihrer Einstufung nach nationalem Recht den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern soll.

Es ist Sache der zuständigen nationalen Behörden und gegebenenfalls der innerstaatlichen Gerichte, nicht nur das Vorliegen einer tatsächlichen Verbindung mit dem Arbeitsmarkt festzustellen, sondern auch die grundlegenden Merkmale dieser Leistung zu prüfen. Der Zweck der Leistung ist nach Maßgabe ihrer Ergebnisse und nicht anhand ihrer formalen Struktur zu untersuchen.
Eine Voraussetzung, wie sie in Deutschland für die Grundsicherung für Arbeitsuchende vorgesehen ist, wonach der Betroffene erwerbsfähig sein muss, kann ein Hinweis darauf sein, dass die Leistung den Zugang zur Beschäftigung erleichtern soll.

Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Urteil vom 4. Juni 2009 – C-22/08 und C-23/08
(Vatsouras und Koupatantze / ARGE Nürnberg)

  1. Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (ABl. 2004, L 229, S. 35, L 197, S. 34, sowie ABl. 2007, L 204, S. 28).[]
  2. Art. 7 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 2004/38/EG.[]