Drohende Obdachlosigkeit und die Gerichtskosten

Verwaltungsgerichtliche Verfahren, in denen eine Person zur Vermeidung von Obdachlosigkeit gegenüber einem Leistungsträger die Unterbringung oder den Verbleib in einer Wohnunterkunft begehrt, betreffen eine Angelegenheit der Fürsorge und sind nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.

Nach § 188 VwGO sollen die Sachgebiete in Angelegenheiten der Fürsorge mit Ausnahme der Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes, der Jugendhilfe, der Kriegsopferfürsorge, der Schwerbehindertenfürsorge sowie der Ausbildungsförderung in einer Kammer oder in einem Senat zusammengefasst werden (Satz 1). Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in den Verfahren dieser Art nicht erhoben (Satz 2). Diese Regelungen sind für das vorliegende Verfahren anzuwenden. Dazu im Einzelnen:

Durch Art. 2 des Siebenten Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes (7. SGG ÄndG) vom 9. Dezember 20041 ist § 188 VwGO neugefasst und der weit auszulegenden Begriff der „Fürsorge“ in diese Norm (wieder) eingefügt worden. Darunter fallen insbesondere finanzielle, wirtschaftliche oder gesundheitliche Leistungen, die dem Hilfsbedürftigen ein Leben ermöglichen, das der Menschenwürde entspricht2. Verwaltungsgerichtliche Verfahren, in denen wie hier eine Person zur Vermeidung von Obdachlosigkeit gegenüber einem Leistungsträger die Unterbringung und/oder den Verbleib in einer (bestimmten) Wohnunterkunft begehrt, betreffen eine Angelegenheit der Fürsorge in dem oben dargestellten Sinn; sie sind damit nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.

An dem fürsorgerechtlichen Charakter der vorliegenden Streitigkeit ändert der Umstand nichts, dass die Fachstelle für Wohnungsnotfälle des Bezirksamts Hamburg-Nord mit Bescheid vom 28. Januar 2010 die öffentlich-rechtliche Unterbringung des Antragstellers angeordnet und die Zuweisung einer konkreten Unterkunft im Übrigen „fördern & wohnen“, der Antragsgegnerin (einer Anstalt des öffentlichen Rechts), überlassen hat. Denn unabhängig von der Frage, ob in einer solchen Anordnung – auch – eine Maßnahme zu sehen sein sollte, mit der die genannte Fachstelle Gefahren für Leib und Leben sowie für die körperliche Unversehrtheit einer obdachlosen Person vorbeugen will3, liegt der Schwerpunkt einer öffentlich-rechtlichen Unterbringung aufgrund der „Doppelnatur“ dieser Maßnahme – ähnlich der Inobhutnahme einer minderjährigen Person nach § 42 Abs. 1 SGB VIII4 – regelmäßig in der den Betroffenen begünstigenden Zuweisung einer Wohnunterkunft und dem dadurch begründeten Recht, dort (vorübergehend) wohnen zu können. Dementsprechend wird in Fällen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung eine davon betroffene obdachlose Person in aller Regel auch nicht gegen die – für sich genommen gegebenenfalls belastende – Anordnung der öffentlichen Unterbringung als solche vorgehen bzw. für den Fall der Weigerung ihrer Befolgung vorgehen müssen; eine zwangsweise Durchsetzung der Anordnung gegen den Willen des Betroffenen sieht weder der hier fragliche Bescheid der Fachstelle für Wohnungsnotfälle noch der Bescheid der Antragsgegnerin über die Zuweisung der konkreten Unterkunft vor noch ist sonst bekannt, dass die Fachstelle oder die Antragsgegnerin volljährige Personen außerhalb akuter Notfälle gegen ihren Willen in ihren Einrichtungen unterbringt.

Streit entsteht in Bezug auf öffentlich-rechtlich veranlasste oder begehrte Unterbringung vielmehr in aller Regel nur, soweit damit fürsorgerechtliche Leistungsansprüche in Bezug auf ein (vorübergehendes) Leben in einer Wohnunterkunft verbunden sind. Das betrifft etwa die Fragen, ob überhaupt wegen Obdachlosigkeit ein Anspruch auf öffentliche Unterbringung und Zuweisung einer konkreten Unterkunft besteht bzw. ob ein entsprechendes Wohnrecht – etwa wegen nicht nachgewiesener Bemühungen um Anmietung einer eigenen Wohnung oder anderer Gründe – entfallen ist bzw. ob die (Zimmer-)Zuweisung gegebenenfalls sonst zurückgenommen werden kann5. Weiter ist in diesem Zusammenhang vielfach streitig, ob eine zugewiesene konkrete Unterkunft im Hinblick auf ihr Ausstattung ausreichend oder eine Wechsel in eine andere Unterkunft zumutbar ist6.

In allen diesen Fällen stehen allein das Bestehen und/oder der konkrete Inhalt eines fürsorgerechtlichen Leistungsanspruchs in Frage und sind die entsprechenden verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten von § 188 Satz 2 VwGO erfasst. Gerichtskosten fallen deshalb dafür nicht an.

Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 14.Februar 2011 – 4 Bs 11/11

  1. BGBl I S. 3302[]
  2. vgl. BT-Drucks. 15/3867 S. 4; siehe auch BVerwG, Beschluss vom 10.12.2004, RdLH 2005, 29, zu Grundsicherungsleistungen; OVG Hamburg, Beschluss vom 09.05.2003, NJW 2004, 2177 f., ebenfalls zur Grundsicherung; Nds. OVG, Beschluss vom 03.08.2007, NVwZ-RR 2008, 68 f., dort – verneinend – zum Wohngeld[]
  3. vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 20.06.2006 – 1 Bs 143/06; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 29.10.1992, VBlBW 1993, 146; verneinend wohl OVG Berlin, Beschluss vom 03.01.1973, DÖV 1974, 353; und Beschluss vom 06.06.1989, NVwZ 1989, 989[]
  4. siehe dazu OVG Hamburg, Beschluss vom 09.02.2011 – 4 Bs 9/11[]
  5. vgl. dazu etwa OVG Hamburg, Beschluss vom 10.03.2010 – 4 Bs 54/10[]
  6. vgl. dazu etwa VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 29.10.1992, VBlBW 1993, 146; OVG Hamburg, Beschluss vom 12.11.2008 – 4 Bs 194/08[]