Eingliederungsverwaltungsakt statt Eingliederungsvereinbarung

Auch wenn die Eingliederungsvereinbarung die vorrangige Handlungsform bei der Eingliederung in Arbeit darstellt, ist das Jobcenter berechtigt, die ursprünglich vorgesehene Eingliederungsvereinbarung durch einen Verwaltungsakt mit entsprechendem Regelungsgehalt zu ersetzen, nachdem der Leistungsempfänger den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung abgelehnt hat. Dieser Eingliederungsverwaltungsakt ist jedoch rechtswidrig, wenn das Jobcenter entgegen der gesetzlichen Vorgabe ohne Ermessenserwägungen eine Geltungsdauer von mehr als sechs Monaten angeordnet hat.

Das Jobcenter kann über Leistungen zur Eingliederung in Arbeit durch Verwaltungsakt entscheiden. Zwar legt § 15 Abs 1 Satz 1 SGB II zunächst fest, die Agentur für Arbeit solle im Einvernehmen mit dem kommunalen Träger mit jedem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen die für seine Eingliederung erforderlichen Leistungen vereinbaren. § 15 Abs 1 Satz 6 SGB II bestimmt dann jedoch: Kommt eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande, sollen die in Satz 2 aufgeführten Regelungen einer Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt erfolgen.

Diese Voraussetzung ist u.a. erfüllt, wenn der Leistungsempfänger den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung ohne Begründung abgelehnt hat. In einem solchen Fall steht dem Grundsicherungsträger nur die Handlungsform Verwaltungsakt zur Verfügung1.

Der Gesetzeswortlaut legt damit für die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit einen Vorrang der konsensualen Lösung gegenüber dem hoheitlichen Handeln durch Verwaltungsakt nahe2. Hierfür spricht auch die Entstehungsgeschichte des SGB II. Der Gesetzentwurf zum SGB II betont mehrfach den besonderen Stellenwert, den man der aktiven Mitarbeit des Leistungsberechtigten bei der gemeinsamen Ausarbeitung einer Eingliederungsvereinbarung beimisst3. Der Gesetzgeber versprach sich hiervon offensichtlich eine Steigerung der Motivation des Betroffenen, an der Eingliederung in den Arbeitsmarkt aktiv mitzuwirken. Dieses gesetzgeberische Anliegen ist auch nicht deshalb vernachlässigenswert, weil die Durchsetzung der Ansprüche auf Eingliederungsleistungen nicht davon abhängt, ob diese in einer Eingliederungsvereinbarung oder einem ersetzenden Verwaltungsakt festgelegt worden sind und zudem der jeweilige Sachbearbeiter des Jobcenters womöglich am besten beurteilen kann, welcher Weg am ehesten einen raschen Eingliederungserfolg verspricht4. Zum einen stellt das Anliegen, auf der Basis konsensualer Lösungsversuche langfristig größere Eingliederungserfolge erreichen zu wollen, ein legitimes gesetzgeberisches Ziel dar; zum anderen ist im Schrifttum zutreffend deutlich gemacht worden, dass die Leistungsangebote des Grundsicherungsträgers wie auch die Selbstverpflichtungen des Grundsicherungsempfängers – in den Grenzen des § 58 SGB X – vertraglich deutlich weitergehend ausgestaltet werden können, als dies bei einer Entscheidung durch Verwaltungsakt möglich ist5.

Eine Gleichrangigkeit der Handlungsformen Vereinbarung und Verwaltungsakt kann schließlich auch nicht daraus abgeleitet werden, dass im Gesetzgebungsverfahren zwar die Notwendigkeit einer Einbeziehung des Arbeitsuchenden sprachlich stärker betont worden sei; dass letztlich jedoch die fehlende Parität zwischen Grundsicherungsträger und Arbeitsuchendem im Ergebnis nicht korrigiert worden sei; die Eingliederungsvereinbarung bilde vor allem eine Grundlage für Sanktionen bei Nichterfüllung von Pflichten durch den Arbeitsuchenden und liege damit eher im Interesse des Grundsicherungsträgers6. Zum einen gibt es zahlreiche Lebensbereiche, in denen trotz vergleichbar asymmetrischer Verhandlungspositionen die Akzeptanz vertraglicher Regelungen nicht in Zweifel gezogen wird7; zum anderen muss davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber das konsensuale Vorgehen gerade als Konfliktvermeidungsstrategie gesehen hat8. Wortlaut, Entstehungsgeschichte9 und Sinn und Zweck des § 15 Abs 1 SGB II sprechen nach allem eher dafür, dass ein die Eingliederungsvereinbarung ersetzender Verwaltungsakt nur in Betracht kommt, wenn der Grundsicherungsträger zuvor den Versuch unternommen hat, mit dem Arbeitsuchenden eine Vereinbarung zu schließen oder im Einzelfall besondere Gründe vorliegen, die den Abschluss einer Vereinbarung als nicht sachgerecht erscheinen lassen; was im ersetzenden Verwaltungsakt im Einzelnen darzulegen wäre10.

Die Rechtswidrigkeit des ursprünglich angefochtenen Verwaltungsakts, mit dem das Jobcenter eine Eingliederungsvereinbarung ersetzt hat, ergibt sich hier aus der Tatsache, dass das Jobcenter entgegen der gesetzlichen Vorgabe ohne Ermessenserwägungen eine Geltungsdauer von zehn Monaten angeordnet hat. Zwar verweist Satz 6 des § 15 Abs 1 SGB II wegen des eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakts allein auf „die Regelungen nach Satz 2“. Es ist jedoch nicht zu erkennen, dass der Grundsicherungsträger die Geltungsdauer eines ersetzenden Verwaltungsakts ohne Bindung an die Vorgabe des Satzes 3 nach freiem Ermessen festlegen können sollte. Nach § 15 Abs 1 Satz 3 SGB II soll die Eingliederungsvereinbarung für sechs Monate geschlossen werden. Aufgrund des Verhältnisses der Regelungen in Satz 1 und 2 des § 15 Abs 1 SGB II zu Satz 6 dieser Vorschrift gilt dies auch für den die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt.

Bei der Entscheidung über die Geltungsdauer ist das Ermessen des Grundsicherungsträgers danach gebunden. Für den Regelfall sieht der Gesetzgeber sechs Monate als angemessen an. Die sechsmonatige Regellaufzeit entspricht dem Bewilligungszeitraum für Leistungen nach dem SGB II gemäß § 41 Abs 1 Satz 2 SGB II. Bis zum 31.12.2006 galt als Übergangsregelung zur Entlastung der Verwaltung noch eine Laufzeit von bis zu zwölf Monaten11. Die nunmehr geltende kürzere Frist von sechs Monaten gibt dem Hilfebedürftigen einerseits einen stabilen, verlässlichen Rahmen, garantiert aber andererseits durch kontinuierliche Beobachtung, dass nicht an Zielen starr festgehalten wird, die sich als erfolglos erwiesen haben12. Deshalb „soll“ nach Satz 4 des § 15 Abs 1 SGB II nach Ablauf von sechs Monaten eine neue Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen werden.

Eine Anfrage beim 4. Senat des Bundessozialgerichts nach § 41 Abs 3 Satz 1 SGG war nicht geboten. Eine Anfrage kommt danach nur in Betracht, wenn der erkennende 14. Senat mit einem in der zu treffenden Entscheidung beabsichtigten Rechtssatz von einem in einem früheren Urteil enthaltenen tragenden Rechtssatz eines anderen Senats abweichen will13. Es ist nicht erkennbar, dass es für das Urteil vom 22.09.200914, in dem allein über den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung zu entscheiden war, auf die dort geäußerte Rechtsauffassung ankam, die Handlungsformen Vereinbarung und Verwaltungsakt seien bei der Gewährung von Leistungen zur Eingliederung in Arbeit gleichrangig15.

Bundessozialgericht, Urteil vom 14. Februar 2013 – B 14 AS 195/11 R

  1. Müller in Hauck/Noftz, SGB II, Stand VII/12, K § 15 RdNr 24 f[]
  2. so insbes Huckenbeck in Löns/Herold-Tews, SGB II, 3. Aufl 2011, § 15 RdNr 10; Müller, aaO, § 15 RdNr 13; Sonnhoff in jurisPK-SGB II, 3. Aufl 2012, § 15 RdNr 24[]
  3. BT-Drucks 15/1516, S 44, 46[]
  4. so aber BSG Urteil vom 22.09.2009 – B 4 AS 13/09 R, BSGE 104, 185, 188 = SozR 4-4200 § 15 Nr 1, RdNr 17[]
  5. Siefert, SGb 2010, 612, 616[]
  6. BSGE 104, 185, 188 = SozR 4-4200 § 15 Nr 1[]
  7. Siefert, SGb 2010, 612, 615[]
  8. Müller in Hauck/Noftz, SGB II, Stand VII/12, K § 15 RdNr 15[]
  9. hierzu speziell: Müller, aaO, RdNr 17[]
  10. Huckenbeck, aaO, § 15 RdNr 11[]
  11. vgl. dazu Fuchsloch in Gagel, SGB II, Stand Juni 2006, § 15 RdNr 73[]
  12. vgl Fuchsloch, aaO; Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl 2011, § 15 RdNr 36 f[]
  13. BSGE 58, 183, 186 f = SozR 1500 § 42 Nr 10; vgl May, Die Revision, 2. Aufl 1997, Kap V E, RdNr 133, 136[]
  14. BSGE 104, 185 = SozR 4-4200 § 15 Nr 1[]
  15. so auch Siefert, SGb 2010, 612, 615[]