Geldgeschenke der Eltern mindern den Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II. Bleibt unklar, ob die Geldzahlung von Verwandten zur Unterstützung eines Hartz IV Empfängers ein Geschenk oder nur ein Darlehen sein sollte, geht dies nach einem Urteil des Sozialgerichts Berlin zu Lasten des ALG II-Empfängers. Die Zahlung ist als Einkommen leistungsmindernd auf den ALG II-Anspruch anzurechnen.
Viele Eltern unterstützten ihre Kinder auch noch lange nach deren Auszug mit Geldzuwendungen. Die Grauzone zwischen „geschenkt“ und „geborgt“ ist dabei groß. Je enger die familiären Beziehungen, desto unklarer bleiben die Abmachungen. Bei ALG II-Empfängern ist zu prüfen, ob die Finanzspritzen der Familie als Einkommen anzurechnen sind: Geld, dass den Leistungsempfängern nur geliehen wurde, wird nicht angerechnet.
In dem hier vom Sozialgericht Berlin entschiedenen Fall machte der 28 jährige Kläger machte eine Ausbildung zum Programmierer und bezog Bafög. Seine Mutter zahlte jeden Monat seine Miete und das Schulgeld, insgesamt 750 €. Das Jobcenter lehnte seinen Antrag auf Mietzuschuss ab: Die Kosten würden ja bereits von der Mutter getragen. Der Kläger machte geltend, dass die Mutter ihm das Geld nur geliehen habe.
Das Gericht befragte Mutter und Sohn. Während der Sohn angab, nur die Miete zurückzahlen zu müssen, sagte die Mutter, dass sie auch das Schulgeld nur geliehen habe. Wieviel der Sohn einmal zurückzahlen müsse, hinge aber auch von ihrer zukünftigen finanziellen Lage ab. Eine konkrete Abmachung konnten beide nicht wiedergeben. Auch daran, ob die Einzelheiten des Darlehens vor oder nach dem Auszug des Sohnes, am Telefon oder in der mütterlichen Wohnung besprochen worden waren, konnten sich die beiden nicht mehr erinnern.
Das Sozialgericht Berlin wies die Klage daraufhin ab: Unklarheiten darüber, ob er zur Rückzahlung wirklich verpflichtet war oder nicht, gehen zulasten des Klägers:
Um der Gefahr eines Missbrauchs von Steuermitteln entgegenzuwirken, ist bei einem Geldzufluss unter Verwandten genau zu unterscheiden zwischen verschleierter Schenkung, Unterhaltszahlung oder Darlehen. Es ist zu prüfen, ob ein Darlehensvertrag tatsächlich abgeschlossen wurde und ernst gemeint ist. Mindestvoraussetzung für ein Darlehen ist, dass spätestens zum Zeitpunkt des Geldflusses eine konkrete Verabredung über die Rückzahlungsverpflichtung getroffen worden ist. Zumindest über die Höhe des geschuldeten Betrags oder die Frage, wie dieser Betrag ermittelt werden soll, müsse Klarheit bestehen.
Nach § 22 Abs. 7 S. 1 SGB II erhalten Auszubildende, die Berufsausbildungsbeihilfe oder Ausbildungsgeld nach dem Dritten Buch oder Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz erhalten und deren Bedarf sich nach § 65 Abs. 1, § 66 Abs. 3, § 101 Abs. 3, § 105 Abs. 1 Nr. 1, 4, § 106 Abs. 1 Nr. 2 des Dritten Buches oder nach § 12 Absatz 1 Nummer 2 und Absatz 2, § 13 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 1 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst, abweichend von § 7 Abs. 5 SGB II einen Zuschuss zu ihren ungedeckten angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II).
Der Umfang der Leistungen bemisst sich anhand einer an dem SGB II orientierten Vergleichsberechnung1. D.h. der Bedarf des Auszubildenden wird fiktiv so ermittelt, als sei er Bezieher von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II unter Anwendung der Vorschriften zur Einkommensanrechnung. Der so ermittelte Bedarf nach dem SGB II stellt den Anspruch auf den Zuschuss nach § 22 Abs. 7 SGB II dar, es sei denn der tatsächliche Unterkunftskostenbedarf abzüglich der im Bafög enthaltenen Leistungen für Unterkunft und Heizung unterschreitet den vorberechneten Bedarf. In diesem Fall wird lediglich der verbleibende Unterkunftskostenbedarf gewährt. D.h. der Anspruch des Auszubildenden wird durch den nicht vom Bafög gedeckten Unterkunftskostenbedarf gedeckelt.
Vorliegend war der Unterkunftskostenbedarf des Klägers in Höhe von 280,00 € von der anrechenbaren Zuwendung der Mutter gem. § 11 Abs. 1 SGB II gedeckt. Aufgrund der Zweckbindung dieser Zahlung für die Miete war sie auch direkt mit Unterkunftskostenbedarf zu verrechnen. Dies gilt auch – wie oben ausgeführt – für die im Bafög enthaltenen Bestandteile für Unterkunft und Heizung.
Das Sozialgericht ist nach erfolgter Beweisaufnahme nicht dem Vortrag gefolgt, dass es sich lediglich um eine nicht anrechenbare darlehensweise Zahlung gehandelt habe. Zur Abgrenzung zwischen anrechenbarem Einkommen und nicht anrechenbarem Darlehen hat das Bundessozialgericht2 ausgeführt: Entscheidend für die Abgrenzung ist damit allein, ob ein Darlehensvertrag entsprechend § 488 BGB zivilrechtlich wirksam abgeschlossen worden ist. Die Aufklärung der Umstände und ihre abschließende Würdigung obliegen dabei dem Tatsachengericht. Soweit die Beklagte im Revisionsverfahren vorträgt, dass eine wirksam vereinbarte Rückzahlungsverpflichtung zwischen der Klägerin und ihrem Onkel als Hauptpflicht des Darlehensnehmers aus einem Darlehensvertrag nicht nachvollziehbar sei, hat sie die entgegenstehenden Feststellungen des LSG nicht mit einer zulässigen Verfahrensrüge angegriffen.
Um der Gefahr eines Missbrauchs von Steuermitteln entgegenzuwirken, ist es allerdings geboten, an den Nachweis des Abschlusses und der Ernstlichkeit eines Darlehensvertrages unter Verwandten strenge Anforderungen zu stellen. Dies setzt voraus, dass sich die Darlehensgewährung auch anhand der tatsächlichen Durchführung klar und eindeutig von einer verschleierten Schenkung oder einer verdeckten, auch freiwilligen Unterhaltsgewährung abgrenzen lässt. Weil und soweit der für den Hilfebedürftigen günstige Umstand, dass ein nachgewiesener Zufluss gleichwohl als Einkommen nicht zu berücksichtigen ist, seine Sphäre betrifft, obliegen ihm bei der Aufklärung der erforderlichen Tatsachen Mitwirkungspflichten; die Nichterweislichkeit der Tatsachen geht zu seinen Lasten. Bei der vorzunehmenden Prüfung, ob überhaupt ein wirksamer Darlehensvertrag geschlossen worden ist, können einzelne Kriterien des sog Fremdvergleichs3 herangezogen und bei der abschließenden, umfassenden Würdigung aller relevanten Umstände des Einzelfalles mit eingestellt werden4. Dies scheidet bei der Beurteilung von Hilfebedürftigkeit nach §§ 9, 11 SGB II – anders als bei der Prüfung berücksichtigungsfähiger Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs 1 SGB II aus Mietverhältnissen unter Verwandten5 – nicht schon aufgrund struktureller Unterschiede zum Steuerrecht aus, denn auch im Steuerrecht geht es bei der Beurteilung von Darlehensverträgen unter Familienangehörigen im Kern um die Abgrenzung zu Schenkung bzw verdeckter Unterhaltsgewährung.
Die Wahrung von im Geschäftsverkehr üblichen Modalitäten (wie der Vereinbarung der in § 488 Abs 1 BGB genannten weiteren Vertragspflichten) kann damit als ein Indiz dafür gewertet werden, dass ein Darlehensvertrag tatsächlich geschlossen worden ist. Demgegenüber spricht es etwa gegen die Glaubhaftigkeit einer solchen Behauptung, wenn der Inhalt der Abrede (insbesondere die Darlehenshöhe sowie die Rückzahlungsmodalitäten) und der Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht substantiiert dargelegt werden oder ein plausibler Grund für den Abschluss des Darlehensvertrages nicht genannt werden kann. Nicht zwingend erforderlich ist es nach der zitierten Rechtssprechung jedoch, dass schriftliche Darlehensabreden vorgelegt werden können.
Im gleichen Verfahren hatte zuvor bereits das Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in zutreffender Weise festgestellt6: Kein Einkommen sind hingegen Mittel aus einem Darlehen, da diese mit Rücksicht auf die Rückzahlungsverpflichtung die Vermögenssituation des Hilfebedürftigen nicht verändern, es sei denn, die Verpflichtung zur Rückzahlung entfällt7. Entscheidungserheblich ist allein, ob im Zeitpunkt des Geldzuflusses die Rückzahlungsverpflichtung eindeutig festgestellt werden kann. Dies ist nach Prüfung der Umstände des Einzelfalles durch Beweiswürdigung zu entscheiden. Erst nach Prüfung der Umstände des Einzelfalles und nach Darlegung von Zweifeln im Rahmen der Beweislastverteilung sind die Grundsätze heranzuziehen, die einer Dokumentation im Sinne eines Fremdvergleiches standhält8.
Gemessen an diesen Maßstäben bestand zwischen dem Kläger und der Zeugin kein wirksames Darlehensverhältnis. Sie konnten nicht darlegen, dass im Zeitpunkt des Geldflusses, also laufend von März 2008 bis September 2009, eine ernst gemeinte und konkrete Verabredung über eine Rückzahlung durch den Kläger bestand. Die Kammer hat dabei berücksichtigt, dass bei ungewissen künftigen Einkommensverhältnissen die Festlegung einer Rückzahlung gewissen Schwierigkeiten unterliegt und hat dementsprechend an die Abrede keine überspannten Anforderungen gestellt. Als Mindestvoraussetzung wird man aber ansehen müssen, dass die Vertragspartner sich über die Höhe des geschuldeten Betrages oder die Methode der Ermittlung des Betrages einig sind. Dies war vorliegend nicht der Fall. Der Kläger gab den Schuldenstand mit 24 Monaten zu je 280 € an, während die Zeugin davon ausging, dass der Schuldenstand sich auch unter Einbeziehung des Schuldgeldes ermitteln würde, wobei sie die Höhe auch von ihrer eigenen Leistungsfähigkeit in der Zukunft abhängig machte. Eine Bezifferung ihrerseits konnte daher nicht erfolgten. Die Beteiligten konnten auch keine näheren Umstände einer behaupteten Darlehensabrede benennen. So gab der Kläger an, dass die kurz vor oder nach seinem Umzug nach Berlin entweder am Telefon oder in der mütterlichen Wohnung gewesen sein muss. Die Zeugin konnte dazu keine Angaben machen. Ein konkreter Inhalt einer etwaigen Rückzahlungsabrede wurde ebenfalls nicht vorgetragen.
Somit ging das Sozialgericht Berlin davon aus, dass die Beteiligten sich im Zeitpunkt des Geldflusses keine konkreten Gedanken über die Rückzahlung gemacht haben, was jedoch nach der zitierten Rechtssprechung, der sich das Sozialgericht Berlin angeschlossen hat, mindestens zur Annahme eines nicht anrechenbaren Darlehens erforderlich ist.
Einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aus §§ 20, 22 SGB II hatte der Kläger ebenfalls nicht, weil diese Ansprüche gem. § 7 Abs. 5 SGB II ausgeschlossen waren. Der Kläger hat eine nach dem Bafög förderungsfähige Ausbildung absolviert. Die Ausnahmetatbestände des § 7 Abs. 6 SGB II waren vorliegend nicht gegeben.
Sozialgericht Berlin, Urteil vom 18. Januar 2011 – S 157 AS 26445/08
- BSG, Urteil vom 21.12.2009, – B 14 AS 61/08 R[↩]
- BSG, Urteil vom 17.06.2010 – B 14 AS 46/09 R[↩]
- vgl dazu im Einzelnen nur BFHE 165, 53[↩]
- vgl. schon BSGE 96, 238 = SozR 4-4220 § 6 Nr 4 für eine behauptete Abtretung; und BSG, Urteil vom 24.05.2006 – B 11a AL 49/05 R für eine verdeckte Treuhandabrede[↩]
- dazu BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 15 RdNr 27; und Urteil vom 07.05.2009 – B 14 AS 31/07 R[↩]
- LSG NRW, Urteil vom 11.12.2008 – L 7 AS 62/08[↩]
- zur Alhi BSGE 58, 160 ff. = SozR 4100 § 138 Nr. 11; BSG SozR 4100 § 138 Nr. 25; für das Wohngeldrecht BVerwGE 54, 358, 361 ff.; 69, 247 ff.; 69, 252 ff.[↩]
- BSG, Urteil vom 24.05.2006 – B 11a AL 7/05 Rn. 27[↩]