Vor den Sozialgerichten wird immer wieder darum gestritten, ob im Rahmen des Bezugs von Arbeitslosengeld II die Kosten für die Wohnung nicht nur in „angemessener“, sondern in tatsächlicher Höhe übernommen werden. Das Sozialgesetzbuch beschränkt die Erstattung auf „angemessene“ Aufwendungen.
Diese Begrenzung ist mit dem Grundgesetz zu vereinbaren. Der Gesetzgeber muss keinen Anspruch auf unbegrenzte Übernahme der Wohnungskosten vorsehen. Die Regelung ist auch ausreichend klar und verständlich. Damit hat der Gesetzgeber seiner aus der Verfassung herzuleitenden Pflicht genügt, einen konkreten gesetzlichen Anspruch zur Erfüllung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum zu schaffen.
Die Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen behördliche und gerichtliche Entscheidungen, die einen Anspruch der Beschwerdeführerin auf vollständige Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung verneinten, sowie mittelbar gegen § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II.
Die gesetzliche Regelung[↑]
Die Regelungen zur Übernahme von Kosten der Unterkunft und Heizung in § 22 SGB II wurden durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12 20031 mit Wirkung zum 1.01.2005 eingeführt. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II, der sich seitdem inhaltlich nicht verändert hat, lautet seit 1.01.2011: „Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.“
Die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in einer mehrstufigen Einzelfallprüfung zu ermitteln. Sie errechnet sich aus dem Produkt von angemessener Wohnfläche und dem angemessenen Mietzins pro Quadratmeter („Produkttheorie“); Maßstab für den angemessenen Mietzins seien „Wohnungen mit bescheidenem Zuschnitt“ im Vergleichsraum2. Das Bundessozialgericht gibt jedoch keine bestimmte Methode vor, nach der die kommunalen Grundsicherungsträger die Daten über das Mietpreisniveau zu ermitteln haben. Es hat insoweit Mindestanforderungen definiert, die sicherstellen sollen, dass die ermittelten Daten die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Mietwohnungsmarktes tatsächlich wiedergeben. Eine Datenermittlung, die diese Mindestanforderungen erfüllt, wird als „schlüssiges Konzept“ bezeichnet3. Ist kein schlüssiges Konzept erstellt worden und kann dies auch nicht nachgeholt werden, zieht das Bundessozialgericht die Tabellenhöchstwerte nach dem Wohngeldgesetz heran4, wobei es diese um einen abstrakt-generellen Sicherheitszuschlag von 10 % erhöht5.
Der Ausgangssachverhalt[↑]
Die Beschwerdeführerin bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Sie bewohnt alleine eine 77 qm große Wohnung, für die das Jobcenter die Miet- und Heizkosten zunächst vollständig und seit 2008 nur teilweise übernahm. Ihre Klage auf vollständige Kostenübernahme wies das Sozialgericht ab; Berufung und Revision blieben erfolglos6. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde trägt sie vor, in ihrem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum verletzt zu sein.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts[↑]
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Sie hat weder nach § 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
Soweit gerügt wird, die Heranziehung der Wohngeldtabellenwerte sei nicht tragfähig begründet, ist eine Verletzung von Grundrechten der Beschwerdeführerin nicht möglich. Die der Beschwerdeführerin zu erstattenden Kosten der Unterkunft sind nicht durch Verwendung von Tabellenwerten, sondern auf der Grundlage eines schlüssigen Konzepts ermittelt worden.
Die Verfassungsbeschwerde ist auch im Übrigen nicht zur Entscheidung anzunehmen, da die Rügen hinsichtlich einer Verfassungswidrigkeit der Regelung zur Erstattung der Kosten der Unterkunft und Heizung in § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II nicht durchgreifen. Die Vorschrift genügt der aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art.20 Abs. 1 GG folgenden Pflicht des Gesetzgebers, einen konkreten gesetzlichen Anspruch zur Erfüllung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum zu schaffen. Es ist verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber keinen Anspruch auf unbegrenzte Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung normiert hat.
Abs. 1 in Verbindung mit Art.20 Abs. 1 GG gewährleistet das gesamte Existenzminimum einer Person durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie7. Dazu gehört das physische Existenzminimum, zu dessen Sicherung die Bedarfe für Unterkunft und Heizung zu decken sind. Das Grundgesetz selbst gibt insoweit keinen exakt bezifferten Anspruch auf Sozialleistungen vor8. Die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums muss aber durch ein Gesetz gesichert sein, das einen konkreten Leistungsanspruch enthält9; der parlamentarische Gesetzgeber muss den Leistungsanspruch in Tatbestand und Rechtsfolge konkretisieren10. Dies schließt die Verwendung unbestimmter, konkretisierungsbedürftiger Begriffe nicht aus, solange sich der Regelungsgehalt der Norm mit den üblichen Auslegungsmethoden und insbesondere aufgrund des systematischen Regelungszusammenhangs bestimmen lässt11. Die Anforderungen an den Grad der Bestimmtheit einer Norm sind dabei auch von der Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts und dem Normzweck abhängig12.
Die Ausgangsverfahren betreffen Bewilligungszeiträume vor der Einführung der an § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II anknüpfenden Regelungen in §§ 22a bis c SGB II. Auch damals war der Leistungsanspruch auf Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung jedoch hinreichend gesetzlich normiert. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen.
Die Begrenzung der Übernahme von Kosten der Unterkunft und Heizung durch das Tatbestandsmerkmal der Angemessenheit lässt sich durch Auslegung hinreichend konkretisieren. Aus § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II folgt, dass für die Angemessenheit die Umstände des Einzelfalls maßgeblich sind. Es ist also der konkrete Bedarf der Leistungsberechtigten einzelfallbezogen zu ermitteln. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II verfolgt damit anders als § 20 SGB II im Ausgangspunkt einen Individualisierungsgrundsatz. Was angemessen ist, kann des Weiteren in Anknüpfung an die sozialhilferechtliche Vorgängerregelung bestimmt werden, an die der Gesetzgeber mit § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II anschließen wollte13. In Fortführung der dazu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts14 stellt das Bundessozialgericht auf die im unteren Preissegment für vergleichbare Wohnungen am Wohnort der Leistungsberechtigten marktüblichen Wohnungsmieten ab2.
Die Regelung zur Angemessenheit war in der hier maßgeblichen Fassung der Norm auch insoweit hinreichend bestimmt, als der Gesetzgeber zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorgegeben hatte, wie die marktüblichen Wohnungsmieten zu ermitteln sind. Der zu ordnende Lebenssachverhalt ist von so unterschiedlichen Faktoren bestimmt, dass die Vorgabe angemessener Kostenerstattung als hinreichend bestimmt anzusehen ist. So muss die Ermittlung der marktüblichen Wohnungsmieten zur Bestimmung des Betrages, der eine menschenwürdige Existenz hinsichtlich dieser Bedarfe tatsächlich sichert, immer die Besonderheiten des Einzelfalls berücksichtigen. Dabei ist die Heterogenität des jeweils lokal unterschiedlichen Wohnungsmarktes ebenso zu beachten wie die Tatsache, dass zu den Kosten der Unterkunft regional in unterschiedlichem Maße belastbare Informationen vorliegen. Das stellt auch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum „schlüssigen Konzept“ in Rechnung, die zudem den erheblichen Ermittlungsaufwand und die praktischen Probleme bei der Ermittlung der marktüblichen Wohnungsmieten verdeutlicht. Vor diesem Hintergrund durfte sich der Gesetzgeber darauf beschränken, die Deckung eines existenzsichernden Bedarfs durch den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit zu gewährleisten, um so der Vielfältigkeit der betroffenen Lebenssachverhalte gerecht zu werden. Das schließt eine weitere Konkretisierung des Leistungsanspruchs oder eine andere Methode zur Bestimmung der Höhe der Bedarfe für Unterkunft und Heizung nicht aus.
Dem Ziel der Konkretisierungspflicht, dass Normadressaten sich auf Entscheidungen der Verwaltung einstellen können15, ist verfahrensrechtlich Rechnung getragen worden. Die Reduzierung der Leistung auf die angemessenen Kosten der Unterkunft setzt eine vorherige Aufforderung voraus, sich binnen einer angemessenen Frist eine neue Unterkunft zu suchen. Aus der Aufforderung muss konkret ersichtlich sein, welchen Mietpreis der Leistungsträger als angemessen erachtet16.
Die hier geltend gemachten Einwände gegen die Begrenzung der Übernahme auf angemessene Kosten der Unterkunft und Heizung greifen auch im Hinblick auf die Höhe des Leistungsanspruchs verfassungsrechtlich nicht durch. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist insoweit entscheidend, dass die Untergrenze eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht unterschritten wird, die gesetzlichen Regeln also tatsächlich eine menschenwürdige Existenz sichern17. Danach ist die Begrenzung auf angemessene Kosten in § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II nicht zu beanstanden. Zwar handelt es sich bei den Kosten für Unterkunft und Heizung um eine der grundrechtsintensivsten Bedarfspositionen, denn sie betreffen die grundlegende Wohn- und Lebenssituation eines Menschen18. Doch ergibt sich daraus keine Verpflichtung, jedwede Unterkunft im Falle einer Bedürftigkeit staatlich zu finanzieren und insoweit Mietkosten unbegrenzt zu erstatten. Die grundrechtliche Gewährleistung bezieht sich nur auf das Existenzminimum.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 10. Oktober 2017 – 1 BvR 617/14
- BGBl I S. 2954[↩]
- vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 10/06 R 24; Urteil vom 16.06.2015 – B 4 AS 44/14 R 13 m.w.N.[↩][↩]
- BSG, Urteil vom 22.09.2009 – B 4 AS 18/09 R 18 f.; Urteil vom 16.06.2015 – B 4 AS 44/14 R20[↩]
- BSG, Urteil vom 22.09.2009 – B 4 AS 18/09 R 27[↩]
- BSG, Urteil vom 22.03.2012 – B 4 AS 16/11 R 22; Urteil vom 16.06.2015 – B 4 AS 44/14 R 30[↩]
- BSG, Beschluss vom 27.01.2014 – B 14 AS 317/13 B; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 – L 1 AS 3518/11 ZVW; BSG, Urteil vom 13.04.2011 – B 14 AS 106/10 R; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 05.07.2010 – L 1 AS 3815/09; SG Freiburg, Urteil vom 10.07.2009 – S 18 AS 3993/08; BSG, Beschluss vom 27.01.2014 – B 14 AS 318/13 B; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 – L 1 AS 19/13; SG Freiburg, Gerichtsbescheid vom 12.12 2012 – S 22 AS 6007/10[↩]
- vgl. BVerfGE 125, 175, 223[↩]
- vgl. BVerfGE 125, 175, 225 f.; 132, 134, 165 Rn. 78[↩]
- BVerfGE 125, 175, 223; 132, 134, 160 Rn. 65[↩]
- BVerfGE 125, 175, 224; 132, 134, 161 Rn. 67[↩]
- vgl. BVerfGE 102, 254, 337[↩]
- vgl. BVerfGE 49, 168, 181; 128, 282, 317; stRspr[↩]
- vgl. BT-Drs. 15/1516, S. 57[↩]
- BVerwG, Urteil vom 30.05.1996 – 5 C 4/95 14[↩]
- vgl. BVerfGE 118, 168, 186 m.w.N.[↩]
- BSG, Urteil vom 01.06.2010 – B 4 AS 78/09 R 14 f.; stRspr[↩]
- vgl. BVerfGE 125, 175, 225 f.; 132, 134, 165 f. Rn. 79; 137, 34, 73 f. Rn. 77[↩]
- vgl. BVerfGE 125, 175, 223; 132, 134, 160 Rn. 64[↩]