Das Jobcenter hat gegen den Rentenversicherungsträger nur unter bestimmten einschränkenden Bedingungen Anspruch auf Erstattung des an die Leistungsempfängerin gezahlten Arbeitslosengelds, wenn den Rentenversicherungsträger der Leistungsempfängerin für denselben Zeitraum rückwirkend Rente wegen voller Erwerbsminderung gewährt hat. Das gilt auch für die vom Jobcenter geleisteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung.
Hat das Jobcenter für den maßgeblichen Zeitraum in Wahrnehmungszuständigkeit sowohl für die BA als auch für den kommunalen Träger (§ 6 Abs 1 S 1 Nr 1 und 2, § 44b Abs 3 S 1 und 2 SGB II in der bis zum 31.12.2010 gültigen Fassung)1 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie Leistungen für Unterkunft und Heizung, §§ 20, 22 SGB II) erbracht, so ist es auch berechtigt, die Erstattung dieser Leistungen zu verlangen.
Das Jobcenter kann nicht die spezielle Erstattungsregelung nach § 44a Abs 2 S 1 Halbs 2 SGB II2 für sich beanspruchen. Hiernach steht den Leistungsträgern des SGB II ein Erstattungsanspruch entsprechend § 103 SGB X zu, wenn dem Hilfebedürftigen eine andere Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes zuerkannt wird. Nach § 44a Abs 2 S 1 Halbs 1 SGB II (Fassung 2006) setzte dies voraus, dass die gemeinsame Einigungsstelle entschied, dass ein Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht besteht. Die Vorgängernorm von § 44a SGB II3 sah hingegen einen solchen Erstattungsanspruch noch nicht vor. Mit der Ergänzung der Erstattungsregelung in § 44a Abs 2 S 1 SGB II (Fassung 2006) sollte klargestellt werden, dass in den Fällen, in denen ein anderer als die SGB II-Träger leistungspflichtig ist, dieser den Trägern der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entsprechend § 103 SGB X erstattungspflichtig ist4. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 44a Abs 1 S 3 SGB II5 liegen hier jedoch nicht vor.
Die genannte Vorschrift ordnete an, dass die zuständigen Träger Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bis zur Entscheidung der nach S 2 der Vorschrift angerufenen Einigungsstelle zu erbringen hatten. Sie ist als Nahtlosigkeitsregelung nach dem Vorbild des § 125 Abs 1 SGB III aF interpretiert worden und nicht als nur vorläufige Leistungspflicht der SGB II-Träger6. Jedenfalls aber griff sie nur dann, wenn die zuständigen SGB II-Leistungsträger sich nicht für zuständig erachteten oder zwischen den Leistungsträgern Uneinigkeit über die Erwerbsfähigkeit bestand.
Eine derartige Konstellation liegt jedoch nicht vor, wenn – wenn auch irrtümlich – sowohl die Bundesanstalt für Arbeit als auch das Jobcenter von einer noch bestehenden Erwerbsfähigkeit der Leistungsempfängerin ausgegangen sind.
Im hier entschiedenen Fall hat das Jobcenter selbst ab dem Zeitpunkt, als er – im März 2006 – die Leistungsempfängerin im Rahmen einer „Eingliederungsvereinbarung“ zur Beantragung einer Rente anhielt, seine Pflicht zur Zahlung von Arbeitslosengeld II nicht in Frage gestellt. Mangels Streits oder eines Dissenses zwischen den Leistungsträgern über die Erwerbsfähigkeit der Leistungsempfängerin ist der Anwendungsbereich von § 44a SGB II (Fassung 2006) mithin nicht eröffnet7. Die Leistungsempfängerin war zu keinem Zeitpunkt in einer Situation8, in der keiner der Leistungsträger Leistungen erbringen wollte9.
Ein Erstattungsanspruch des Jobcenters gegen den Rentenversicherungsträger nach § 102 SGB X kommt nicht in Betracht, weil er die Leistungen nach dem SGB II nicht vorläufig iS von § 43 SGB I erbracht hat. Denn hierfür bedarf es einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung; es reicht nicht aus, vorläufige Leistungen freiwillig zu erbringen10. § 44a Abs 1 S 3 SGB II (Fassung 2006) enthielt aber keine Anordnung einer vorläufigen Leistung.
Dem Jobcenter steht gegen den Rentenversicherungsträger auch kein Erstattungsanspruch in direkter Anwendung von § 103 Abs 1 SGB X zu. Diese Norm setzt ua voraus, dass ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat und der Anspruch auf diese nachträglich ganz oder teilweise entfallen ist. Ein sozialrechtlicher Leistungsanspruch entfällt iS von § 103 Abs 1 Halbs 1 SGB X nur, wenn durch die Erfüllung des (zweiten) Leistungsanspruchs der von einem zuständigen Leistungsträger erbrachte (erste) Leistungsanspruch11 zum Wegfall kommt12.
Der Anspruch der Leistungsempfängerin auf die Leistungen nach dem SGB II ist aber weder durch die rückwirkende Gewährung noch durch die Auszahlung der vollen Erwerbsminderungsrente an sie nachträglich ganz oder teilweise iS von § 103 Abs 1 SGB X entfallen. Im SGB II existiert keine – § 142 Abs 1 S 1 Nr 3, Abs 2 S 1 Nr 2 SGB III aF oder § 50 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB V vergleichbare – Regelung, die den Wegfall, das Ende oder das Ruhen der Leistungen nach dem SGB II für den Fall anordnet, dass eine Rente wegen voller Erwerbsminderung rückwirkend zeitgleich gewährt wird. Ein nachträgliches „Entfallen“ eines Anspruchs auf Sozialleistungen liegt nicht bereits dann vor, wenn sich nachträglich herausstellt, dass ein bei Bewilligung als gegeben angesehener anspruchsbegründender Umstand für die konkret gewährte Leistung (hier: Erwerbsfähigkeit für den Anspruch auf Arbeitslosengeld II) in Wirklichkeit nicht vorgelegen hat.
Das Jobcenter kann in der hier zu beurteilenden Konstellation aber auch keinen Erstattungsanspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers nach § 104 SGB X geltend machen. „Nachrangig verpflichtet“ ist gemäß § 104 Abs 1 S 2 SGB X ein Leistungsträger nur, soweit er bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers (hier: des Rentenversicherungsträgers) selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Dementsprechend ist für einen Erstattungsanspruch nach dieser Vorschrift kein Raum, soweit ein Träger seine Leistungen auch bei (rechtzeitiger) Leistung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers hätte erbringen müssen (§ 104 Abs 1 S 3 SGB X)13.
So verhält es sich hier. Das Jobcenter war zur Erbringung von SGB II-Leistungen an die Leistungsempfängerin auch dann verpflichtet, wenn diese nicht zu dem Personenkreis der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen (§ 7 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB II) gehörte, da bei ihr nach den Feststellungen des Rentenversicherungsträgers eine volle Erwerbsminderung aus medizinischen Gründen bestand. In diesem Fall stand der Leistungsempfängerin an Stelle des gezahlten Arbeitslosengeld II ein Anspruch auf Sozialgeld (§ 28 SGB II aF; ab 1.01.2011: § 19 Abs 1 S 2 SGB II14) zumindest in derselben Höhe zu. Denn sie lebte mit ihrem (erwerbsfähigen) Ehemann in Bedarfsgemeinschaft, hatte aber noch keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung), weil sie aufgrund der lediglich befristet – für knapp zwei Jahre – zuerkannten Rente wegen (unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage) voller Erwerbsminderung (vgl § 102 Abs 2 S 5 SGB VI) die Voraussetzungen einer „dauerhaften vollen Erwerbsminderung“ iS des § 41 Abs 1 Nr 2 SGB XII15 noch nicht erfüllte.
Hat aber das Jobcenter die von ihm bewilligten aufstockenden „Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II“ (vgl die Überschrift des Abschn 2 in Kap 3 SGB II aF, der sowohl das Arbeitslosengeld II als auch das Sozialgeld umfasste) unabhängig von der Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung in jedem Fall gegenüber der Leistungsempfängerin erbringen müssen (hat es sie also endgültig zu Recht erbracht), so fehlt es von vornherein an den Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch sowohl nach § 104 SGB X16 als auch nach § 105 SGB X. Unter diesen Voraussetzungen würde die vom SG für zutreffend erachtete Zuerkennung eines Erstattungsanspruchs an das Jobcenter nur zu dessen ungerechtfertigter Bereicherung führen.
Ein solches Ergebnis kann nicht mit der Überlegung gerechtfertigt werden, dass der Erstattungspflichtige davor zu schützen sei, alle Ansprüche des Leistungsempfängers – auch solche subsidiärer oder alternativer Art – prüfen zu müssen. Der um Erstattung angegangene (Rentenversicherungs-)Träger bedarf insoweit keines besonderen Schutzes. Denn er hat die Möglichkeit, von dem Erstattung begehrenden Träger eine Spezifizierung seiner Forderungen und auch Auskunft darüber zu verlangen, ob der Leistungsempfänger bei rechtzeitiger Rentenzahlung weiterhin Anspruch auf Leistungen gehabt hätte, sofern ihm entsprechende Erkenntnisse nicht bereits aufgrund einer Zuziehung des Leistungsempfängers zum Erstattungsverfahren (vgl § 12 Abs 1 Nr 4, Abs 2 iVm § 107 sowie § 24 Abs 1 SGB X) bekannt sind. Im Übrigen darf nicht außer Acht gelassen werden, dass eine zum Schutz der erstattungsverpflichteten Behörde befürwortete pauschale Bejahung von Erstattungsansprüchen anderer Träger wegen der in § 107 SGB X angeordneten Erfüllungswirkung dem Leistungsempfänger auch zum Nachteil gereichen könnte.
Erstattungsanspruch des Jobcenters wegen erbrachter Krankenversicherungsbeiträge
Das Jobcenter hat gegen den Rentenversicherungsträger in einem solchen Fall auch keinen Anspruch auf Ersatz eines Teils der von ihm im maßgeblichen Zeitraum entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung der Leistungsempfängerin.
Spezialgesetzliche Anspruchsgrundlagen (§ 37 S 1 SGB I) hierfür sind die Regelungen in § 335 Abs 2 S 1
Ein Ersatzanspruch für gezahlte Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge besteht allerdings gemäß § 335 Abs 2 S 1 Teils 2 SGB III nur, „wenn und soweit“ dem betreffenden Träger auch ein Erstattungsanspruch gegen den Träger der Rentenversicherung „wegen der Gewährung“ von Arbeitslosengeld II zusteht. Es handelt sich somit hinsichtlich erbrachter Nebenleistungen zum Arbeitslosengeld II um die Ergänzung (Annex) eines nach den §§ 102 ff SGB X bestehenden Erstattungsanspruchs20. Wenn daher – wie hier – dem Jobcenter schon kein Erstattungsanspruch für die von ihm erbrachte Hauptleistung nach dem SGB II zusteht, kann es auch keinen Ersatz hinsichtlich der (vom Bund getragenen) Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung verlangen. Danach ist über die von der Bundesanstalt für Arbeit in der mündlichen Verhandlung als vordringlich klärungsbedürftig bezeichnete Frage nach der zutreffenden Aufteilung der vom Rentenversicherungsträger gemäß § 335 Abs 2 S 3 Nr 1 SGB III zu ersetzenden Beträge auf die BA und das Jobcenter (hälftig oder im Verhältnis der jeweils gezahlten Beiträge) hier nicht zu entscheiden.
Bundessozialgericht, Urteil vom 31. Oktober 2012 – B 13 R 9/12 R
- vgl BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 20; dazu BVerfGE 119, 331 = SozR 4-4200 § 44b Nr 1 RdNr 165, 207[↩]
- in der bis 31.12.2010 gültigen Fassung des GSiFoG vom 20.07.2006, BGBl I 1706
[↩] - in der bis zum 31.07.2006 gültigen Fassung des KomOptG vom 30.07.2004, BGBl I 2014
[↩] - vgl BT-Drucks 16/1410 S 27[↩]
- in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Betriebsrentengesetzes und anderer Gesetze vom 02.12.2006, BGBl I 2742
[↩] - vgl BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, RdNr 19 f – zu § 44a S 3 SGB II
[↩] - vgl BSG SozR 4-2500 § 9 Nr 3 RdNr 13; Chojetzki, NZS 2010, 662, 667[↩]
- bildlich gesprochen „zwischen zwei Stühlen“, BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, RdNr 20[↩]
- vgl BSG aaO RdNr 21; Blüggel in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 44a RdNr 33[↩]
- vgl BSGE 58, 119, 121 = SozR 1300 § 104 Nr 7 S 19[↩]
- durch eine „Wegfallregelung“ oder „-bestimmung“: vgl BSG SozR 1300 § 103 Nr 5 S 24 f[↩]
- vgl ferner BSGE 72, 163, 165 = SozR 3-2200 § 183 Nr 6 S 14; BSGE 57, 146, 148 = SozR 1300 § 103 Nr 2 S 1, 4; Kater in Kasseler Komm, Stand April 2012, § 103 SGB X RdNr 20; zB auch § 50 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB V, wonach der Anspruch auf Krankengeld vom Beginn der Rente wegen voller Erwerbsminderung an endet[↩]
- s allgemein zu den Grundvoraussetzungen eines Erstattungsanspruchs auch BSGE 106, 206 = SozR 4-1300 § 103 Nr 3, RdNr 9 f[↩]
- idF des Gesetzes vom 24.03.2011, BGBl I 453[↩]
- hier noch anzuwenden in der ab 1.01.2005 geltenden aF; ab 1.01.2008: § 41 Abs 1 S 1 iVm Abs 3 SGB XII idF des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom 20.04.2007, BGBl I 554[↩]
- vgl Störmann in Jahn/Jansen, SGB für die Praxis, Stand September 2012, § 106 SGB X RdNr 7[↩]
- in der ab 1.01.2005 geltenden Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954[↩]
- ebenfalls idF des genannten Gesetzes vom 24.12.2003; ab 1.04.2011: § 40 Abs 2 Nr 5 SGB II idF des Gesetzes vom 24.03.2011, BGBl I 453[↩]
- s hierzu Eicher in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 40 RdNr 81 ff; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 40 RdNr 567, 637 ff, Stand Einzelkommentierung Juni 2012[↩]
- Eicher, aaO RdNr 98; s auch Conradis in Münder, LPK SGB II, 4. Aufl 2011, § 40 RdNr 21 f[↩]






