Der Hilfebedürftigkeit einees ehemaligen Strafgefangenen steht nicht entgegen, dass ihm zwei Tage vor Antragstellung Überbrückungsgeld nach § 51 StVollzG ausgezahlt worden ist. Nach den allgemeinen Grundsätzen des Leistungsrechts des SGB II stellt das Überbrückungsgeld hier Vermögen dar. Die gesetzliche Zweckbestimmung des § 51 StVollzG führt nicht zu einem Ausschluss des Leistungsanspruchs. Auf die Rechtsauffassung, dass jedenfalls das vor Antragstellung zur Schuldentilgung verwandte Überbrückungsgeld nicht als Einkommen zu berücksichtigen ist, kommt es danach nicht mehr an.
Das nach § 51 StVollzG gewährte Überbrückungsgeld ist vorliegend, ausgehend von den von den Grundsicherungssenaten des Bundessozialgerichts (BSG) entwickelten Kriterien, als Vermögen einzuordnen. Maßgeblich für diese Abgrenzung ist allein der Zeitpunkt der Antragstellung gemäß § 37 SGB II. Einkommen iS des § 11 Abs 1 SGB II ist grundsätzlich alles das, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält, und Vermögen das, was er vor Antragstellung bereits hatte1. Da das Überbrückungsgeld im hier vom Bundesozialgericht entschiedenen Fall vor Antragstellung zugeflossen ist und der Höhe nach die Freibeträge nach § 12 Abs 2 SGB II nicht überschreitet, war es nicht leistungsmindernd zu berücksichtigen.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der allgemeinen Zweckbestimmung des Überbrückungsgeldes. Nach § 51 Abs 1 StVollzG ist das Überbrückungsgeld aus Bezügen des Gefangenen zu bilden, die dieser während der Haftzeit, z.B. durch Beschäftigungsverhältnisse, erhält. Es soll den notwendigen Lebensunterhalt des Gefangenen und seiner Unterhaltsberechtigten für die ersten vier Wochen nach der Haftentlassung sichern. Durch § 51 StVollzG ist die Verfügungsbefugnis des Gefangenen über seine Bezüge eingeschränkt, diese werden aber zugleich vor dem Zugriff der Gläubiger geschützt, um den Gesetzeszweck sicherzustellen2. Eine vorzeitige Inanspruchnahme des Überbrückungsgeldes ist nur unter engen Einschränkungen möglich3.
Aus dem genannten Normzweck des § 51 StVollzG hat das Bundesverwaltungsgericht4 den Schluss gezogen, dass – unabhängig von der Einordnung des Überbrückungsgeldes als Einkommen oder Vermögen – dieses der Freistellung von der Sozialhilfe diene. Der Festlegung einer bestimmten Höhe des Überbrückungsgeldes komme die Funktion zu, einen ohne Überbrückungsgeld bestehenden Sozialhilfeanspruch zu beseitigen. Demgegenüber hat die Rechtsprechung des BSG unter dem im Vergleich zum Bundessozialhilfegesetz veränderten Blickwinkel des SGB II den Grundsatz entwickelt, dass es nicht auf die Funktion der Leistung ankommt, sondern die Berücksichtigungsfähigkeit unter Zuordnung der erhaltenen Summe als Einkommen oder Vermögen allein an das konstitutive Antragserfordernis gemäß § 37 SGB II gekoppelt ist5. Dementsprechend werden auch Leistungen nach dem Zeitpunkt des Zuflusses als Einkommen oder Vermögen gewertet, deren Zweck die Sicherung des Lebensunterhalts ist6.
Das Bundessozialgericht sieht keinen Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Die Zweckbestimmung des § 51 StVollzG geht nicht über das hinaus, was bei Entgeltersatzleistungen (etwa im Anschluss an Beschäftigung oder bei Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit) als Zweck dient, nämlich letztlich die Sicherung des Lebensunterhalts.
Bundessozialgericht, Urteil vom 6. Oktober 2011 – B 14 AS 94/10 R
- stRspr grundlegend BSG, Urteile vom 30.07.2008 – B 14 AS 26/07 R, SozR 4-4200 § 11 Nr 17; und vom 30.09.2008 – B 4 AS 29/07 R, BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr 15[↩]
- vgl zu diesem Komplex Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 11. Aufl 2008, § 51 RdNr 1 ff[↩]
- vgl hierzu Arloth, StVollzG, 3. Aufl 2011, § 51 Nr 10 mwN[↩]
- BVerwG, Urteil vom 21.06.1990 – 5 C 64/86, Buchholz 436.0 § 88 BSHG Nr 19[↩]
- BSG, Urteil vom 30.07.2008 – B 14 AS 26/07 R SozR, aaO[↩]
- vgl. zum Krankengeld: BSG, Urteil vom 16.12.2008 – B 4 AS 70/07 R, SozR 4-4200 § 11 Nr 19; zu Abfindungszahlungen aus arbeitsgerichtlichem Vergleich: BSG, Urteil vom 03.03.2009 – B 4 AS 47/08 R, BSGE 102, 295 = SozR 4-4200 § 11 Nr 24; zum Insolvenzgeld: BSG, Urteil vom 13.05.2009 – B 4 AS 29/08 R, SozR 4-4200 § 11 Nr 22; für das Überbrückungsgeld nach § 57 SGB III in der bis zum 31.07.2006 geltenden Fassung: BSG, Urteil vom 30.07.2008 – B 14/11b AS 17/07 R[↩]






