Sozialhilfeleistungen sowie Leistungen nach dem SGB II sind bedarfsabhängige Leistungen und damit dem Kindergeld gleichartige und nachrangige Leistungen.
Hat ein Sozialhilfeträger Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (§ 2 AsylbLG i.V.m. § 28 SGB XII) für Eltern und Kinder erbracht, die in einem Haushalt zusammenleben und eine Bedarfsgemeinschaft bilden, so steht ihm ein Anspruch auf Erstattung des nachträglich festgesetzten Kindergeldes zu.
Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die -hier nicht einschlägigen- Voraussetzungen des § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, ist nach § 104 Abs. 1 SGB X der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat. Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit er bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistung durch einen anderen Leistungsträger selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Nach § 104 Abs. 2 SGB X gilt § 104 Abs. 1 SGB X auch dann, wenn ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger für den Angehörigen eines Berechtigten Sozialleistungen erbracht hat und der Berechtigte mit Rücksicht auf diesen Angehörigen einen Anspruch auf Sozialleistungen gegen einen vorrangig verpflichteten Leistungsträger hat. Ein Erstattungsanspruch nach § 104 Abs. 2 SGB X ist gegeben, wenn auch die Voraussetzungen des § 104 Abs. 1 SGB X vorliegen1. Die Leistungen der unterschiedlichen Leistungsträger müssen deshalb gleichartig sein. Dies setzt voraus, dass sie für dieselben Zeiträume bestimmt sind und sich in der Leistungsart und der Zweckbestimmung entsprechen. Außerdem muss zwischen ihnen ein Verhältnis von vorrangiger und nachrangiger Verpflichtung zur Leistung bestehen2.
Geltendmachung des Erstattungsanspruchs
Die Erstattungsansprüche wurden durch den erstattungsberechtigten Sozialhilfeträger hinreichend konkretisiert, wenn zumindest die Umstände, die im Einzelfall für die Entscheidung über den Erstattungsanspruch maßgeblich sind, und der Zeitraum, für den die Sozialleistung erbracht wurde, hinreichend konkret mitgeteilt wurden3. Diese Umstände müssen nicht bereits im „Verwaltungsakt“ des Sozialhilfeträgers konkret angegeben werden. Mangels eines Über-/Unterordnungsverhältnisses der beiden Behörden kommt hier schon der Erlass eines Verwaltungsaktes nicht in Betracht4. Zudem besteht vorliegend kein (gesetzliches) Schriftformerfordernis (vgl. § 104 Abs. 1 SGB X).
Erstattungsansprüche nach § 104 SGB X sind spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend zu machen. Der Lauf der Frist beginnt jedoch frühestens zu dem Zeitpunkt, zu dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat5, vorliegend also frühestens ab Erlass des Kindergeldbescheids durch die Familienkasse.
Erstattungsanspruch bei Asylbewerberleistungen
Das Kindergeld ist, soweit es wie hier der Förderung der Familie dient, eine mit der HLU, den Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (§ 2 AsylbLG i.V.m. § 28 SGB XII) und den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld) gleichartige Leistung.
Gleichartigkeit setzt voraus, dass die Sozialleistungen für denselben Zeitraum6 bestimmt sind wie das Kindergeld und in der Leistungsart dem Kindergeld entsprechen. Zudem muss eine identische Zweckbestimmung gegeben sein7. Ferner muss das Kindergeld Einkommen des Hilfeempfängers sein.
Eine zeitliche Kongruenz der gewährten Sozialleistungen einerseits und des bewilligten Kindergeldes andererseits ist vorliegend gegeben.
Da die Sozialleistungen in Geld gewährt wurden, liegt eine mit dem Kindergeld identische Leistungsart vor. Dies gilt auch für die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Denn § 2 AsylbLG normiert die entsprechende Anwendung des SGB XII abweichend von den §§ 3 bis 7 AsylbLG für jene Leistungsberechtigten, die über eine Dauer von 48 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG (Sachleistungsprinzip) erhalten haben und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Diese leistungsrechtliche Privilegierung, die nach dem Erhalt der abgesenkten Leistungen über einen Zeitraum von 48 Monaten eintritt, hat zur Folge, dass sogenannte Analogleistungen in entsprechender Anwendung des SGB XII auf dem erhöhten Niveau der Sozialhilfe und als Geldleistungen beansprucht werden können8.
Die gewährten Sozialleistungen einerseits und das Kindergeld andererseits entsprechen sich zudem in der Zweckbestimmung.
Das Kindergeld nach §§ 62 ff. EStG ist, soweit es der Familienförderung dient, ebenso wie bis 2004 die HLU und seit 2005 die Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II dazu bestimmt, die allgemeinen Lebenshaltungskosten zu mindern9.
Bezüglich der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (§ 2 AsylbLG i.V.m. § 28 SGB XII) ist ebenfalls ein identischer Leistungszweck mit dem Kindergeld gegeben. Mit dem Asylbewerberleistungsgesetz wurde mit Wirkung ab dem 1.11.1993 ein Gesetz zum Mindestunterhalt für Asylbewerber und bestimmte andere ausländische Staatsangehörige geschaffen, das außerhalb des für Deutsche und diesen gleichgestellte ausländische Staatsangehörige geltenden materiellen Rechts deutlich abgesenkte Leistungen und vorrangig Sachleistungen anstelle von Geldleistungen vorsah. Der Deutsche Bundestag beschloss das Gesetz zur Neuregelung der Leistungen an Asylbewerber vom 30.06.199310 als eine Sonderregelung außerhalb des damaligen Bundessozialhilfegesetzes für Leistungen für den notwendigen Lebensunterhalt von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern und ihnen gleichgestellten ausländischen Staatsangehörigen11.
Des Weiteren setzt die Gleichartigkeit der gewährten Sozialleistungen mit dem bewilligten Kindergeld voraus, dass das Kindergeld dem Einkommen der Hilfeempfängerin, hier der Klägerin, zuzuordnen ist12. Dies hat der Bundesfinanzhof vorliegend ebenfalls bejaht.
Das für die Kinder A, B und C bewilligte Kindergeld ist Einkommen der kindergeldberechtigten Klägerin, soweit die Kinder außerhalb der Bedarfsgemeinschaft in einem eigenen Haushalt lebten. Denn bei der Anwendung des § 104 SGB X kommt es allein auf die sozialrechtliche Zuweisung des Kindergeldes an13. Das Kindergeld ist sozialrechtlich Einkommen dessen, an den es ausgezahlt wird14. Eine abweichende Zuordnung kommt nur dann in Betracht, wenn das Kindergeld nach § 74 Abs. 1 EStG an die Kinder abgezweigt wird oder diesen zumindest tatsächlich zufließt15. Beides ist vorliegend bezüglich der Kinder A und B, die zeitweise bzw. im gesamten streitigen Zeitraum in einem eigenen Haushalt lebten, nicht erfolgt. So wurde nach den für den BFH bindenden Feststellungen des Finanzgericht kein Abzweigungsantrag gestellt. Entgegen der Auffassung der Klägerin genügt ein bloßer möglicher Anspruch auf Abzweigung nicht15. Da das Kindergeld im Streitfall nicht rechtzeitig festgesetzt worden war, konnte es auch nicht an die Kinder weitergeleitet worden sein16. Zudem setzt ein Weiterleiten an das Kind voraus, dass das Kindergeld so in den Verfügungsbereich des (volljährigen) Kindes gelangt, dass es zur Existenzsicherung des Kindes, das heißt zur Deckung seiner Bedarfe eingesetzt werden kann. Wenn hingegen die Bedarfe des Kindes -wie hier zum Teil durch gelegentliche Bareinzahlungen der Klägerin- durch Leistungen Dritter, zum Beispiel von Familienangehörigen, gedeckt werden und das später an diese Dritten ausgezahlte Kindergeld zur Refinanzierung der zuvor von diesen an das Kind erbrachten Leistungen dient, ist dies keine Weiterleitung des Kindergeldes an das Kind17.
Das bewilligte Kindergeld ist auch insoweit dem Einkommen der Klägerin zuzuordnen, als die Kinder Teil der Bedarfsgemeinschaft waren. Denn für die Erstattungsansprüche ist es -entgegen der Auffassung der Klägerin- unerheblich, dass die Sozialleistungen auch für die mit der Klägerin in Bedarfsgemeinschaft lebenden Kinder erbracht wurden. Hat ein Sozialleistungsträger bedarfsabhängige Sozialleistungen für Eltern und Kinder erbracht, die in einem Haushalt zusammen leben und eine Bedarfsgemeinschaft bilden, so steht ihm ein Anspruch auf Erstattung des nachträglich festgesetzten Kindergeldes zu. In diesem Falle ist unerheblich, dass es sich bei dem Kindergeld aus sozialrechtlicher Sicht um Einkommen des kindergeldberechtigten Elternteils handelt. Kindergeld ist in diesem Falle sozialhilferechtlich vorrangig zur Bedarfsdeckung einzusetzen, sei es bei dem das Kindergeld beziehenden Elternteil selbst oder bei den Kindern18. Diese Rechtsprechungsgrundsätze sind auf den vorliegenden Fall anwendbar, da es sich auch bei den Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (§ 2 AsylbLG i.V.m. § 28 SGB XII) um bedarfsabhängige Leistungen für den notwendigen Lebensunterhalt handelt.
Diesem Ergebnis steht auch nicht die bisherige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs19 entgegen. Der Bundesfinanzhof hat in diesen Fällen entschieden, dass dem Sozialhilfeträger in der Regel kein Anspruch auf Erstattung von nachträglich festgesetztem Kindergeld zusteht, wenn er einem im eigenen Haushalt lebenden Kind HLU geleistet hat, weil das Kindergeld zum Einkommen des anspruchsberechtigten Elternteils gehört. Daraus lässt sich jedoch nicht folgern, dass ein Erstattungsanspruch auch dann ausgeschlossen ist, wenn der Kindergeldberechtigte mit seinem Ehegatten und seinen Kindern in einem Haushalt lebt, alle Personen bedarfsorientierte Sozialleistungen erhalten und daher eine sozialhilferechtliche Bedarfsgemeinschaft bilden. Denn für den Anspruch auf Sozialhilfe ist dann allein entscheidend, welchen Bedarf die der Bedarfsgemeinschaft angehörenden Personen haben und welches Einkommen ihnen anrechenbar zur Bedarfsdeckung zur Verfügung steht20.
Die HLU nach dem Bundessozialhilfegesetz, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (§ 2 AsylbLG i.V.m. § 28 SGB XII) und die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II21 sind gegenüber dem Anspruch auf Kindergeld gemäß §§ 62 ff. EStG nachrangige Leistungen, da der Sozialleistungsträger bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung der Familienkasse selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre (§ 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X). HLU und Grundsicherungsleistungen werden bedarfsorientiert gewährt22; der Sozialleistungsträger wäre bei rechtzeitiger Zahlung des Kindergeldes insoweit nicht selbst zur Leistung verpflichtet (§ 2 BSHG, § 11 Abs. 1 SGB II), da das Kindergeld bei der Ermittlung der HLU nach § 76 BSHG und bei der Grundsicherung nach § 19 Satz 3 und § 28 Abs. 2 SGB II als Einkommen anzurechnen ist20. Der Nachrang der Sozialhilfe gilt für das Asylbewerberleistungsgesetz entsprechend23.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 5. Juni 2014 – VI R 15/12
- BFH, Urteil vom 17.07.2008 – III R 87/06, BFH/NV 2008, 1833[↩]
- BFH, Urteil vom 19.04.2012 – III R 85/09, BFHE 237, 145, BStBl II 2013, 19[↩]
- Störmann, in Jahn, SGB X, § 104 Rz 37[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 07.04.2011 – III R 88/09, BFH/NV 2011, 1326[↩]
- Störmann, a.a.O., § 104 Rz 37[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 237, 145, BStBl II 2013, 19[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 07.12 2004 – VIII R 59/04, BFH/NV 2005, 864[↩]
- Oppermann in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl.2014, § 2 AsylbLG Rz 24[↩]
- BFH, Urteil vom 26.07.2012 – III R 28/10, BFHE 238, 315, BStBl II 2013, 26, m.w.N.[↩]
- BGBl I 1993, 1074[↩]
- BVerfG,. Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11, BVerfGE 132, 134; Frerichs in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl.2014, § 1 AsylbLG Rz 24[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 238, 315, BStBl II 2013, 26, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteil vom 22.11.2012 – III R 24/11, BFHE 239, 351, BStBl II 2014, 32[↩]
- Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.12 2003 5 C 25/02, BFH/NV 2005, Beilage 1, 68[↩]
- BFH, Urteil in BFH/NV 2008, 1833[↩][↩]
- Selder, jurisPR-SteuerR 14/2013, Anm. 5[↩]
- Sächs. LSG, Beschluss vom 18.07.2012 – L 3 AS 148/12 B ER[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 238, 315, BStBl II 2013, 26[↩]
- BFH, Urteile in BFH/NV 2011, 1326; in BFH/NV 2008, 1833; und vom 17.04.2008 – III R 33/05, BFHE 221, 47, BStBl II 2009, 919[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 238, 315, BStBl II 2013, 26[↩][↩]
- Arbeitslosengeld II/Sozialgeld[↩]
- Störmann, a.a.O., § 104 Rz 23[↩]
- Oppermann in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl.2014, § 2 AsylbLG Rz 125[↩]