Die abstrakte Prüfung der Angemessenheit der Leistung für die Unterkunft kann nicht ohne Berücksichtigung des verfügbaren Wohnraums erfolgen. Hinsichtlich der Überlassung von gefördertem Mietwohnungsbau verweisen sowohl § 27 Abs 4 als auch § 10 WoFG1 wegen der maßgeblichen Wohnungsgröße auf die „Bestimmungen“ des jeweiligen Landes. In Sachsen gibt es keine derartigen Bestimmungen nach dem WoFG. Aus Gründen der Rechtssicherheit und der Praktikabilität sind auf die auf der Grundlage des § 10 WoFG von den Ländern festgelegten Werte zurückzugreifen, bis der Verordnungsgeber eine nach § 27 SGB II mögliche Verordnung erlassen hat.
Im hier vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall sind höhere Leistungen nach dem SGB II für die Unterkunft und die Heizung vom 1.7.2005 bis 31.3.2006 umstritten. Dabei ist das Bundessozialgericht hinsichtlich der abstrakt angemessenen Wohnungsgröße von 45 qm für Alleinlebende im Freistaat Sachsen – wie dem Kläger – anderer Auffassung als das Landessozialgericht.
Der Kläger lebt allein in einer Wohnung und gehört dem Grunde nach zum leistungsberechtigten Personenkreis nach dem SGB II, weil er das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. noch nicht vollendet hat, erwerbsfähig und hilfebedürftig ist und den gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat (§ 7 Abs 1 Satz 1 SGB II, der insofern vom 1.7.2005 bis heute nicht geändert wurde).
Leistungen für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind (§ 22 Abs 1 Satz 1 SGB II, der insofern ebenfalls zwischenzeitlich nicht geändert wurde). Der Begriff der „Angemessenheit“ unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff der uneingeschränkten richterlichen Kontrolle2. Zwischen der Leistung für die Unterkunft und der Leistung für die Heizung ist zu unterscheiden, wie schon dem Wortlaut der Vorschrift mit der Verwendung des Plurals „Leistungen“ sowie der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu entnehmen ist3.
Zur Ermittlung der Leistung für die Unterkunft, auf die der dem Grunde nach Leistungsberechtigte Anspruch hat, ist in mehreren Schritten vorzugehen. Zunächst ist die abstrakt angemessene Leistung für die Unterkunft unter Zugrundelegung der sog Produkttheorie in einem mehrstufigen Verfahren festzustellen und als Grundlage für alle weiteren Berechnungen zuerst die angemessene Wohnungsgröße zu bestimmen4.
Zur Festlegung der angemessenen Wohnfläche ist auf die Wohnraumgrößen für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau abzustellen5. Hinsichtlich der Überlassung von gefördertem Mietwohnungsbau verweisen sowohl § 27 Abs 4 als auch § 10 des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung, WoFG, vom 13.9.20016 wegen der maßgeblichen Wohnungsgröße auf die „Bestimmungen“ des jeweiligen Landes.
Es gibt in Sachsen keine derartigen Bestimmungen nach dem WoFG. Soweit das Landessozialgericht aufgrund dessen meint, die außer Kraft getretene VwV-SächsBelG weiterhin anwenden zu können, kann dem nicht gefolgt werden. Speziell zur Situation im Freistaat Sachsen hat das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 22.9.20097 ausgeführt: Aus Gründen der Rechtssicherheit und der Praktikabilität sei auf die auf der Grundlage des § 10 WoFG von den Ländern festgelegten Werte zurückzugreifen, bis der Verordnungsgeber eine nach § 27 SGB II mögliche Verordnung erlassen habe. Dementsprechend verbiete es sich aber, die aktuell in Sachsen festgesetzten Werte nach der VwV-Ersatzwohnraumförderung nicht zu Grunde zu legen, sondern stattdessen auf die VwV-SächsBelG abzustellen, die im Zeitraum vor dem Inkrafttreten des SGB II zur Anwendung gekommen war.
Insoweit sei auch das vom Landessozialgericht für seine Auffassung angeführte Argument nicht hilfreich, aus den speziellen Zielsetzungen der VwV-Ersatzwohnraumförderung ergebe sich, dass die dort zu Grunde gelegten Wohnflächenhöchstgrenzen nicht maßstäblich für die Ermittlung üblicher Wohnflächen im unteren Segment seien können. Denn der Umstand, dass sich die aktuellen Verwaltungsvorschriften möglicherweise nicht hinreichend daran orientierten, was eine Wohnung mit bescheidenem Zuschnitt sei, werde in Folge des Rückgriffs auf die Werte nach § 10 WoFG ohnehin bewusst in Kauf genommen. Insoweit komme dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit eine überragende Bedeutung zu. Eine Heranziehung anderweitiger Verwaltungsregelungen zur Bestimmung der Wohnflächen erscheine nur dann vertretbar, wenn aktuelle Verwaltungsvorschriften zu § 10 WoFG nicht existierten.
Der Beklagte ist dem entgegengetreten: Es sei vom Bundessozialgericht schon nicht begründet worden, warum zur Bestimmung der in § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II geforderten Angemessenheit hinsichtlich der Wohnungsgröße gerade auf § 10 WoFG zurückgegriffen werde. Es stehe nicht fest, ob der mit der Angemessenheitsprüfung nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II verfolgte Zweck mit den Zwecken des WoFG nebst Ausführungsbestimmungen der Länder übereinstimme. Auf die vom BSG herangezogene VwV-Ersatzwohnraumförderung könne, wie das Landesarbeitsgericht zu Recht ausgeführt habe, nicht zurückgegriffen werden, da deren Ziel die Beschleunigung des Freizugs von Abrissobjekten sei8.
Diese Begründung für die VwV-Ersatzwohnraumförderung zeigt jedoch, dass diese in Übereinstimmung mit dem Bundessozialgericht gerade der Angemessenheitsprüfung nach dem bundesrechtlichen § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II zu Grunde gelegt werden muss und nicht die ältere VwV-SächsBelG. Denn die abstrakte Angemessenheit der Leistung für die Unterkunft kann nicht ohne Berücksichtigung des verfügbaren Wohnraums erfolgen9. Wenn die VwV-Ersatzwohnraumförderung nach ihren vom Landessozialgericht festgestellten weiteren Zwecken der Beschleunigung des Freizugs von Abrissobjekten durch das Anbieten adäquater Wohnungen für Mieterhaushalte, die im Zuge des Stadtumbaus ihre bisherige Wohnung aufgeben müssen, dienen soll und die Wohnflächen gegenüber der bisherigen VwV-SächsBelG erhöht werden, so lässt dies nur den Schluss zu, dass es eine entsprechende Anzahl kleinerer Wohnungen für Mieterhaushalte im sozialen Wohnungsbau nicht gibt. Dann stehen solche Wohnungen aber auch für die Bezieher von SGB II-Leistungen nicht zur Verfügung.
Dass zur Bestimmung der Angemessenheit nach § 22 Abs 1 SGB II auf die Wohnungsgrößen nach den Vorschriften des sozialen Wohnungsbaus abgestellt wird, folgt aus § 1 Abs 2 WoFG („Gesetz über die soziale Wohnraumförderung“), der lautet: „Zielgruppe der sozialen Wohnraumförderung sind Haushalte, die sich am Markt nicht angemessen mit Wohnraum versorgen können und auf Unterstützung angewiesen sind. Unter diesen Voraussetzungen unterstützt die Förderung von Mietwohnraum insbesondere Haushalte mit geringem Einkommen …“ Zu diesen Haushalten mit geringem Einkommen, die Schwierigkeiten haben sich am Markt mit angemessenem Wohnraum zu versorgen, gehören die Haushalte, deren Mitglieder Leistungen nach dem SGB II beziehen, weil sie hinsichtlich ihrer möglichen Aufwendungen für die Kosten der Unterkunft entsprechend begrenzt sind.
Der Rechtsstreit ist an das Landessozialgericht zurückzuverweisen (vgl § 170 Abs 2 SGG), weil schon die für eine Entscheidung über die abstrakt angemessene Leistung für die Unterkunft aufgrund der Wohnungsgröße für Alleinstehende im Freistaat Sachsen notwendigen weiteren Feststellungen, zB zur abstrakt angemessenen Nettokaltmiete, dem Urteil des Landessozialgerichts nicht zu entnehmen sind.
Eine Entscheidung über die Leistung für die Heizung ist ebenfalls nicht möglich, weil diese zwar getrennt von der Leistung für die Unterkunft nach eigenen Regeln zu ermitteln ist, aber keinen eigenen von der Leistung für die Unterkunft zulässigerweise abtrennbaren Streitgegenstand beinhaltet10.
Bundessozialgericht, Urteil vom 26. Mai 2011 – B 14 AS 86/09 R
- Gesetz über die soziale Wohnraumförderung vom 13.09.2001, BGBl I 2376[↩]
- stRspr, vgl nur BSG vom 19.02.2009 – B 4 AS 30/08 R, BSGE 102, 263 = SozR 4-4200 § 22 Nr 19, München, jeweils RdNr 12 mwN[↩]
- BSG vom 02.07.2009 – B 14 AS 36/08 R, BSGE 104, 41 = SozR 4-4200 § 22 Nr 23; zuletzt BSG vom 19.10.2010 – B 14 AS 50/10 R[↩]
- vgl unter Anderem BSG vom 07.11.2006 – B 7b AS 18/06 R, BSGE 97, 254 = SozR 4-4200 § 22 Nr 3; BSG vom 19.10.2010 – B 14 AS 50/10 R; zuletzt BSG vom 13.04.2011 – B 14 AS 106/10 R[↩]
- stRspr seit BSG vom 07.11.2006 – B 7b AS 18/06 R, BSGE 97, 254 = SozR 4-4200 § 22 Nr 3, jeweils RdNr 19; zuletzt BSG vom 13.04.2011 – B 14 AS 106/10 R[↩]
- BGBl I 2376: „Wohnungsförderungsgesetz“[↩]
- BSG, B 4 AS 70/08 R – RdNr 14 f[↩]
- Sächsisches LSG – L 3 AS 29/08[↩]
- vgl BSG vom 19.10.2010 – B 14 AS 50/10 R, Berlin RdNr 27 f; BSG vom 13.04.2011 – B 14 AS 106/10 R, Freiburg[↩]
- BSG vom 02.07.2009 – B 14 AS 36/08 R, BSGE 104, 41 = SozR 4-4200 § 22 Nr 23[↩]





