Beantragt ein Selbständiger Leistungen nach dem SGB II, so ist er im Rahmen seiner Mitwirkungsobliegenheiten nach § 60 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB I gehalten, Angaben über seine voraussichtlichen Einkünfte und Ausgaben im Zusammenhang mit seiner selbständigen Tätigkeit (hier: als Rechtsanwalt) unter Verwendung des Vordruck EKS zu machen.
Bei den insoweit abverlangten Angaben handelt es sich um Tatsachen im Sinne der genannten Norm. Dies ergibt sich aus dem Zweck der Regelung und ihrem systematischen Zusammenhang. Ferner ergibt sich durch die Angaben in der Anlage EKS auch keine übermäßige Heranziehung im Rahmen der in § 65 SGB I geregelten Grenzen der Mitwirkung. Insoweit ist in Rechnung zu stellen, dass es sich um Anforderungen im Rahmen eines steuerfinanzierten Fürsorgesystems handelt, das an die Hilfebedürftigkeit der Antragsteller anknüpft. Die geforderten Angaben halten sich im Rahmen der gesetzlichen Regelungen zur Berechnung des Einkommens aus selbständiger Tätigkeit.
Nach § 60 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB I hat derjenige, der Sozialleistungen beantragt oder erhält, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen. Die Mitwirkungsobliegenheiten des SGB I finden auch im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende Anwendung, soweit keine bereichsspezifischen Mitwirkungsobliegenheiten Anwendung finden1.
Bei den dem Kläger abverlangten Angaben zu seinen Einkünften im Bewilligungszeitraum handelt es sich um Tatsachen im Sinne der Norm. Dies folgt aus dem Zweck der Regelung und ihrem systematischen Zusammenhang. Soweit demgegenüber in der Literatur die Auffassung vertreten wird, der Begriff der Tatsachen umfasse (nur) konkrete Umstände in der Vergangenheit und Gegenwart2, wird dies dem dargelegten Konzept der Mitwirkungsobliegenheiten nicht gerecht. Vielmehr ist der Begriff der „Tatsachen“ iS von § 60 Abs 1 S 1 SGB I bereichsspezifisch zu konkretisieren.
Der Zweck der in § 60 Abs 1 S 1 SGB I geregelten Obliegenheiten ist darauf gerichtet, dem Sozialleistungsträger Kenntnis von denjenigen Tatsachen zu vermitteln, welche die Grundlage für eine Entscheidung über die Bewilligung, Änderung, Entziehung oder Erstattung einer Sozialleistung bilden3. Der Verpflichtung zur Angabe von entscheidungserheblichen Tatsachen kommt hierbei die Funktion zu, den Leistungsträger überhaupt erst in die Lage zu versetzen, seiner Amtsermittlungspflicht nach § 20 SGB X nachzukommen. Insoweit bildet die Erheblichkeit der Tatsachen für die Entscheidung über eine Leistungsgewährung sowohl die sachliche Rechtfertigung als auch die Begrenzung der genannten Mitwirkungsobliegenheiten. Erheblich sind Tatsachen, die die tatbestandlichen Voraussetzungen einer anspruchsbegründenden Norm erfüllen. Hierbei belässt die Norm die Verantwortlichkeit für die Feststellung der maßgebenden Tatsachen ungeachtet der Mitwirkungsobliegenheiten des Leistungsberechtigten – entgegen dem Vorbringen des Klägers – ohne jegliche Einschränkungen dem zuständigen Leistungsträger.
Zu den für die Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu klärenden Umständen gehört die Frage, ob dem Antragsteller im Bewilligungszeitraum (voraussichtlich) Einkommen zufließt, denn die Erzielung von Einkommen führt gegebenenfalls zum teilweisen oder vollständigen Wegfall der Anspruchsvoraussetzung der Hilfebedürftigkeit (§ 7 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB II). Dabei ist Einkommen nach der Rechtsprechung beider für das Recht der Grundsicherung zuständigen Senate grundsätzlich alles, was jemand nach Antragstellung dazu erhält, und Vermögen, was er vor Antragstellung bereits hatte. Es ist vom tatsächlichen Zufluss auszugehen, es sei denn, rechtlich wird ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt4. Da das Bjundessozialgericht die Abgrenzung von Vermögen und Einkommen anhand des Zuflusses der jeweiligen Leistung vornimmt, müssen – modifiziert durch das sog Monatsprinzip – zur Berücksichtigung von Einkommen ab dem Zeitpunkt der Bewilligung zwangsläufig Umstände in die Prüfung einbezogen werden, die in der Zukunft liegen5. Insoweit gilt für andere Umstände – zB die Erwerbsfähigkeit des Leistungsberechtigten, die im Bewilligungszeitraum einem Wandel unterliegen können, nichts anderes. Der Umstand, ob und in welchem Umfang dem Antragsteller während des Bewilligungszeitraums voraussichtlich Einkommen zufließen wird, ist bereits zum Zeitpunkt der Bewilligungsentscheidung entscheidungserheblich. Dies gilt auch für eine vorläufige Entscheidung über die Leistungsbewilligung nach § 40 Abs 1 S 2 Nr 1a SGB II iVm § 328 Abs 1 SGB III. Denn auch bei einer vorläufigen Entscheidung müssen Leistungen – ohne vorsorglichen Abschlag – regelmäßig in derjenigen Höhe gewährt werden, die bei Bestätigung der wahrscheinlich vorliegenden Voraussetzungen voraussichtlich auch endgültig zu leisten sein werden6. Es handelt sich bei den Angaben zur finanziellen Situation während des Bewilligungszeitraums folglich um Tatsachen, die für die Geltendmachung des Leistungsanspruchs erheblich sind.
Die Obliegenheit zur Angabe von Tatsachen nach Maßgabe des § 60 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB I wird systematisch durch diejenige in § 60 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB I ergänzt, wonach derjenige, der Sozialleistungen beantragt oder erhält, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen hat. Diese Obliegenheit dient in erster Linie dazu, die Grundlage für die Aufhebung von Verwaltungsakten mit Dauerwirkung durch den Sozialleistungsträger nach § 48 SGB X zu schaffen. Nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X ist die Befugnis zur Aufhebung von Dauerverwaltungsakten ua bei einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse eröffnet. Bei der Anwendung dieser Norm umfasst die Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen jede Änderung des für die getroffene Regelung relevanten Sachverhalts7. In diesem Zusammenhang ist in der Rechtsprechung des BSG zwar anerkannt, dass – soweit objektiv nur die Möglichkeit einer prospektiven Schätzung etwa der Einkommenssituation besteht – die Voraussetzungen für eine endgültige Bewilligung der Leistungen zu verneinen sind8. Hieraus kann jedoch nicht im Umkehrschluss gefolgert werden, dass es sich bei den Angaben zu den voraussichtlichen Einnahmen nicht um die Mitteilung von Tatsachen handele. Folgerichtig bleibt Maßstab der Überprüfung von Aufhebungsentscheidungen bei einer endgültigen Leistungsbewilligung § 45 oder § 48 SGB X9. Unterlässt der zur Mitwirkung Verpflichtete schuldhaft eine entsprechende Mitteilung nach § 60 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB I, so berechtigt dies den Leistungsträger zur rückwirkenden Aufhebung der Bewilligung nach § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X.
Im Übrigen ergibt sich keine andere Beurteilung daraus, dass die Höhe der Einkünfte selbstständig Tätiger vielfach in größerem Umfang mit Unsicherheiten behaftet sind, als dies zB für Einnahmen aus Kapitalvermögen oder Einkünften aus abhängiger Beschäftigung angenommen werden kann. Insoweit ändert das Ausmaß der Unsicherheit nichts daran, dass der Antragsteller am ehesten zu verlässlichen Angaben über seine voraussichtlichen finanziellen Verhältnisse im Bewilligungszeitraum in der Lage sein wird und eine Verwaltungsentscheidung ohne seine Mitwirkung praktisch nicht vollziehbar ist.
Schließlich stehen der hier in Frage stehenden Mitwirkungsobliegenheit nicht die in § 65 SGB I geregelten Grenzen der Mitwirkung entgegen. Insbesondere liegt keine Verletzung der in § 65 Abs 1 Nr 1 SGB I für die Mitwirkungsobliegenheiten niedergelegten spezifischen Maßgaben des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vor. Hiernach bestehen die Mitwirkungspflichten nach §§ 60 bis 64 SGB I nicht, soweit ihre Erfüllung nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung oder ihrer Erstattung steht. Es handelt sich insoweit um eine Konkretisierung des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Im Rahmen dieser Regelung sind die Grenzen der Mitwirkung im Sinne einer Zweck-Mittel-Relation durch eine Abwägung von Art und Umfang der Sozialleistung einerseits und des für die Erfüllung der Mitwirkungspflicht erforderlichen Aufwands des Mitwirkungsverpflichteten andererseits zu konkretisieren10. In vergleichbarem Zusammenhang hat bereits der 14. Senat des BSG bei der Frage der Zumutbarkeit einer Mitwirkung des Leistungsberechtigten durch Vorlage von Kontoauszügen auf die Besonderheiten der SGB II-Leistungen hingewiesen, da es sich um Anforderungen im Rahmen eines steuerfinanzierten Fürsorgesystems handelt, das strikt an die Hilfebedürftigkeit der Leistungsempfänger als Anspruchsvoraussetzung anknüpft1.
Ferner hält sich die hier in Frage stehende Mitwirkungshandlung innerhalb der durch die einschlägigen Regelungen gezogenen Grenzen. Die Berechnung des Einkommens aus selbstständiger Tätigkeit erfolgt nach Maßgabe des § 3 Alg II-V11. Hiernach sind Ausgangspunkt für die Berechnung die tatsächlich zufließenden Betriebseinnahmen, die nach Maßgabe des § 3 Abs 2 Alg II-V und des § 11b SGB II in Abkehr der bis 31.12.2007 geltenden steuerrechtlichen Betrachtung zu bereinigen sind12. Hinsichtlich der berücksichtigungsfähigen Ausgaben sieht § 3 Abs 3 Alg II-V die Abzugsfähigkeit begrenzende zusätzliche Prüfungen vor. Die von selbstständig Tätigen in der Anlage EKS zu tätigenden Angaben entsprechen diesem komplexen normativen Prüfprogramm. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass angesichts des Ziels der ab 1.01.2008 für selbstständig Tätige geltenden Regelungen, höhere Einsparungen bei den passiven Leistungen zu erzielen, der hieraus erwachsende Aufwand diesen Personenkreis, der seinen Lebensunterhalt ergänzend durch eine steuerfinanzierte Sozialleistung sicherstellen will, unverhältnismäßig belasten würde.
Der Senat lässt dahinstehen, ob die Geltendmachung eines Beratungs- bzw Auskunftsanspruches nach § 14 SGB I13, den der Kläger hinsichtlich der Art und Weise der Ausfüllung der Anlage EKS gegen den Beklagten geltend macht, im Falle der Ablehnung einen anfechtbaren Verwaltungsakt darstellt14, sodass nicht die reine Leistungsklage, sondern die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage die richtige Klageart wäre.
Unabhängig von der hier einschlägigen Klageart ist für die vom Kläger gegen den Beklagten erhobene Klage, die auf Auskunft hinsichtlich der Ausfüllung der dem Kläger in der Anlage EKS abverlangten Angaben gerichtet ist, jedenfalls ein Rechtsschutzbedürfnis nicht ersichtlich. Das Rechtsschutzbedürfnis ist Zulässigkeitsvoraussetzung einer jeden Klage. Es ist vom Rechtsmittelgericht in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen15; dadurch sollen zweckwidrige Prozesse verhindert und eine unnötige Inanspruchnahme des Rechtsschutzes durch staatliche Gerichte verhindert werden. Das gerichtliche Rechtsschutzinteresse ist grundsätzlich zu verneinen, wenn das angestrebte Ergebnis nicht auf einfachere Weise erreicht werden kann. Am Rechtsschutzverhältnis fehlt es, weil der Kläger vor der Klageerhebung nicht mit einem auf eine konkrete Fragestellung abzielenden Auskunftsbegehren an den Beklagten herangetreten ist. Eine derartige Konkretisierung ist im Übrigen auch bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht erfolgt. Eine vorherige Befassung des Beklagten mit einem konkreten Begehren ist auch nicht entbehrlich, denn es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Beklagte dem Kläger keine Hinweise zur Überwindung von konkreten Schwierigkeiten bei der Ausfüllung des Vordrucks geben würde.
Bundessozialgericht, Urteil vom 28. März 2013 – B 4 AS 42/12 R
- BSG vom 19.09.2008 – B 14 AS 45/07 R, BSGE 101, 260 = SozR 4-1200 § 60 Nr 2, RdNr 13[↩][↩]
- Sichert in Hauck/Noftz, SGB I, § 60 Rz 27, Stand 12/10; zutreffend dagegen Jung in Eichenhofer/Wenner, SGB I/SGB IV/SGB X, 2012, § 60 SGB I Rz 19: … Vorgänge in der Vergangenheit und Zukunft …[↩]
- Kampe in jurisPK-SGB I, 2. Aufl 2012, § 60 Rz 18; Sichert in Hauck/Noftz, SGB I, § 60 Rz 26, Stand 12/2010[↩]
- BSG vom 22.03.2012 – B 4 AS 139/11 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 55 mwN[↩]
- Bayerisches LSG vom 30.07.2010 – L 7 AS 12/10[↩]
- BSG vom 06.04.2011 – B 4 AS 119/10 R, BSGE 108, 86 = SozR 4-1500 § 54 Nr 21, RdNr 34[↩]
- Merten in Hauck/Noftz, SGB X, § 48 RdNr 18, Stand 12/12[↩]
- BSG vom 21.06.2011 – B 4 AS 21/10 R, SozR 4-4200 § 11 Nr 39, RdNr 16[↩]
- BSG vom 21.06.2011, aaO[↩]
- Joussen in KSW, 2. Aufl 2011, § 54 Rz 4; Kampe in jurisPK-SGB I, 2. Aufl 2011, § 60 Rz 14[↩]
- idF der Sechsten Verordnung zur Änderung der Alg II-V vom 19.12.2011, BGBl I 2833[↩]
- zur Berechnung s Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, § 13 Rz 190 ff, Stand XI/12[↩]
- vgl zur Geltendmachung des Beratungsanspruchs Knecht in Hauck/Noftz, SGB I, § 14 RdNr 19, Stand 6/10; Mönch-Kalina, jurisPK-SGB I, 2. Aufl 2011, § 14 RdNr 40[↩]
- so zur Auskunft nach § 15 SGB I: BSG vom 12.11.1980 – 1 RA 45/79, SozR 1200 § 14 Nr 9; zur Auskunft nach § 83 SGB X BSG vom 13.11.2012 – B 1 KR 13/12 R, SozR 4-1500 § 54 Nr 27[↩]
- Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, Vor § 51 RdNr 20[↩]






