Einpersonenhaushalt in Berlin

§ 5 WAufwV BE ist ermächtigungskonform so aus auszulegen, dass die Übernahme eines Mietpreises, der die ortübliche Miete erheblich überschreitet und eine preissteigernde Wirkung im Sinne von § 22a Abs 3 Nr 1 SGB 2 auslösen kann, als unangemessen abgelehnt werden darf, auch wenn die Voraussetzungen für Mietwucher oder eine Mietpreisüberhöhung nach § 5 WiStG 1954 nicht erfüllt sind. Die schematische Errechnung einer als unangemessen gewerteten Quadratmeter-Höchstmiete in § 5 Abs 2 WAufwV BE geht über dieses Regelungsziel hinaus und führt überdies zu einer Abkehr von der Produkttheorie.

Die auf § 22b Abs. 1 Satz 3 SGB II gestützte Quadratmeter-Höchstgrenze zielt darauf ab, Mietpreisüberhöhungen „in Anlehnung an den Tatbestand des Mietwuchers“ (so ausdrücklich die geplante Neufassung von § 5 WAV) zu verhindern. Die schematische Errechnung einer als unangemessenen gewerteten Qm-Höchstmiete in § 5 Abs. 2 WAV:

„Wird der maßgebliche monatliche Quadratmeterpreis gemäß Spalte 3 der Tabelle A der Anlage 1 zu dieser Verordnung um mehr als 50 vom Hundert überschritten, gelten die tatsächlichen Aufwendungen auch dann nicht als angemessen, wenn der Richtwert für angemessene Aufwendungen nach § 4 nicht überschritten wird“.

geht über dieses Regelungsziel hinaus und führt im Ergebnis zu einer Abkehr von der Produkttheorie. Bei wortgetreuer Anwendung wäre § 5 Abs. 2 WAV daher nicht mehr von der Satzungsermächtigung nach § 22a Abs. 1 Satz 3 SGB II gedeckt. Denn der Gesetzesbegründung zu § 22b Abs. 1 SGB II1 lässt sich entnehmen, dass mit der in Satz 3 geschaffenen Regelungsbefugnis eine erweiterte Produkttheorie mit Einbeziehung der Heizkosten ermöglicht werden sollte. Von einem Spielraum dahingehend, die Angemessenheit einer Wohnung gegen die Produkttheorie nach einzelnen Faktoren des Mietpreises beurteilen zu können, ist keine Rede, worauf die Rechenweise in § 5 Abs. 2 WAV aber hinausläuft.

Überdies ist fraglich, ob die Übernahme eines nach der Produkttheorie als angemessen zu bewertenden Mietpreises seitens der SGB II-Träger auf dem allgemeinen Wohnungsmarkt überzogene Quadratmeterpreise in Richtung Mietwucher nach sich zieht. Tatsächlich dürfte die mit einer QM-Höchstgrenze verbundene Einschränkung der Wohnungssuche eher zu einem Preisschub auf dem für leistungsberechtigte Personen zugänglichen Wohnungsmarkt führen. Berlit hat schon im Jahr 2005 in einer Anmerkungen zum Urteil des BVerwG zur Produkttheorie2 auf solche Effekte hingewiesen: Das Urteil führt zu mehr Flexibilität bei den Leistungsberechtigten. Es eröffnet ihnen ein breiteres Spektrum leistungsunschädlich anzumietender Unterkünfte und entlastet so auch den Wohnungsmarkt. Ein Leistungsberechtigter kann eine nach Lage oder sonstigen Ausstattungsmerkmalen bei isolierter Betrachtung partiell unangemessene, weil aus sozialhilferechtlicher Sicht „zu gute“ Unterkunft anmieten, wenn sie zu einem besonders günstigen Preis angeboten wird („Schnäppchen“) oder der Endpreis angemessen ist, weil er sich hinsichtlich anderer Ausstattungsmerkmale oder der Wohnungsgröße beschränkt. Der nach dem Urteil mögliche Ausgleich zwischen den einzelnen Parametern, die im Ergebnis die Unterkunftskosten bestimmen, beugt auch einer (räumlichen) Konzentration der Leistungsberechtigten auf die nur in begrenzter Zahl zur Verfügung stehenden, hinsichtlich jedes einzelnen Merkmals (insb. Größe, Lage, Ausstattung, Wohnumfeld) auf Sozial- bzw. Grundsicherungsniveau liegenden Unterkünfte vor und vermeidet eine potenziell kostentreibende Nachfragebündelung auf ein eingegrenztes Wohnungsmarktsegment. Eine Pauschalierung der Unterkunftskosten liegt hierin nicht, weil Leistungen stets nur für tatsächliche Aufwendungen gewährt werden.

Die Ausgestaltung der Qm-Höchstgrenze in § 5 Abs. 2 WAV steht unter diesem Blickwinkel sogar in Konflikt zum Regelungsziel in § 22a Abs. 3 Nr. 1 SGB II.

Ermächtigungskonform muss § 5 WAV mithin so ausgelegt werden, dass die Übernahme eines Mietpreises, der die ortsübliche Miete erheblich überschreitet und eine preissteigernde Wirkung i. S. von § 22a Abs. 3 Nr. 1 SGB II auslösen kann, als unangemessen abgelehnt werden darf, auch wenn die Voraussetzungen für Mietwucher oder eine Mietpreisüberhöhung nach § 5 Wirtschaftsstrafgesetz 1954 – WiStG nicht erfüllt sind (denn wären sie erfüllt, bestünde schon nach §§ 134, 138 BGB keine durchsetzbare Mietzinsforderung, so dass die Miete bereits nach bisheriger BSG-Rechtsprechung3 unangemessen wäre).

Vergleicht man die Mietwerte der vom Ast. avisierten Wohnung mit aktuellen Internet-Angeboten, kann ohne nähere Ermittlungen4 eine auffällige Abweichung von ortsüblichen Mieten ausgeschlossen werden.

Der IBB-Wohnungsmarktbericht 2011 beschreibt in Überstimmung mit sonstigen Beobachtungen des Berliner Wohnungsmarktes insbesondere im Segment kleiner Single-Wohnungen überdurchschnittliche Preissteigerungen. Trotz einfacher Ausstattung liegen die Mieten für Wohnungen in citynahen Bezirken nicht nur vereinzelt zwischen 8,00 € und 9,00 € pro Qm.

Dem Antragsteller kann nicht entgegengehalten werden, dass es in Spandau oder Marzahn-Hellersdorf günstigere Wohnungen gibt. Weil er sich durch Bescheidung auf eine sehr kleine Wohnung im Gesamtpreis im Bereich der WAV-Werte nach § 4 WAV bewegt, steht ihm nach der Produkttheorie die Wahl frei, trotz Alg II-Bezug in anderen Bezirken wohnen zu können.

Beschränkte man über § 5 WAV dieses Wahlrecht, ergäbe sich gegen § 22a Abs. 3 Nr. 4 SGB II die Gefahr einer Konzentration von Armutsbevölkerung in bestimmten Wohnbezirken.

Ergänzend sei angemerkt, dass die Berechnung der Höchstpreisgrenze für eine 2013 angebotene Wohnung anhand der gewichteten Mietspiegelwerte 2011, d. h. aus Datenbeständen mit Stichtag 1.09.2010, angesichts der rasanten Mietpreissteigerungen auch wegen eines veralteten Datenmaterials keine realitätsgerechte Bestimmung überhöhter Mietpreise ermöglicht.

Es besteht nach alldem kein Zweifel daran, dass die avisierte Wohnung inklusive der Heiz- und Warmwasserkosten derzeit angemessen i. S. von § 4 WAV ist. Die sehr üppig bemessenen Abschläge lassen nicht befürchten, dass die Wohnung infolge erhöhter Vorauszahlungen alsbald zu teuer wird.

Das Erfordernis einer einstweiligen Sicherung des Wohnungsangebots ergibt sich aus der vom Vermieter verlangten Mietübernahmegarantie und der vom Ast. glaubhaft berichteten Schwierigkeiten, auf dem immer enger werdenden Berliner Wohnungsmarkt Vermieter zu finden, die bereit sind, trotz hoher Nachfrage nicht hilfebedürftiger Personen auch an Alg II-Bezieher zu vermieten.

Sozialgericht Berlin, Beschluss vom 28. Januar 2013 – S 37 AS 2006/13 ER

  1. BT-Drs. 17/3404, S. 101[]
  2. BVerwG, Urteil vom 28.04.2005 – 5 C 15/04[]
  3. z. B. BSG vom 24.11.2011 – B 14 AS 15/11 R[]
  4. zur Notwendigkeit eines Sachverständigengutachtens zur Feststellung mietwucherischer Preise s. LG Berlin vom 07.12.2001 – 64 S 553/00[]