Rückforderung der Kosten der Unterkunft

Vom Vermieter können zu Unrecht geleistete Kosten der Unterkunft und Heizung grundsätzlich nicht zurück gefordert werden.

Wie das Sozialgericht Karlsruhe jetzt entschied, können vom Leistungsträger zu Unrecht erbrachte Kosten der Unterkunft und Heizung auch dann, wenn die Leistung direkt an den Vermieter ausbezahlt worden ist, grundsätzlich nur vom Hilfebedürftigen und nicht vom Vermieter zurück gefordert werden.

§ 53 Abs. 6 SGB I ist nur dann eine geeignete Ermächtigungsgrundlage für die gesamtschuldnerische Inanspruchnahme des Vermieters, wenn zwischen diesem und dem Hilfebedürftigen ein Abtretungsvertrag geschlossen worden ist oder eine Verpfändung stattgefunden hat. Hierfür genügt eine vom Hilfebedürftigen gegenüber dem Leistungsträger erklärte Einwilligung in die Auszahlung an den Vermieter nicht.

Jedenfalls soweit der Träger der Grundsicherung die Rückforderung gesamtschuldnerisch auch gegenüber dem Vermieter geltend macht, ist dieser den Vermieter belastende Bescheid in Ermangelung einer abweichenden Ermächtigungsgrundlage nur rechtmäßig, wenn er den Anforderungen des § 53 Abs. 6 SGB I genügt. Dies ist – außer in den Fällen der Abtretung oder Verpfändung – aber nicht der Fall.

Der Grundsicherungsträger kann den angefochtenen Rückforderungsbescheid nicht auf § 50 SGB X stützen. Soweit es um die Haftung von Dritten für gegen den Leistungsempfänger gerichtete Erstattungsforderungen geht, ist zum einen § 53 Abs. 6 SGB I seit seinem Inkrafttreten die speziellere und abschließende Bestimmung. Zum anderen war auch zur Dogmatik des § 50 SGB X vor Inkrafttreten des § 53 Abs. 6 SGB I anerkannt, dass in Fällen wie dem vorliegenden, in denen eine Leistung auf Verlangen des Leistungsberechtigten an einen Dritten – hier den Vermieter – ausbezahlt wird, allein der ursprünglich Leistungsberechtigte erstattungspflichtig ist1.

Nach § 53 Abs. 6 SGB I sind sowohl der Leistungsberechtigte als auch der neue Gläubiger als Gesamtschuldner dem Leistungsträger zur Erstattung verpflichtet, soweit bei einer Übertragung oder Verpfändung Geldleistungen zu Unrecht erbracht worden sind. Der Leistungsträger hat den Anspruch durch Verwaltungsakt geltend zu machen.

Da vorliegend eine Verpfändung des Leistungsanspruchs unstreitig ausscheidet, ist entscheidend, ob der Leistungsanspruch von der Leistungsbezieherin auf den Vermieter übertragen worden ist. Eine „Übertragung“ im Sinne der Bestimmung setzt eine Zession nach § 398 BGB voraus. Diese Interpretation entspricht zum einen dem natürlichen Wortsinn des Merkmals „Übertragung“ und ist zum anderen auch damit begründbar, dass das Gesetz von einem „neuen Gläubiger“ ausgeht. Die vom Gesetzgeber verwendete Wortwahl macht deutlich, dass ein Austausch der Person des Gläubigers als Voraussetzung für die Anwendbarkeit von § 53 Abs. 6 SGB I angesehen wird. Die Begründung einer – vorliegend ggfs. noch näher zu prüfenden – bloßen Gesamtgläubigerschaft im Sinne des § 428 BGB genügt nach Auffassung des Sozialgerichts Karlsruhe hierfür nicht2.

Diese Auffassung des Sozialgerichts Karlsruhe lässt sich darüber hinaus auch mit einer historischen Auslegung der Bestimmung begründen. Der Grund für die Aufnahme der Bestimmung in das SGB I liegt im Wesentlichen in der Entscheidung des Bundessozialgericht vom 30. Januar 20023, in der es um die Erstattungspflicht des Zessionars im Falle der Zession ging. Speziell für den vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall der Abtretung sollte eine von der Entscheidung des Bundessozialgerichts abweichende Rechtsfolge kodifiziert werden4.

Eine Abtretung ist dabei gemäß § 398 BGB ein Vertrag zwischen bisherigem Gläubiger / Leistungsberechtigtem und Zessionar. Einer Mitwirkung des Schuldners bedarf es grundsätzlich nicht5. Ein solcher Vertrag ist vorliegend nicht geschlossen worden. Er kann insbesondere nicht in der Erklärung der Leistungsbezieherin auf dem Zusatzblatt zum Weiterbewilligungsantrag vom 03.09.07 gesehen werden. Diese Erklärung betrifft ausschließlich das Binnenverhältnis zwischen der Leistungsberechtigten und dem Grundsicherungsträger in seiner Eigenschaft als Schuldner der Sozialleistung. Eine Gegenzeichnung durch den Vermieter ist nicht erfolgt, es mangelt daher hier an der für eine Abtretung erforderlichen Willenserklärung des Zessionars / des Vermieters.

Eine solche Willenserklärung hat der Vermieter auch nicht zu einem anderen Zeitpunkt abgegeben. Insbesondere kann eine solche nicht in der unkommentierten Duldung der Überweisung der Miete durch den Grundsicherungsträger gesehen werden. Auch hier gilt insoweit der allgemeine rechtliche Grundsatz, dass dem Schweigen einer Person grundsätzlich kein Erklärungswert zukommt.

Die vom Sozialgericht Karlsruhe vorgenommene Interpretation des § 53 Abs. 6 SGB I führt im Ergebnis dazu, dass vom Leistungsträger direkt an den Vermieter überwiesene, dem Hilfebedürftigen nicht zustehende Kosten der Unterkunft und Heizung grundsätzlich vom Hilfebedürftigen zurückzufordern sind und nur ausnahmsweise, nämlich im Falle des Abschlusses eines wirksamen Abtretungsvertrages zwischen Vermieter und Leistungsempfänger bzw. der Verpfändung, vom Vermieter zurück verlangt werden können.

Dieses Ergebnis ist auch interessengerecht. Zwar geht es im vorliegenden, von der Kammer zu entscheidenden Fall „nur“ um einen überschaubaren Erstattungszeitraum von zwei Monaten. Es ist aber zu beachten, dass Erstattungsforderungen im Falle von Unrechtsbezügen beispielsweise bei nicht angezeigten Nebentätigkeiten auch deutlich längere Zeiträume und deutlich höhere Beträge umfassen können. Wäre die gegenteilige These richtig und könnten Hilfebedürftiger und Leistungsträger durch Rechtsgeschäft ohne Beteiligung des Vermieters die Rechtsfolge des § 53 Abs. 6 SGB I herbeiführen, so hätte der Vermieter ohne eine Möglichkeit zur Einflussnahme bis zum Ablauf der Verjährungsfrist der Erstattungsforderung keine Gewissheit darüber, ob er mit den erhaltenen Mietzahlungen disponieren kann oder diese später zu erstatten sein werden.

Wie im vorliegenden Fall auch liegt der Grund für die Entstehung von Erstattungsforderungen beim SGB II – Bezug dabei regelmäßig im Verantwortungsbereich des Leistungsbeziehers. In diesen hat der Vermieter aus Gründen des Datenschutzes keinen Einblick. Eine andere Ansicht, als die hier vom Sozialgericht Karlsruhe vertretene führte daher im Ergebnis dazu, dass der Vermieter das Risiko einginge, dem Mieter bei wirtschaftlicher Betrachtung de facto für eine nicht überschaubaren Zeitraum unentgeltlich Wohnraum zur Verfügung stellen und das Insolvenzrisiko tragen zu müssen. Mangels Einblick in die Akten des Leistungsträgers wäre er hierbei nicht einmal in der Lage, sein entsprechendes Risiko abzuschätzen. Wegen der in Erstattungsfällen stets zeitlich rückwirkend erfolgenden Abwicklung würde dem Vermieter darüber hinaus die Möglichkeit genommen, die ihm von der Rechtsordnung im Falle ausbleibender Mietzahlungen zugestandenen Verteidigungsmittel (Mahnung, Kündigung, Räumungsklage) zeitnah zu nutzen und hierdurch den entstehenden Schaden zu minimieren. Insbesondere in Fällen, in denen der Vermieter etwa aufgrund bestehender Kreditverbindlichkeiten für den Erwerb des Wohnraums auf die eingehenden Mietzahlungen wirtschaftlich angewiesen ist, könnte eine solche Rechtsfolge zur Insolvenz des – seiner mietvertraglichen Leistungspflicht entsprechenden – Vermieters führen.

Ein solches Ergebnis wäre nach Auffassung des Sozialgerichts Karlsruhe nicht interessengerecht. Vielmehr ist es Aufgabe des Leistungsträgers und nicht des Vermieters, die Voraussetzungen des Leistungsbezugs zu prüfen und deren Vorliegen fortlaufend zu überwachen. Kommt es in Folge einer Störung dieser Prüfungs- und Überwachungsfunktion zu einer Realisierung des – bei SGB II – Leistungsempfängern zuweilen erhöhten – Insolvenzrisikos, so ist es nach Auffassung der Kammer daher nur interessengerecht, dieses Risiko dem Leistungsträger zuzuweisen.

Sozialgericht Karlsruhe. Urteil vom 26. März 2010 – S 17 AS 1435/09

  1. vgl. BSG SozR 3-1300 § 50 Nr. 10; und Freischmidt in Hauck/Noftz, „SGB X“, K § 50 Rn. 13b[]
  2. vgl. bereits Lilge, „SGB I“, Berlin 2009, § 53 SGB I Rn. 7 ff und 64 f.[]
  3. B 5 RJ 26/01 R[]
  4. vgl. Lilge a.a.O.[]
  5. vgl. Palandt, BGB, 68. Aufl. 2009, § 398 BGB Rn. 2[]