Ermittlung angemessener Unterkunftskosten

Das Konzept eines Grundsicherungsträger zur Ermittlung der angemessenen Unterkunftskosten, das nicht nach Wohnungsgrößen differenziert und sich auf nicht auf das maßgebliche Vergleichsgebiet beschränkte Daten in räumlich nicht zusammenhängenden Teilwohnungsmärkten stützt, ist nach einem Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe nicht schlüssig im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts.

Der Anspruch auf Arbeitslosengeld II umfasst nach § 19 Satz 1 SGB II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Diese werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit sie angemessen sind (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den nach den Besonderheiten des Einzelfalls angemessenen Umfang überschreiten, sind sie so lange zu berücksichtigen, wie es dem Hilfebedürftigen nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise seine Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate (§ 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II).

Die gerichtlich voll überprüfbare Angemessenheit der tatsächlichen Aufwendungen für eine Wohnung ist nach der so genannten Produkttheorie1 in drei Schritten zu prüfen: Nach der in einem ersten Schritt vorzunehmenden Bestimmung der abstrakt angemessenen Wohnungsgrößen und des Wohnungsstandards wird in einem zweiten Schritt festgelegt, auf welche konkreten räumlichen Gegebenheiten als räumlichen Vergleichsmaßstab für die weiteren Prüfungsschritte abzustellen ist. Anschließend ist zu ermitteln, wie viel für eine nach Größe und Standard abstrakt als angemessen eingestufte Wohnung auf dem für den Hilfebedürftigen maßgeblichen Wohnungsmarkt aufzuwenden ist. Dabei ist nicht nur auf die tatsächlich am Markt angebotenen Wohnungen abzustellen, sondern auch auf vermietete Wohnungen. Nach der Produkttheorie müssen nicht beide Faktoren (Wohnungsgröße, Wohnungsstandard – ausgedrückt durch Quadratmeterpreis) je für sich betrachtet angemessen sein, solange jedenfalls das Produkt aus Wohnfläche (Quadratmeterzahl) und Standard (Mietpreis je Quadratmeter) eine insgesamt angemessene Wohnungsmiete (Referenzmiete) ergibt.

Die Bemessung der angemessenen Wohnungsgröße erfolgt, solange keine bundeseinheitliche Festsetzung auf dem Verordnungsweg gemäß § 27 SGB II erfolgt ist2, nach den landesrechtlichen Durchführungsvorschriften zu § 10 des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung (WofG). Nach den für Baden-Württemberg insoweit geltenden Verwaltungsvorschriften des Wirtschaftsministeriums zur Sicherung von Bindungen in der sozialen Wohnraumförderung3 ist für einen Einpersonenhaushalt die vom Beklagten zugrunde gelegte Wohnungsgröße von 45 Quadratmetern angemessen. Die Wohnung der Klägerin überschritt diesen Wert um fünf Quadratmeter. Diese Überschreitung hätte sie nur ausgleichen können, wenn ihre Mietaufwendungen die Referenzmiete nicht überschritten hätte.

Vergleichsraum für die Ermittlung des Mietpreisniveaus ist in erster Linie der Wohnort des Hilfebedürftigen. Ein Umzug an einen anderen Ort, der mit der Aufgabe des sozialen Umfelds verbunden wäre, kann von ihm im Regelfall nicht verlangt werden.4. Dabei ist zwar nicht strikt auf den kommunalverfassungsrechtlichen Begriff der Gemeinde nach dem jeweiligen Landeskommunalrecht abzustellen. Vielmehr kann es insbesondere im ländlichen Raum geboten sein, größere Gebiete als Vergleichsgebiete zusammenzufassen, während in größeren Städten andererseits eine Unterteilung in mehrere kleinere Vergleichsgebiete, die kommunalverfassungsrechtlich keine selbständigen Einheiten darstellen, geboten sein kann5. Nachdem es sich beim Umland des ehemaligen Wohnorts der Klägerin zum einen nicht um ein besonders ländlich geprägtes Gebiet handelt und zum anderen die Stadt H. als Große Kreisstadt mit einer Einwohnerzahl von rund 21.000 gemessen an räumlicher Nähe, Infrastruktur und verkehrstechnischer Verbundenheit auch einen homogenen Lebens- und Wohnbereich darstellt (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 19.02.2009 – B 4 AS 30/08 R)), ist hier das Gemeindegebiet als Vergleichsmaßstab heranzuziehen. Dem widerspricht die vom Beklagten vorgenommene Einteilung seines Kreisgebiets in nur fünf Teilwohnungsmärkte, die vollkommen losgelöst von der räumlichen Verbundenheit vorgenommen wurde. Der Klägerin war auch nicht etwa deswegen ein Umzug an einen anderen Ort zuzumuten, weil sie später in den E.-Kreis gezogen ist und ihr soziales Umfeld damit vorübergehend aufgegeben hat.

Die örtlichen Gegebenheiten auf dem Wohnungsmarkt in H. hat der Beklagte mit der seiner Bewilligungsentscheidung zugrunde liegenden Referenzmiete von 261,00 € nicht hinreichend ermittelt. Zur Feststellung der Beschaffenheit des örtlichen Mietwohnungsmarktes und zur Ermittlung einer Mietobergrenze für Wohnungen mit bescheidenem Zuschnitt muss der Grundsicherungsträger nicht zwingend auf einen qualifizierten oder einfachen Mietspiegel im Sinne der §§ 558c und 558d BGB abstellen. Die vom Grundsicherungsträger gewählte Datengrundlage muss allerdings auf einem schlüssigen Konzept beruhen, das eine hinreichende Gewähr dafür bietet, die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Mietwohnungsmarktes wiederzugeben6. Entscheidend ist insoweit, dass den Feststellungen des Grundsicherungsträgers ein Konzept zu Grunde liegt, dieses im Interesse der Überprüfbarkeit des Ergebnisses schlüssig und damit die Begrenzung der tatsächlichen Unterkunftskosten auf ein angemessenes Maß hinreichend nachvollziehbar ist. Bei der Erstellung eines solchen Konzepts ist zu beachten, dass es dem Hilfebedürftigen angesichts der danach ermittelten Referenzmiete möglich sein muss, im konkreten Vergleichsraum eine angemessene Wohnung anzumieten. Hierzu ist ein planmäßiges Vorgehen des Grundsicherungsträgers im Sinne der systematischen Ermittlung und Bewertung der erforderlichen Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle im maßgeblichen Vergleichszeitraum erforderlich. Schlüssig ist das vom Grundsicherungsträger gewählte Konzept, wenn es mindestens die folgenden Voraussetzungen erfüllt7:

  • Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung).
  • Es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, z.B. welche Art von Wohnungen – Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete (Vergleichbarkeit), Differenzierung nach Wohnungsgröße.
  • Das Konzept muss Angaben über den Beobachtungszeitraum enthalten.
  • Es bedarf einer Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, z.B. Mietspiegel).
  • Der Umfang der einbezogenen Daten muss repräsentativ sein.
  • Die Validität der Datenerhebung muss sichergestellt sein.
  • Die anerkannten mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung sind einzuhalten.
  • Das Konzept muss Angaben über die gezogenen Schlüsse (z.B. Spannoberwert und Kappungsgrenze) enthalten.

Diesen Vorgaben wird das vom Beklagten gewählte und angewandte Konzept nicht gerecht.

Es ist bereits deshalb unschlüssig, weil die zugrunde gelegte Datenerhebung sich nicht auf den untersuchten Vergleichsraum, hier das Gemeindegebiet von H., beschränkt. Vielmehr hat der Beklagte eine Zuordnung der Kreisgemeinden zu fünf von ihm gebildeten Teilwohnungsmärkten vorgenommen, die sich nicht räumlich, sondern über ein nach Ansicht des Beklagten vergleichbares Mietniveau definieren. Dies hat eine Nivellierung der Referenzmieten unter den einem Teilwohnungsmarkt („Mietstufe“) zugeordneten Gemeinden zur Folge. Im konkreten Fall drückt sich dies dadurch aus, dass ausweislich der vom Beklagten erhobenen Zahlen für H. ein durchschnittlicher Kaltmiete-Quadratmeterpreis von 6,41 € ermittelt wurde, aufgrund der Mietstufenzuordnung jedoch nur ein Kaltmiete-Quadratmeterpreis von 5,80 € als angemessen anerkannt wird. Durch dieses Vorgehen ist nicht sichergestellt, dass zu der festgelegten Referenzmiete tatsächlich Wohnraum in H. zur Verfügung steht. Denn dieser liegen auch Daten aus Gebieten außerhalb des maßgeblichen Vergleichsraums zugrunde.

Das Konzept des Beklagten ist weiter deshalb unschlüssig, weil bei der Ermittlung der Differenzmiete keine Differenzierung nach Wohnungsgrößen vorgenommen wurde. Damit berücksichtigt der Beklagte nicht den zwischen den durchschnittlichen Kaltmiete-Quadratmeterpreisen je nach Wohnungsgröße bestehenden Unterschied. Dies führt zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung von (durch das Konzept des Beklagten privilegierten) Mehrpersonenhaushalten gegenüber (durch das Konzept des Beklagten benachteiligte) Einpersonenhaushalte wie denjenigen der Klägerin.

Da das Konzept des Beklagten mithin bereits auf ungeeigneten Grundlagen beruht, erübrigt sich eine weitere Überprüfung der Repräsentativität und der Validität der einbezogenen Daten. Bei einer etwaigen Überarbeitung seines Konzepts wird der Beklagte allerdings darauf zu achten haben, die von ihm aus künftigen Datenerhebungen gezogenen Schlussfolgerungen nachvollziehbar zu dokumentieren. Hieran mangelt es bislang.

Es ist im Wesentlichen Sache der Grundsicherungsträger, für ihren Zuständigkeitsbereich ein schlüssiges Konzept zu entwickeln sowie auf dessen Grundlage die erforderlichen Daten zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenze zu erheben und auszuwerten. Die anhand eines solchen Konzeptes erzielbaren Erkenntnisse sind grundsätzlich schon für eine sachgerechte Entscheidung im Verwaltungsverfahren notwendig. Liegt der Bestimmung der Angemessenheitsgrenze des Grundsicherungsträgers ein schlüssiges Konzept wie hier nicht zu Grunde, geht die Ermittlungspflicht nicht ohne Weiteres auf das Sozialgericht über. Vielmehr ist er im Rahmen seiner prozessualen Mitwirkungspflicht nach § 103 Satz 1 SGG gehalten, dem Gericht eine möglichst zuverlässige Entscheidungsgrundlage zu verschaffen und eine unterbliebene oder unzureichende Datenerhebung und -aufbereitung ggf. nachzuholen8.

Im vorliegenden Fall erachtet es das Sozialgericht Karlsruhe aufgrund des Zeitablaufs allerdings mit den zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen nicht mehr für möglich, die angemessene Kaltmiete am ehemaligen Wohnort der Klägerin in H. für die Monate September bis November 2007 zu ermitteln. In einem solchen Fall sind grundsätzlich die tatsächlichen Kosten der Unterkunft zu übernehmen. Es existiert jedoch auch dann eine absolute Obergrenze der Angemessenheit, die durch die einschlägigen Tabellenwerte nach dem Wohngeldgesetz markiert wird. Da insoweit eine abstrakte, vom Einzelfall und den konkreten Umständen im Vergleichsraum unabhängige Begrenzung vorgenommen wird, ist auf den jeweiligen Höchstwert der Tabelle, also die rechte Spalte, zurückzugreifen. Ferner ist im Interesse des Schutzes des elementaren Bedürfnisses des Hilfebedürftigen auf Sicherung des Wohnraums ein Sicherheitszuschlag zum einschlägigen Tabellenwert vorzunehmen9. Das Sozialgericht Karlsruhe sieht hierbei einen Zuschlag von zehn Prozent als angemessen an.

Sozialgericht Karlsruhe, Urteil vom 29. März 2010 – S 16 AS 1798/09

  1. vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 10/06 R; Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 18/06 R, jeweils m.w.N.; Berlit , in: Münder, SGB II, 3. Aufl. 2009, § 22 Rdnr. 39; Lang/Link , in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 22 Rdnrn. 41 a ff.[]
  2. vgl. hierzu BSG, Urteil vom 19.02.2009 – B 4 AS 30/08 R[]
  3. VwV-SozWo vom 12.02.2002, GABl. S. 240, i.d.F. der VwV vom 22.01.2004, GABl. S. 248[]
  4. BSG, Urteil vom 19.02.2009 – B 4 AS 30/08 R; Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 18/06 R[]
  5. BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 18/06 R[]
  6. BSG, Urteil vom 18.06.2008 – B 14/7b AS 44/06 R, m.w.N.[]
  7. BSG, Urteil vom 22.09.2009 – B 4 AS 18/09 R; Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS 50/09 R; Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS 27/09 R, Rdnr. 26[]
  8. grundlegend BSG, Urteil vom 22.09.2009 – B 4 AS 18/09 R[]
  9. BSG, Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS 50/09 R; Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 18/06 R[]