Angemessenheit der Unterkunftskosten im Wohnheim

Nach summarischer Prüfung ist § 6 Abs 7 WAufwV BE nicht von der Ermächtigungsgrundlage des § 22b SGB II gedeckt. Jedenfalls ist § 6 Abs 7 der Verordnung zur Bestimmung der Höhe der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vom 3. April 2012 (WAufwV BE) dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass die Übernahme der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe auch dann ausgeschlossen ist, wenn der Leistungsberechtigte auch ohne die Beteiligung der in der Verordnung genannten Stelle eine „reguläre“ Wohnung anmieten kann.

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II1 werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.

Angemessen ist nach § 4 der Wohnaufwendungenverordnung (WAV)2 eine Bruttowarmmiete in Höhe von 380,00 EUR. Nach der Anlage 2 zu § 4 ist dieser Wert anzusetzen bei einer Gebäudefläche von mehr als 1000 m² und der Beheizung durch Erdgas.

Ein weitergehender Anspruch auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung folgt nicht aus § 6 Abs. 7 WAV. Nach dieser Norm gelten die bei der Unterbringung von Wohnungslosen anfallenden tatsächlichen Aufwendungen (Tagessätze) unabhängig von den Richtwerten gemäß § 4 vorübergehend solange als angemessen, wie eine Anmietung von regulärem Wohnraum unter Beteiligung der für die Gewährung von Leistungen gemäß § 67 SGB XII zuständigen Leistungsstellen nicht realisiert werden kann.

Die Vorschrift ist nach summarischer Prüfung rechtswidrig und damit nichtig, da § 22b SGB II hierfür keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage bietet. Zureichende Ermächtigungsnorm kann weder § 22b Abs. 1 Satz 1 SGB II noch § 22b Abs. 3 SGB II sein.

Nach § 22b Abs. 1 Satz 1 SGB II ist in der Satzung zu bestimmen, welche Wohnfläche entsprechend der Struktur des örtlichen Wohnungsmarktes als angemessen anerkannt wird und in welcher Höhe Aufwendungen für die Unterkunft als angemessen anerkannt werden.

Schon seinem Wortlaut nach beinhaltet § 6 Abs. 7 WAV keine Bestimmung der Höhe der angemessenen Aufwendungen. Vielmehr fingiert die Vorschrift („gelten als angemessen“) eine nicht bezifferte Höhe der Aufwendungen als angemessen. Es handelt sich also bereits nach dem Wortlaut um die Gewährung eines Zuschusses abweichend von der Angemessenheitsgrenze („unabhängig von den Richtwerten gemäß § 4“) und nicht um die (zulässige) Festlegung einer Grenze. Notwendig wäre jedoch die Festlegung einer Miete oder – im Falle von Eigentum – des Kapitaldienstes3.

Ferner bestimmt die Vorschrift keinerlei Angemessenheitsgrenzen, sondern führt dazu, dass die „tatsächlichen Aufwendungen“ zu übernehmen sind. Im Ergebnis handelt es sich um eine § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II nachgebildete Norm, nach der wegen Unmöglichkeit der Senkung der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung für einen vorübergehenden Zeitraum4 die Aufwendungen in tatsächlicher Höhe zu übernehmen sind. Eine Begrenzung auf angemessene Aufwendungen findet nicht statt. § 22b Abs. 1 Satz 1 SGB II ermächtigt allein zur Bestimmung der angemessenen Aufwendungen, nicht hingegen zur Schaffung einer Spezialvorschrift zu § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II.

Auch auf § 22b Abs. 3 SGB II lässt sich § 6 Abs. 7 WAV nicht stützen. Hiernach „soll“ in der Satzung für Personen mit einem „besonderen Bedarf für Unterkunft und Heizung“ eine Sonderregelung getroffen werden (Satz 1). Dies gilt insbesondere für Personen, die einen erhöhten Raumbedarf haben wegen einer Behinderung oder der Ausübung ihres Umgangsrechts (Satz 2).

Gemeint sind allgemein Personengruppen, bei denen der Bedarf typischerweise vom normalen Bedarf abweicht5. Die Vorschrift sieht vor, dass für bestimmte Personengruppen, die einen besonders abgesenkten oder erhöhten Bedarf für Unterkunft und Heizung haben, eine Sonderregelung für die Angemessenheit der Aufwendungen getroffen werden soll6.

§ 6 Abs. 7 WAV bestimmt keinen Fall einer Person mit einem besonderen Bedarf. Wohnungslose haben einen Bedarf an Unterkunft und Heizung wie jede andere Person auch. Sie benötigen weder größere oder geringere Wohnflächen, mehr oder weniger Zimmer oder eine bestimmte Ausstattung für die Wohnung. Der Bedarf des Antragstellers ist kein anderer als der eines typischen 1-Personen-Haushalts.

Soweit in der Gesetzesbegründung davon die Rede ist, dass die Vorschrift auch Fälle erfassen soll, in denen vorübergehend eine besonders kostspielige Unterbringung notwendig ist7, hat dies im Gesetz keinen Niederschlag gefunden und ist daher unbeachtlich. Im Gesetz ist ausschließlich von Personen mit einem besonderen Bedarf die Rede. Die im Gesetz (§ 22b Abs. 3 Satz 2 SGB II) geregelten Beispiele der Behinderung oder der Ausübung des Umgangsrechts betreffen ausschließlich Personen mit besonderen Bedarfen, nämlich einem „erhöhten Raumbedarf“. Im Gesetz selbst findet sich kein Hinweis, dass § 22b Abs. 3 SGB II auch eine Ermächtigung schaffen wollte, eine Norm zu erlassen, die festlegt, dass die tatsächlichen Bedarfe für Unterkunft und Heizung vorübergehend unabhängig von der (konkreten) Angemessenheit der Bedarfe zu übernehmen sind.

Die Nichtigkeit ist im Rahmen eines Verfahrens gerichtet auf individuellen Rechtsschutz inzidenter zu prüfen und zu beachten8. Die Nichtigkeit betrifft ausschließlich die die (vermeintlich) besonderen Bedarfe regelnde Vorschrift des § 6 Abs. 7 WAV und nicht die WAV in Gänze. Bei Unwirksamkeit einer Regelung besonderer Bedarfe ist davon auszugehen, dass der Verordnungsgebers die Regelungen zur abstrakten Angemessenheitsgrenze für typische Bedarfe auch ohne die nichtige Regelung für besondere Bedarfe erlassen hätte; die Regelungen der allgemeinen Angemessenheitsgrenze machen auch ohne die Regelungen für atypische Bedarfslagen Sinn9.

Selbst wenn man dem nicht folgen wollte, kann § 6 Abs. 7 WAV im vorliegenden Fall die Übernahme der tatsächlichen Bedarfe für Unterkunft und Heizung nicht rechfertigen. Dabei geht die Kammer in Anbetracht der Ermächtigungsnorm und des Sinn und Zwecks der Vorschrift, die Übernahme der tatsächlichen Aufwendungen bei Unmöglichkeit der Kostensenkung, davon aus, dass § 6 Abs. 7 WAV teleologisch zu reduzieren ist und die Beteiligung der für die Gewährung von Leistungen gemäß § 67 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch zuständigen Leistungsstellen nicht notwendiges Tatbestandsmerkmal ist. § 6 Abs. 7 WAV bietet keine Rechtsgrundlage für die Übernahme der Aufwendungen in tatsächlicher Höhe für den Fall, dass der Leistungsberechtigte auch ohne die Beteiligung der in der Verordnung genannten Stelle eine „reguläre“ Wohnung anmieten kann.

Das Sozialgericht Berlin geht mangels gegenteiliger Anhaltspunkte davon aus, dass dem Antragsteller die Anmietung „regulären“ Wohnraums zu den als abstrakt angemessen angesehenen Mieten in Berlin möglich ist.

Das Bundessozialgericht geht in gefestigter Rechtsprechung davon aus, dass wenn ein qualifizierter Mietspiegel, der in einem wissenschaftlich gesicherten Verfahren aufgestellt wurde, der Bestimmung des angemessenen Quadratmeterpreises für die Kaltmiete zugrunde liegt und entweder der Durchschnittswert dieses Mietspiegels angewandt wird oder dem Mietspiegel Aussagen zur Häufigkeit von Wohnungen mit dem angemessenen Quadratmeterpreis entnommen werden können, eine objektive Unmöglichkeit, eine Wohnung zu dem nach dem Mietspiegel angemessenen Quadratmeterpreis zu finden, zu verneinen ist, weil es in Deutschland derzeit keine allgemeine Wohnungsnot gibt und allenfalls in einzelnen Regionen Mangel an ausreichendem Wohnraum besteht10. Dann kann davon ausgegangen werden, dass es in ausreichendem Maße Wohnungen zu der abstrakt angemessenen Leistung für die Unterkunft gibt11. Konkret für Berlin hat das Bundessozialgericht entschieden, dass die Tatsachenvermutung besteht, dass beim Vorliegen eines qualifizierten Mietspiegels mit entsprechend wissenschaftlich gesicherten Feststellungen zum Wohnungsbestand davon ausgegangen werden kann, dass es eine Wohnung zu dem nach dem Mietspiegel angemessenen Quadratmeterpreis gibt12.

Die vorgenannte Tatsachenvermutung hat der Antragsteller nicht erschüttert. Er hat trotz mehrfacher Aufforderung durch das Gericht keinerlei Bemühungen um Anmietung einer Wohnung dargetan, geschweige denn, derartige Bemühungen glaubhaft gemacht.

Der Antragsteller kann einen Anspruch auf höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung auch nicht aus § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II in der seit 1.01.2011 geltenden Fassung herleiten. Hiernach werden die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung, die den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, als Bedarf so lange anerkannt, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate.

An die Unzumutbarkeit sind strenge Anforderungen zu stellen13. Selbst bei Bestehen einer Unzumutbarkeit oder Unmöglichkeit der Kostensenkung sind sechs Monate die regelmäßige Höchstfrist14. Um über diese sechs Monate hinaus höhere als angemessene Unterkunftskosten zu erhalten, muss eine besondere Bedarfssituation bestehen, die eine nochmalige Ausnahme von der Ausnahme (sechsmonatige Schonfrist) rechtfertigt15. Wenn sich der Hilfebedürftige nicht bemüht, die unangemessenen Kosten zu senken, so werden nur die angemessenen Kosten übernommen16. Nur bei erfolglosen ernsthaften Bemühungen um eine kostenangemessene Unterkunft sind höhere Leistungen zu gewähren, wenn der Leistungsberechtigte alle ihm erreichbaren und zumutbaren Suchmöglichkeiten ausgeschöpft hat17. Der Grundsicherungsträger ist nicht verpflichtet, über die Angabe des von ihm als angemessen anzusehenden Mietpreises hinaus den Leistungsempfänger „an die Hand zu nehmen“ und ihm im Einzelnen aufzuzeigen, auf welche Weise er die Kosten der Unterkunft senken und welche Wohnungen er anmieten kann18. Der Leistungsberechtigte muss seine Kostensenkungsbemühungen substantiiert darlegen19.

Hier hat der Antragsteller trotz entsprechender Aufforderung durch die Kammer keinerlei Kostensenkungsbemühungen dargelegt oder gar glaubhaft gemacht. Er hat keinen Grund angegeben, weshalb ihm die Senkung seiner Unterkunftskosten unmöglich oder unzumutbar gewesen sein könnte.

Die für die Zumutbarkeit der Kostensenkung notwendige Kenntnis der Erforderlichkeit der Kostensenkung hat der Antragsteller. Nach unwidersprochenem Vortrag des Antragsgegners ist der Antragsteller bereits am 6.10.2011 aufgefordert worden, seine Unterkunftskosten zu senken. Der Antragsteller ist wiederholt, u. a. in einem persönlichen Gespräch am 6.06.2012, aufgefordert worden, seine „KdU“ zu senken. In diesem Gespräch ist ihm eine weitere Schonfrist bis 31.07.2012 gewährt worden, wobei klargestellt wurde, dass er danach nur noch die angemessenen Kosten erhalten wird20.

Sozialgericht Berlin, Beschluss vom 10. Januar 2013 – S 205 AS 26758/12 ER

  1. i.d.F. Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.03.2011, BGBl. I, S. 453[]
  2. Verordnung zur Bestimmung der Höhe der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vom 03.04.2012, GVBl. S. 99[]
  3. Breitkreuz, in: BeckOK-SozR, Stand: 01.12.2012, § 22b Rn. 2[]
  4. „vorübergehend solange“[]
  5. Lauterbach, in: Gagel, SGB II/III, 46. EL 2012, § 22b SGB II Rn. 8[]
  6. BT-Drs. 17/3404, S. 101[]
  7. BT-Drs. 17/3404, S. 102[]
  8. vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 55a Rn. 3; Breitkreuz, aaO, § 22b Rn. 5[]
  9. vgl. Bätge, Sozialrecht aktuell 2011, 131, 136[]
  10. BSG, Urteil vom 13.04.2011 – B 14 AS 106/10 R; vgl. bereits BSG, SozR 4-4200 § 22 Nr 19, Rn. 36[]
  11. BSG, aaO[]
  12. BSG, Urteil vom 13.04.2011 – B 14 AS 32/09 R Rn. 29; vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10.05.2012 – L 32 AS 741/11; LSG Berlin-Brandenburg, B. v. 18.07.2012 – L 18 AS 1632/12 NZB; LSG Berlin-Brandenburg, B. v. 03.04.2012 – L 32 AS 913/09; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28.03.2012 – L 10 AS 1191/09[]
  13. BSG, Urteil vom 19.02.2008 – B 4 AS 30/08 R; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26.01.2011 – L 28 AS 2276/07, Rn. 41; Zimmermann, NJ 2010, 400, 403; Berlit, in: LPK-SGB II, 4. Aufl. § 22 Rn. 77[]
  14. BSG, aaO, Rn. 32; Bayerisches LSG, B. v. 26.05.2011 – L 7 AS 331/11 B ER, Rn. 21[]
  15. Bayerisches LSG, aaO[]
  16. vgl. Lang/Link, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 22 Rn. 55[]
  17. Berlit, SGb 2011, 619, 624[]
  18. BSG, aaO, Rn. 40[]
  19. Berlit, in: LPK-SGB II, 4. Aufl., § 22 Rn. 83; Lauterbach, in: Gagel, SGB II/III, 44. EL 2012, § 22 Rn. 73[]
  20. VV, Band V, Bl 53[]