Direktzahlung an den Vermieter

Besteht eine konkrete Gefahr, das die bewilligten Leistungen für die Kosten der Unterkunft zweckwidrig verwendet werden, ist eine Direktzahlung der Unterkunftskosten an den Vermieter geboten. Ob auch bei einer geltend gemachten Mietminderung der Grundsicherungsträger berechtigt ist, eine Direktzahlung an den Vermieter vorzunehmen, ist in dem hier vom Landessozialgericht Baden-Württemberg entschiedenen Fall offen geblieben.

Der Kläger, der laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltsnach dem SGB II erhält, streitet sich mit dem beklagten Grundsicherungsträger über die direkte Zahlung der vom Beklagten für die Zeit vom 1. Mai bis 30. Juni 2009 bewilligten Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung an den Vermieter des Klägers. Das Sozialgericht Karlsruhe hat mit Urteil vom 19. April 2011 den Bescheid über die Direktzahlung an den Vermieter aufgehoben. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung.

Nach Auffassung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg hat der Beklagte zu Recht die Direktzahlung der Kosten der Unterkunft und Heizung an den Vermieter angeordnet. Die vom Kläger zutreffend erhobene reine Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) hätte daher als unbegründet abgewiesen werden müssen. Nach § 22 Abs. 4 SGB II1 sollen die Kosten für Unterkunft und Heizung von dem kommunalen Träger an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gezahlt werden, wenn die zweckentsprechende Verwendung durch den Hilfebedürftigen nicht sichergestellt ist. Diese Regelung dient dazu, die Zahlung der Unterkunftskosten in Fällen zu sichern, in denen von einer zweckentsprechenden Verwendung der Leistungen durch den Hilfebedürftigen nicht ausgegangen werden kann2. Zutreffend ist das Sozialgericht im Ansatz davon ausgegangen, dass die Vorschrift restriktiv auszulegen ist, da sie die Gefahr einer Entmündigung der Hilfebedürftigen in sich trägt bzw. zumindest die Gefahr, vom Hilfesuchenden entsprechend wahrgenommen zu werden3.

Indes sind auch bei restriktiver Auslegung die Voraussetzungen für eine Direktüberweisung hier erfüllt, denn es bestand eine konkrete Gefahr der zweckwidrigen Mittelverwendung durch den Kläger. Der Kläger hat von Mai 2008 bis April 2009 nahezu ein Jahr lang – mit Ausnahme einer Zahlung von 100 EUR im Juli 2008 – keine Miete geleistet. Aus diesem Grund wurde das Mietverhältnis im Januar 2009 gekündigt. Es lagen damit ganz erhebliche Mietrückstände vor. Daneben hatte der Kläger im Jahr 2007 Stromschulden von über 16.000 EUR, auch Anfang 2009 musste der Beklagte zur Sicherung der Heizung erneut wegen Stromschulden in Höhe von 339,93 EUR ein Darlehen gewähren. Soweit der Kläger geltend macht, er habe gegen die Mietforderungen mit früheren Mietminderungen und Schadenersatzforderungen gegen den Vermieter aufgerechnet, vermag dies die Zweifel an einer zweckentsprechenden Verwendung der Mittel nicht zu entkräften. Zum einen erscheint mehr als zweifelhaft, dass der Kläger tatsächlich berechtigt die Miete mindern konnte; insbesondere ist in keiner Weise nachvollziehbar, dass eine – wie vom Kläger behauptet – durch das Verhalten des Vermieters verursachte Erhöhung seiner Stromschulden von mehr als 16.000 EUR um weitere 230 EUR die Ursache für eine mehrmonatige Stromsperre gewesen sein könnte. Zum anderen hat der Kläger bei seiner Antragstellung im November 2008 ausdrücklich angegeben, dass keine Änderungen bei den Kosten der Unterkunft und Heizung eingetreten seien. Hätte der Kläger, statt die Leistungen in voller Höhe entgegenzunehmen und nicht weiterzuleiten, bereits damals geltend gemacht, dass er die Miete auf Null gemindert habe, hätte er mangels Bedarf keine entsprechenden Leistungen beziehen können. Die nachträgliche Geltendmachung einer Mietminderung stellt daher die Gefahr einer zweckwidrigen Mittelverwendung nicht in Frage, sondern begründet im Gegenteil weitere Zweifel an der Zuverlässigkeit des Klägers hinsichtlich der zweckentsprechenden Verwendung der Leistungen. Ob der Erhalt der Wohnung durch die Aufnahme von Direktzahlungen gesichert werden kann, ist für die Frage einer Direktzahlung an den Vermieter nicht entscheidend, denn anders als bei der Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 5 SGB II a.F. („soweit dies zur Sicherung der Unterkunft … gerechtfertigt“) ist dies bei § 22 Abs. 4 SGB II a.F. nicht Tatbestandsmerkmal.

Ein engeres Verständnis des § 22 Abs. 4 SGB II a.F. ist auch nicht mit Blick auf die zwischenzeitlich vorliegenden Gesetzesänderungen geboten. Mit Wirkung zum 1. April 20114 wurden in § 22 Abs. 7 Satz 3 SGB II n.F. zur Konkretisierung der Gefahr einer zweckwidrigen Verwendung der Leistungen Regelbeispiele eingefügt, die an die bisherige Rechtsprechung anknüpfen5. Genannt sind die Fälle, wenn

  1. Mietrückstände bestehen, die zu einer außerordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses berechtigten,
  2. Energiekostenrückstände bestehen, die zu einer Unterbrechung der Energieversorgung berechtigten,
  3. konkrete Anhaltspunkte für ein krankheits- oder suchtbedingtes Unvermögen der leistungsberechtigten Person bestehen, die Mittel zweckentsprechend zu verwenden, oder
  4. konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die im Schuldnerverzeichnis eingetragene leistungsberechtigte Person die Mittel nicht zweckentsprechend verwendet.

Auf die vom Sozialgericht in den Vordergrund gerückte Problematik des „aus der Hand Schlagens“ von Gestaltungsrechten des Mieters durch die Direktzahlung an den Vermieter dürfte es dagegen im vorliegenden Rechtsstreit nicht ankommen. Für den Zeitraum Mai und Juni 2009 hat der Kläger keinerlei Mietminderung geltend gemacht, er hat im Gegenteil in seinen Schriftsätzen an den Beklagten wiederholt klargestellt, dass er selbst die Zahlungen aufnehmen wolle, da die Mietminderung beendet sei. Die Direktzahlung an den Vermieter im Mai und Juni 2009 kollidiert daher nicht mit einer vom Kläger gewollten Mietminderung. Ob der Grundsicherungsträger grundsätzlich bei einer geltend gemachten Mietminderung berechtigt ist, eine Direktzahlung an den Vermieter vorzunehmen und inwieweit er insoweit das Recht oder die Pflicht hat, die Rechtmäßigkeit der Mietminderung zu überprüfen, bedarf daher im vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung.

Nach alledem war die zweckentsprechende Verwendung der Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung durch den Kläger nicht sichergestellt, weshalb entsprechend der gesetzlichen Regelung des § 22 Abs. 4 SGB II a.F. diese an den Vermieter gezahlt werden „sollen“. Gründe für ein Abweichen vom Regelfall der Direktzahlung an den Vermieter sind nicht ersichtlich, ein atypischer Fall liegt hier nicht vor.

Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Oktober 2011 – L 12 AS 2016/11

  1. in der Fassung des Gesetzes vom 20. Juli 2006, BGBl. I S. 1706 – a.F.[]
  2. vgl. BT-Drucks. 15/1516 S. 57 zu Abs. 3[]
  3. vgl. SG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24.05.2006 – L 5 B 147/06 AS ER; Lang/Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 22 Rdnr. 97[]
  4. BGBl. I S. 850[]
  5. vgl. Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl., § 22 Rdnr. 170 ff.[]