Sind die Energieschulden eines Grundsicherungsempfängers missbräuchlich und gezielt herbeigeführt worden und ist nicht zu erwarten, dass künftig keine Energieschulden mehr aufgebaut werden, muss das Jobcenter auch bei im Haushalt lebenden minderjährigen Kindern die Energieschulden nicht durch ein Darlehen auffangen.
So hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in dem hier vorliegenden Fall einer Mutter entschieden und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung für ein erneutes Darlehen abgelehnt. Gleichzeitig ist der Beschluss vom Sozialgericht Braunschweig1 aufgehoben worden.
Antragstellerin ist eine 1984 geborene Mutter von drei minderjährigen Kindern. Sie steht seit vielen Jahren im laufenden Bezug von SGB II-Leistungen. Um ihre Energieschulden bei den Strom- und Gasversorgern zu bezahlen, hatte die Mutter bereits häufiger Darlehen des JobCenters (Antragsgegner) in Anspruch genommen und auch mehrfach die Energieversorger gewechselt. Da sich das JobCenter weigerte, ein erneutes Darlehen für die Energieschulden zu gewehren und die Mutter die Nachforderungen des Energieversorgers nicht aus eigenem Einkommen und Vermögen begleichen konnte, hat sie beim Sozialgericht Braunschweig den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zwecks Übernahme der Strom- und Heizschulden durch den Antragsgegner als Darlehen gestellt. Das SG Braunschweig hat mit Beschluss vom 19. Februar 2016 das JobCenter verpflichtet, der Antragstellerin ein Darlehen in Höhe von 1.521,64 € zu bewilligen und auszuzahlen. Als Begründung hat es angeführt, dass die Verschuldensgesichtspunkte im Rahmen der Ermessenausübung zurücktreten, wenn wie vorliegend minderjährige Kinder in der kalten Jahreszeit von der Unterbrechung der Energieversorgung betroffen sind. Gegen diesen Beschluss des Sozialgerichts hat das JobCenter Beschwerde eingelegt.
In seiner Entscheidung hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen ausgeführt, dass nach § 22 Abs. 8 Satz 1 SGB II – sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden – auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Es ist allgemein anerkannt, dass vom Regelungsgehalt dieser Vorschrift nicht nur die Übernahme von Mietschulden, sondern darüber hinaus auch eine Übernahme von sonstigen Schulden – insbesondere die hier streitigen Energiekostenrückstände – erfasst werden. Die Entscheidung steht im pflichtgemäßen Ermessen des SGB II-Trägers. Dabei kann es von Bedeutung sein, ob ausnahmsweise die Leistungsberechtigten ein missbräuchliches Verhalten an den Tag gelegt haben. Dieser Umstand ist anzunehmen, wenn die Hilfesuchenden ihre Mieten oder Energiekostenabschläge bewusst im Vertrauen darauf nicht zahlen, dass diese später doch vom Leistungsträger darlehensweise übernommen würden. Denn eine gezielte Herbeiführung der Notlage zu Lasten des Leistungsträgers kann nicht hingenommen werden2. Nach Auffassung des Landessozialgerichts sind hier die Energieschulden missbräuchlich herbeigeführt worden. Die Mutter habe die monatlichen Leistungen des Jobcenters für Energiekosten in der Vergangenheit nur teilweise an die Energieversorger weitergeleitet. Zudem habe sie auch den vom Jobcenter zumindest übernommenen geringen Anteil (332,92 €) an ihren aktuellen Energieschulden (1.665,74 €)nicht an den Energieversorger weitergeleitet. Stattdessen habe sie das der Familie zur Verfügung stehende Geld anderweitig verbraucht und ihr Verbrauchsverhalten nicht auf die monatlich vom JobCenter zur Verfügung gestellten Beträge eingestellt. Trotz mehrfacher Unterstützung seitens des JobCenters in der Vergangenheit sei es wiederholt zu Energierückständen gekommen. Das Verhalten der Mutter sei sozialwidrig und verantwortungslos gegenüber ihren Kindern. Dieses rücksichtslose Verhalten kann allerdings unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Schuldenübernahme gemäß § 22 Abs. 8 SGB II keine Leistungspflicht des SGB II-Träger auslösen, sondern allenfalls die Einschaltung von für Familien- und Jugendhilfe zuständigen Stellen.
Es könne zudem nicht davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin künftig keine Energieschulden mehr aufbaue, denn es sei kein Selbsthilfewille erkennbar.
Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet und führt zur Aufhebung des Beschlusses des Sozialgericht Braunschweig. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist abzulehnen. Die Antragstellerin kann nicht vom Antragsgegner die Übernahme von Schulden verlangen.
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 19. April 2016 – L 7 AS 170/16 B ER