Kindergeldzahlung und Erstattungsanspruch des Jobcenters

Hat ein Sozialleistungsträger wegen der Leistungen nach dem SGB II, die er dem Kind eines Kindergeldberechtigten gewährt hat, keinen Anspruch auf Erstattung von Kindergeld, weil das Kind in einem eigenen Haushalt lebt und das Kindergeld an das Kind weder abgezweigt noch weitergeleitet worden ist, so besteht dennoch ein Erstattungsanspruch, wenn der kindergeldberechtigte Elternteil ebenfalls Sozialleistungen nach dem SGB II bezieht.

Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die –hier nicht einschlägigen– Voraussetzungen des § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, ist nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit er bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre (§ 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X).

Eine Erstattung nach § 104 Abs. 1 SGB X setzt voraus, dass die von verschiedenen Trägern erbrachten Leistungen gleichartig sind, d.h. dass sie für die gleichen Zeiträume bestimmt sind und sich in der Leistungsart und Zweckbestimmung entsprechen. Außerdem muss zwischen ihnen ein Verhältnis von vorrangiger und nachrangiger Verpflichtung zur Leistung bestehen1.

Lebt das durch Sozialleistungen nach dem SGB II unterstützte Kind, für das ein Elternteil Kindergeld begehrt, im eigenen Haushalt, so fehlt es hinsichtlich der an das Kind gezahlten Leistungen und dem Kindergeld am Verhältnis von Gleichartigkeit und Nachrangigkeit, sofern das Kindergeld nicht an das Kind abgezweigt oder an das Kind weitergeleitet wird2. In einem solchen Fall ist das Kindergeld sozialrechtlich dem Einkommen des Kindergeldberechtigten zuzurechnen3. Auch § 104 Abs. 2 SGB X erlaubt es nicht, die an den im eigenen Haushalt lebenden Angehörigen –im Streitfall an S– erbrachten Sozialleistungen dem Kindergeldberechtigten zuzurechnen. Denn der Erstattungsanspruch nach § 104 Abs. 2 SGB X ist kein von den Voraussetzungen des § 104 Abs. 1 SGB X unabhängiger Anspruch eigener Art, sondern erweitert diesen nur4.

Im Streitfall wurde das Kindergeld nicht an den Sohn abgezweigt oder an ihn weitergeleitet, so dass es sozialrechtlich dem Einkommen des Vaters zuzurechnen gewesen wäre, wenn es an ihn ausgezahlt worden wäre. Im Hinblick auf die an S erbrachten Leistungen nach dem SGB II gilt der Kindergeldanspruch des Vaters somit nicht nach § 107 SGB X als erfüllt.

Hinsichtlich der vom Vater bezogenen Sozialleistungen und seines Anspruchs auf Kindergeld für den Sohn sind jedoch die Voraussetzungen der Gleichartigkeit und des Verhältnisses von Vor- und Nachrangigkeit erfüllt.

Das nach den §§ 62 ff. EStG zu gewährende Kindergeld ist, soweit es der Familienförderung dient, ebenso dazu bestimmt, die allgemeinen Lebenshaltungskosten zu bestreiten, wie dies bei den vom Sozialleistungsträger erbrachten oder zu erbringenden Leistungen zum Lebensunterhalt der Fall ist5.

Auch sind die Leistungen nach dem SGB II, die an den Vater für seine Bedarfsgemeinschaft ausgezahlt wurden, nachrangig gegenüber dem Kindergeld. Dieses wäre bei einer vorherigen Auszahlung bei der Ermittlung der Höhe der Leistungen nach dem SGB II zu berücksichtigen gewesen3. Die vom Vater für die Bedarfsgemeinschaft bezogenen Leistungen waren unstreitig nicht im Hinblick auf seinen Anspruch auf Kindergeld für S gemindert. Diesen ungekürzten Leistungen ist der Kindergeldanspruch für S gegenüberzustellen. Kindergeld, das nicht im Wege der Abzweigung oder der Weiterleitung an das Kind gelangt ist, führt –wie bereits ausgeführt– sozialrechtlich zu Einkommen des Kindergeldberechtigten. Da es bei Anwendung des § 104 SGB X allein auf die sozialrechtliche Zuweisung des Kindergeldes ankommt, ist es unerheblich, dass aufgrund der ab 1.01.2008 in Kraft getretenen Änderung des § 1612b des Bürgerlichen Gesetzbuches das Kindergeld zivilrechtlich dem Einkommen des Kindes zugewiesen wird6.

Im Hinblick auf die vom Vater bezogenen Leistungen nach dem SGB II gilt der Kindergeldanspruch gemäß § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 107 Abs. 1 SGB X als erfüllt.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 22. November 2012 – III R 24/11

  1. BFH, Urteile vom 17.04.2008 – III R 33/05, BFHE 221, 47, BStBl II 2009, 919; vom 17.07.2008 – III R 87/06, BFH/NV 2008, 1833; vom 19.06.2008 – III R 89/07, BFH/NV 2008, 1995; vom 19.04.2012 – III R 85/09, BFHE 237, 145, BFH/NV 2012, 1369; vom 26.07.2012 – III R 28/10, BFH/NV 2012, 1874[]
  2. BFH, Urteile in BFHE 221, 47, BStBl II 2009, 919, sowie in BFH/NV 2012, 1874[]
  3. BFH, Urteil in BFH/NV 2012, 1874[][]
  4. BFH, Urteile in BFHE 221, 47, BStBl II 2009, 919; in BFH/NV 2008, 1833; vom 07.04.2011 – III R 88/09, BFH/NV 2011, 1326, sowie in BFH/NV 2012, 1874[]
  5. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 14.05.2002 – VIII R 88/01, BFH/NV 2002, 1156; BFH, Urteile in BFH/NV 2008, 1833, sowie in BFHE 221, 47, BStBl II 2009, 919, jeweils zur Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz; BFH, Urteil in BFH/NV 2012, 1874, auch zu Leistungen nach dem SGB II[]
  6. s. BVerfG, Beschluss in NJW 2011, 3215[]