Bereits bewilligte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II sind dann ausgeschlossen, wenn sich in den Verhältnissen, die bei Erlass des Bewilligungsbescheides vorgelegen haben, eine leistungsrechtlich relevante wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse eingetreten ist. Eine solche Änderung tritt, wie jetzt das Bundessozialgericht entschieden hat, regelmäßig ein mit der Aufnahme des Leistungsempfängers in den geschlossenen Vollzug zur Ableistung einer Ersatzfreiheitsstrafe. Dieser Leistungsausschluss nach § 7 Abs 4 SGB II1 greift auch ein, wenn der Hilfebedürftige – wie hier der Kläger – in einer JVA eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßt2.
Genauso hat das Bundessozialgericht in einem zweiten Fall3 entschieden, dass neben dem Regelvollzug die Leistungen gemäß § 7 Abs 4 SGB II ausgeschlossen sind, nachdem Vollzugslockerungen gewährt worden sind und der Leistungsempfänger in ein Freigängerheim verlegt worden ist.
Einrichtungen zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehungen nehmen im Rahmen des § 7 Abs 4 SGB II4 eine Sonderstellung ein. Nach § 7 Abs 4 Satz 2 SGB II n.F. ist der Aufenthalt in einer solchen Einrichtung dem Aufenthalt „in einer stationären Einrichtung“ gleichgestellt. Personen in derartigen Einrichtungen sind vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen.
Bei diesen Einrichtungen kommt es damit nicht darauf an, ob sie nach ihrer Art die Aufnahme einer mindestens dreistündigen täglichen Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von vornherein ausschließen. Die Zuordnung zu den Leistungssystemen erfolgt hier nicht anhand der objektiven Struktur der Einrichtung im Einzelfall, sondern generalisiert für alle unter § 7 Abs 4 Satz 2 SGB II fallenden Einrichtungen, deren Insassen durch den Freiheitsentzug in einem besonderen Maße vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind. Der Umstand, dass der Kläger eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßte, führt nicht dazu, dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 4 SGB II auf ihn keine Anwendung findet.
Gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X in Verbindung mit § 40 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II, § 330 Abs 3 Satz 1 SGB III ist der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist.
Die genannten Voraussetzungen sind nach Ansicht des Bundessozialgerichts in den hier vom ihm entschiedenen Fällen gegeben, denn durch die Inhaftierung des Klägers ist eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten, die sich auf die erfolgte Leistungsbewilligung auswirkt. Der Kläger war ab diesem Zeitpunkt gemäß § 7 Abs 4 Satz 2 SGB II i.d.F. des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006 (
Gemäß § 7 Abs 4 SGB II5 erhielt Leistungen nach diesem Buch nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht war, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistungen oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezog. Nach Satz 2 war dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt.
Die Voraussetzungen des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 4 Satz 2 SGB II liegen hier vor, denn der Umstand, dass der Kläger in der JVA eine Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 StGB verbüßte, führt nicht dazu, dass der Leistungsausschluss nach der genannten Norm auf ihn keine Anwendung findet6. Auch ein Gefangener, der eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßt, hält sich in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung auf7. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass der Kläger ausdrücklich nur zu einer Geldstrafe verurteilt worden ist und nicht zu einer Freiheitsstrafe, die ohnehin unter einem Mindestmaß von einem Monat nicht hätte verhängt werden dürfen (§ 38 Abs 2 StGB) und unter sechs Monaten grundsätzlich nicht verhängt werden soll (§ 47 Abs 1 StGB). Die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe für den Fall, dass die Geldstrafe nicht gezahlt wird, erfolgt zwar allein auf Anordnung der Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde (§ 459e Abs 1 StPO i.V.m. § 451 Abs 1 StPO). Daraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, die Ersatzfreiheitsstrafe sei keine richterlich angeordnete Freiheitsentziehung i.S. von § 7 Abs 4 Satz 2 SGB II. Dies ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass die Ersatzfreiheitsstrafe in der (nicht abschließenden) Aufzählung der verschiedenen Vollzugsformen richterlich angeordneter Freiheitsentziehungen in der Gesetzesbegründung8 nicht aufgeführt ist.
Hintergrund für den fehlenden Ausspruch der Ersatzfreiheitsstrafe im Falle der Nichtzahlung der Geldstrafe im Strafurteil ist nämlich, dass der Maßstab der Umrechnung zwischen Geldstrafe und Ersatzfreiheitsstrafe im Gesetz bereits bestimmt ist und dem Strafrichter insoweit kein Raum für eine eigene Entscheidung verbleibt (§ 43 Satz 2 StGB9). Die Ersatzfreiheitsstrafe tritt damit als echte Strafe ohne rechtsgestaltenden Akt an die Stelle der Geldstrafe10. Aus diesem Grund erfordert auch Art 104 Abs 2 Satz 1 GG, wonach über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung nur der Richter zu entscheiden hat, keinen ausdrücklichen Ausspruch im Strafurteil. Durch die Bestimmung der Zahl der Tagessätze erklärt der Strafrichter zugleich die Vollstreckung einer bestimmten Ersatzfreiheitsstrafe für den Fall der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe für zulässig. Daraus folgt, dass bei jeder Verurteilung zu einer Geldstrafe die Ersatzfreiheitsstrafe bei Nichtzahlung der Geldstrafe mitgedacht und mitverhängt wurde, sie ist damit eine „echte“ Freiheitsstrafe. Somit ist auch die Ersatzfreiheitsstrafe eine richterlich angeordnete Freiheitsentziehung i.S. des § 7 Abs 4 Satz 2 SGB II. Dies ist im Übrigen auch zwingend, um dem von Verfassungs wegen geforderten Richtervorbehalt zu genügen.
Die wesentliche Änderung in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X durch den Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs 4 SGB II wegen der Verbüßung der (Ersatz-)Freiheitsstrafe galt auch weiterhin für den Zeitraum ab dem der Kläger in das Freigängerheim verlegt wurde und dort Vollzugslockerungen in Form von Ausgang erhielt11. Die Vollzugslockerungen führen nicht dazu, dass der Kläger sich nicht mehr in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung aufhielt.
Das Bundessozialgericht hat zum Leistungsausschluss nach § 7 Abs 4 SGB II in der ursprünglichen, bis zum 31.7.2006 geltenden Fassung entschieden, dass die Unterbringung in einer stationären Einrichtung als Fall der gesetzlichen Fiktion der Erwerbsunfähigkeit ausgestaltet worden ist12. Diese Fiktion könne nur mit der Aufnahme einer mindestens 15 Wochenstunden umfassenden Erwerbsarbeit zu regulären Arbeitsmarktbedingungen widerlegt werden. Die Zuweisung von Hilfebedürftigen zum System des SGB II oder dem Sozialhilferecht nach dem SGB XII entscheide sich im Rahmen des § 7 Abs 4 SGB II mithin nicht anhand der individuellen Leistungsfähigkeit bzw Erwerbsfähigkeit des Hilfebedürftigen. Es komme vielmehr ausschließlich auf die objektive Struktur und Art der Einrichtung an. Sei diese so strukturiert und gestaltet, dass es dem dort Untergebrachten nicht möglich sei, aus der Einrichtung heraus eine Erwerbstätigkeit auszuüben, die den zeitlichen Kriterien des § 8 SGB II genüge, so sei der Hilfebedürftige dem SGB XII zuzuweisen.
Nach § 7 Abs 4 Satz 2 SGB II n.F. ist nach der Definition des Gesetzgebers der Aufenthalt in einer solchen Einrichtung dem Aufenthalt „in einer stationären Einrichtung“ gleichgestellt. Es ist also nicht mehr zu prüfen, ob es sich bei einer JVA um eine stationäre Einrichtung handelt. Diese gesetzgeberische Entscheidung wird auch durch die Gesetzesbegründung belegt, wonach es Ziel ist, Personen in diesen Einrichtungen vom Leistungsbezug nach dem SGB II auszuschließen13. Es kommt folglich bei den Einrichtungen zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehungen nicht mehr darauf an, ob sie nach ihrer Art die Aufnahme einer mindestens dreistündigen täglichen Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von vornherein ausschließen. Die Weichenstellung zwischen den Leistungssystemen erfolgt in diesem Fall somit ausnahmsweise nicht anhand der objektiven Struktur der Einrichtung im Einzelfall, sondern generalisiert für alle unter § 7 Abs 4 Satz 2 SGB II fallenden Einrichtungen, weil sich der Aufenthalt in diesen Einrichtungen wesentlich von dem Aufenthalt in anderen stationären Einrichtungen unterscheidet.
Vor dem Hintergrund der Rechtslage nach dem FortentwicklungsG kommt es deshalb für die Frage, ob SGB II-Leistungen bezogen werden können, auch nicht darauf an, ob Vollzugslockerungen gewährt werden. Nur soweit einem Antragsteller auf Leistungen nach dem SGB II die Aufnahme eines konkreten Beschäftigungsverhältnisses erlaubt wird, kann er gemäß § 7 Abs 4 Satz 3 Nr 2 SGB II wiederum leistungsberechtigt sein. Diese Rückausnahme gilt auch im Falle des Aufenthalts in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung. Ihre Voraussetzungen liegen im konkreten Fall aber nicht vor, denn der Kläger führte in der JVA Reinigungsarbeiten aus und war damit nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig.
Steht somit fest, dass der Kläger während der gesamten Zeit der auf den Leistungszeitraum entfallenden Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen war, so war der entsprechende Leistungsbescheid insoweit aufzuheben. Die Aufhebung nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X kommt allerdings nur insoweit in Betracht, als der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. Die Feststellungen des LSG, der Kläger habe seine durch § 60 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch vorgeschriebene Verpflichtung, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind, unverzüglich mitzuteilen, zumindest grob fahrlässig verletzt, sind im Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Dabei ist zu beachten, dass die Entscheidung eines Tatsachengerichts darüber, ob leichte oder grobe Fahrlässigkeit vorliegt14, vom Revisionsgericht nur in engen Grenzen überprüft werden kann. Die Prüfung ist insbesondere darauf beschränkt, ob sich der Tatrichter der Unterschiede der Begriffe „leichte Fahrlässigkeit“ und „grobe Fahrlässigkeit“ bewusst gewesen und er mithin von einem zutreffenden Begriff der groben Fahrlässigkeit ausgegangen ist15. Die Würdigung, der Kläger habe vor dem Hintergrund des ausdrücklichen Hinweises auf die vom Leistungsempfänger sicherzustellende Erreichbarkeit gewusst bzw hätte wissen müssen, dass er während der Zeit der Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe unter seiner bisherigen Adresse nicht erreichbar war und er dies dem Beklagten hätte mitteilen müssen, lässt nicht den Schluss zu, das hierbei der Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt wurde.
Bundessozialgericht, Urteile vom 21. Juni 2011 – B 4 AS 128/10 R; und vom 24. Februar 2011 – B 14 AS 81/09 R
- in der ab 01.08.2006 geltenden Fassung[↩]
- B 4 AS 128/10 R[↩]
- B 14 AS 81/09 R[↩]
- i.d.F. des Fortentwicklungsgesetzes vom 20.07.2006[↩]
- in der vom 01.08.2006 bis 27.08.2007 geltenden Fassung[↩]
- vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 17.06.2010 – L 15 AS 89/10; A. Loose in GK-SGB II, Stand Juli 2010, § 7 RdNr 86.1; a.A. Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II, Stand April 2010, § 7 RdNr 207; Münder/Geiger, SGb 2007, 1, 7[↩]
- vgl. Arloth, StVollzG, Kommentar, 3. Aufl 2011, § 1 RdNr 3[↩]
- BT-Drucks 16/1410, 20[↩]
- vgl. dazu Häger in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl 2006, § 43 RdNr 5 mwN[↩]
- vgl. BVerfG NJW 2006, 3626; BGHSt 20, 13, 16[↩]
- vgl. § 11 Abs 1 Nr 2 StVollzG i.V.m. Art. 125a Abs 1 GG bzw nunmehr § 9 Abs 2 Nr 2 des 3. Buchs – Strafvollzug – des Gesetzbuchs über den Justizvollzug in Baden-Württemberg vom 10.11.2009, GBl 2009, 545[↩]
- Urteil vom 6.09.2007 – B 14/7b AS 16/07 R – BSGE 99, 88 = SozR 4-4200 § 7 Nr 7 RdNr 16; BSG FEVS 61, 241[↩]
- vgl. BT-Drucks 16/1410, 20[↩]
- vgl zur Abgrenzung BSGE 42, 184, 187 = SozR 4100 § 152 Nr 3[↩]
- vgl BSGE 47, 180 = SozR 2200 § 1301 Nr 8; BSGE 48, 190 = SozR 2200 § 1301 Nr 11; BSGE 62, 32 = SozR 4100 § 71 Nr 2; BSGE 88, 96 = SozR 3-3800 § 2 Nr 10[↩]






