Übernahme der Mietschulden nur bei langfristigem Wohnungserhalt

Kann der Erhalt der Wohnung langfristig nicht gesichert werden – trotz Schuldenübernahme, so ist eine Übernahme der Mietschulden nicht gerechtfertigt. Leben die Leistungsberechtigten in einer unangemessenen teuren Unterkunft, dann ist dies der Fall.

In dem hier vom Landessozialgericht Baden-Württemberg entschiedenen Fall streiten die Beteiligten über die Gewährung eines Darlehens wegen Mietschulden in Höhe von 7.421,70 EUR. Im November 2010 wurde die Miete von den Antragstellern nur teilweise, ab Dezember 2010 gar nicht mehr gezahlt. Die Vermieterin kündigte das Mietverhältnis fristlos. Der Antragsgegner lehnte den Antrag auf Übernahme der Mietschulden ab. Ein beim Sozialgericht Freiburg gestellter Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wurde abgelehnt. Gegen diesen Beschluss richtet sich die eingelegte Beschwerde der Antragsteller.

Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die – summarische – Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der angestrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen – insbesondere mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz – wiegen1. Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung2.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann zunächst dahin stehen, ob die Anforderungen an den Anordnungsgrund und damit die Eilbedürftigkeit tatsächlich so eng zu fassen sind, wie das SG angenommen hat unter Hinweis auf die noch nicht erhobene Räumungsklage3, denn inzwischen droht den Antragstellern nach Erlass des Versäumnisurteils konkret die Zwangsräumung. Eilbedürftigkeit ist damit offensichtlich gegeben.

Vorliegend ist indes ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Nach § 22 Abs. 8 SGB II4 können, sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden.

Hier droht zwar Wohnungslosigkeit, denn die Vermieterin hat bereits mit der Zwangsvollstreckung aus ihrem Räumungstitel begonnen, Termin zur Zwangsräumung ist nach Mitteilung der Antragsteller auf den 8. November 2011 angesetzt. Gleichwohl ist die Übernahme der Mietschulden hier jedoch nicht gerechtfertigt i.S.v. § 22 Abs. 8 Satz 1 SGB II. Es handelt sich insoweit um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Dabei ist zunächst maßgeblich, ob die begehrte Schuldenübernahme zur Sicherung der bisherigen Unterkunft überhaupt geeignet ist. Die Übernahme von Mietschulden hat den Zweck, die bisherige Wohnung zu erhalten. Dieser Zweck kann nicht erreicht werden, wenn trotz Schuldenübernahme langfristig der Erhalt der Wohnung nicht gesichert werden kann. Keinesfalls darf die Transferleistung dazu dienen, den Leistungsempfänger lediglich von zivilrechtlichen Ansprüchen eines Vermieters freizustellen5. Da im konkreten Fall bereits ein Räumungstitel vorliegt, kann allein die Zahlung der Mietrückstände nicht zur Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB führen. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die Vermieterin bereit wäre, trotz des rechtskräftigen Räumungstitels bei Mietschuldenübernahme einen neuen Mietvertrag abzuschließen6.

Zudem ist die Wohnung mit einer Kaltmiete von 649,34 EUR nicht kostenangemessen. Die Aufwendungen der Antragsteller für die Wohnung sind so hoch, dass sie nicht mehr als angemessen angesehen werden können, ohne dass im Einzelnen darauf eingegangen werden müsste, ob die vom Antragsgegner verwendete Mietobergrenze in F. tatsächlich herangezogen werden kann, insbesondere ob entsprechender Wohnraum zu diesen Konditionen tatsächlich verfügbar ist7. Eine Leistung zur Sicherung einer nicht kostenangemessenen Unterkunft ist grundsätzlich nicht gerechtfertigt8. Entgegen dem Vortrag der Antragsteller kann hier eine echte Kostensenkung durch Untervermietung nicht erkannt werden. Zwar haben die Antragsteller vorgetragen, dass ein Zimmer zu 250 EUR monatlich untervermietet worden sei. Aus den Akten des Antragsgegners ergibt sich insoweit lediglich, dass am 18. Juli 2011 Herr T., früherer Partner der Antragstellerin zu 1 und Vater der Antragsteller zu 2 und 3, in die Wohnung eingezogen ist. Ob tatsächlich Miete gezahlt wurde, ist fraglich. Herr T. wollte nach Lage der Akten bei einer persönlichen Vorsprache beim Antragsgegner am 28. Juli 2011 Leistungen beantragen, da sein Krankengeld zwar zum Lebensunterhalt, nicht aber für seinen Mietanteil ausreiche. Im Hinblick auf die in Aussicht gestellte Aufnahme in die Bedarfsgemeinschaft mit folgender Anrechnung des Krankengeldes gab Herr T. an, er wolle der Antragstellerin zu 1 durch seinen kurzfristigen Aufenthalt keine Unannehmlichkeiten bereiten und werde daher morgen wieder ausziehen. Ob er noch immer bei den Antragstellern wohnt, ist dem Gericht nicht bekannt. Jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass eine gesicherte und nicht nur kurzfristige Mietzahlung in Aussicht stehen würde, die tatsächlich die Unterkunftskosten senken würde. Schon aus diesem Grund kommt daher eine Übernahme der Mietschulden nicht in Betracht.

Eine Ausnahme ist hier auch nicht vor dem Hintergrund zu machen, dass die Antragstellerin zu 1 – jedenfalls rechnerisch – zumindest einen Teil der die Angemessenheitsgrenze übersteigenden Miete durch ihren Erwerbstätigenfreibetrag finanzieren könnte9. Denn obwohl die Antragsteller laufend Leistungen für Kosten der Unterkunft erhalten haben, wurden nicht einmal diese an die Vermieterin weitergeleitet, geschweige denn, dass die Freibeträge zumindest teilweise hierfür eingesetzt worden wären. Ob aus diesem Grund hier darüber hinaus ein Fall vorliegt, bei dem wegen zweckwidriger Verwendung der Leistungen die Übernahme der Mietschulden ausgeschlossen wäre10, kann angesichts der oben gemachten Ausführungen dahin stehen.

Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 17. Oktober 2011 – L 12 AS 4216/11 ER-B

  1. vgl. BVerfG, NVwZ 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927 = Breithaupt 2005, 803[]
  2. vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 86b Rdnr. 42[]
  3. vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14.10.2010 – L 5 AS 1325/10 B ER: Räumung im Wege der Zwangsvollstreckung noch nicht konkret angekündigt; kritisch dazu Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl., § 22 Rdnr. 185[]
  4. i.d.F. ab 1. April 2011, BGBl. I S. 850[]
  5. vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.10.2008 – L 8 AS 4481/07 ER-B[]
  6. vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 23.02.2010 – L 5 AS 2/10 B ER[]
  7. hierzu BSG, Urteil vom 13.04.2011 – B 14 AS 106/10 R[]
  8. vgl. Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl., § 22 Rdnr. 188 m.w.N.[]
  9. vgl. hierzu LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 05.02.2009 – L 26 B 2388/08 AS ER[]
  10. vgl. hierzu LSG Baden-Württemb. Beschluss vom 01.03.2011 – L 12 AS 622/11 ER-B[]